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Petri ignorierte ihn. Er kam näher und blieb auf halber Strecke zwischen der Tür und Mark wieder stehen. »Es ist nicht die Schuld deines Vaters, Mark«, sagte er noch einmal. »Ich weiß, daß es für dich so aussehen muß, aber das stimmt nicht.«

»Petri, Sie -«

»Vater, bitte!« sagte Mark. »Laß ihn reden. Es ist sowieso zu spät.« Er wandte sich wieder an den Arzt. »Was wollen Sie damit sagen, Doktor?«

»Du hast all die Jahre über geglaubt, daß dein Vater die Schuld am Schicksal deiner Mutter trägt, nicht wahr?« fragte Petri. »Und ich nehme an, du hast ihn dafür gehaßt.«

Mark schwieg. Gehaßt? Prein hatte ihm am vergangenen Abend die gleiche Frage gestellt, und da hatte er ebensowenig eine Antwort gefunden wie jetzt. Vielleicht wollte er es gar nicht.

Aber sein Schweigen schien Antwort genug; zumindest für Petri. Der Arzt sah plötzlich sehr traurig aus. Er sah noch einmal in Richtung seines Vater und sagte leise: »Es ist besser, wenn Sie es ihm erzählen, Herr Sillmann. Früher oder später müssen Sie es sowieso. Er beginnt sich zu erinnern.« Er seufzte, schüttelte ein paarmal den Kopf und starrte mit leerem Blick vor sich hin. Erst nach einigen Sekunden blickte er wieder zu Mark hoch.

»Setz dich, Mark. Ich möchte dir etwas erzählen.«

15. Kapitel

»Sie verschweigen mir etwas«, sagte Bremer. Sendig warf die Autotür ins Schloß und kam um den Wagen herum auf ihn zugeeilt, ohne sich die Mühe zu machen, abzuschließen. »Stimmt«, sagte er einsilbig. Bremer hatte nichts anderes erwartet. Aber Sendig hatte ganz bestimmt nicht erwartet, daß er ihm plötzlich den Weg vertrat und ihn ziemlich unsanft am Arm ergriff, um ihn festzuhalten. Im allerersten Moment schien er viel zu verblüfft, um überhaupt zu reagieren. Dann blitzte es zornig in seinen Augen auf, und er versuchte sich loszureißen, allerdings mit mäßigem Erfolg. Bremers Griff war so entschlossen, daß er schon Gewalt hätte anwenden müssen, um ihn zu sprengen.

»Was soll das?« fragte Sendig erbost.

»Das frage ich Sie «, antwortete Bremer. Er war ein bißchen erstaunt über seinen eigenen Mut, vor allem, als er Sendig in die Augen sah und die Wut erkannte, die allmählich darin aufzulodern begann. Aber er war jetzt schon zu weit gegangen, um noch einen Rückzieher zu machen; nicht, wenn er überhaupt noch eine Chance haben wollte, irgendwann einmal eine klare Antwort auf eine klare Frage zu bekommen. Immerhin ließ er Sendigs Arm los, machte aber ganz bewußt keine Bewegung, um den Weg freizugeben.

»Ich finde Ihr Verhalten nicht besonders fair«, sagte er. »Ich dachte, wir hätten ein Abkommen getroffen, ehrlich zueinander zu sein.«

»Daran kann ich mich nicht erinnern«, antwortete Sendig kühl. »Ich habe Ihnen vorgeschlagen, eine Weile für mich zu arbeiten, und Sie waren einverstanden. Ich kann mich nicht erinnern, versprochen zu haben, fair zu sein.«

Das war die falsche Taktik. Bremer war nicht mehr in der Laune, sich einschüchtern zu lassen, und Sendig schien das auch zu spüren, denn nach einigen Augenblicken fügte er hinzu: »Vielleicht haben Sie recht. Ich sollte Ihnen das eine oder andere erklären.«

»Das stimmt«, sägte Bremer, und Sendig unterbrach ihn sofort: »Aber nicht jetzt. Keine Sorge«, fügte er hastig hinzu, »ich will Sie nicht wieder vertrösten. Ich verspreche Ihnen, daß Sie alles erfahren werden, was Sie wissen wollen. Ich brauche nur noch ein paar Minuten. Lassen Sie mich ein, zwei Telefongespräche führen, und dann reden wir.«

»Und warum nicht jetzt?« fragte Bremer.

Sendig seufzte. »Weil jetzt weder die Zeit noch der Ort dafür ist«, antwortete er mit besonderer Betonung; und zumindest, was den Ort anging, mußte Bremer ihm widerwillig recht geben. Sie standen auf dem Parkplatz des Polizeipräsidiums, und sie waren nicht allein. Zwar hielt sich niemand in ihrer unmittelbaren Umgebung auf, aber es mochte eine Menge neugieriger Augenpaare geben, die in diesem Moment aus irgendeinem der zahllosen Fenster über ihnen auf den Parkplatz herabblickten. Es wäre überflüssig, Sendig Gelegenheit zu geben, sich darauf zu besinnen, daß er einen gewissen Ruf zu verteidigen hatte; einen Ruf, zu dem es eindeutig nicht gehörte, daß er sich von einem gewöhnlichen Streifenpolizisten am Arm festhalten und herumschubsen ließ.

»Also gut«, sagte er widerwillig. »Gehen Sie telefonieren. Aber wenn Sie zurückkommen, will ich ein paar Antworten.«

»Sie können mich gerne begleiten«, antwortete Sendig.

»Zu gnädig«, erwiderte Bremer höhnisch. »Ich kann mich aber auch gerne auf dem Rücksitz verstecken oder so lange auf der anderen Straßenseite warten, damit uns niemand zusammen sieht.«

Sendig starrte ihn böse an, aber er zog es vor, den ohnehin sinnlosen Streit nicht fortzusetzen, sondern ging mit schnellen Schritten an ihm vorbei auf das Gebäude zu, und nach kurzem Zögern folgte ihm Bremer.

Beinahe hätte er es nicht getan. Er hatte sich von Anfang an nicht besonders wohl bei dieser ganzen Geschichte gefühlt, genauer gesagt: bei Sendig. Ihm jetzt dort hinein zu folgen hieße, sich ihm vollends auszuliefern. Bisher waren sie immerhin sozusagen auf neutralem Boden gewesen. Das fünfstöckige Gebäude mit seinen einseitig verspiegelten Fenstern auf der anderen Seite des Parkplatzes zählte jedoch eindeutig für Sendig. Trotzdem beeilte er sich, ihn einzuholen.

Sie betraten die Eingangshalle, die ebenso groß, hell und supermodern war wie das gesamte Gebäude. Ein uniformierter Beamter hinter einer Glasscheibe nickte Sendig nur flüchtig zu und drückte eine verborgene Taste unter seinem Tisch, woraufhin die innere der beiden Glastüren aufsprang. Sendig öffnete sie schwungvoll, doch als Bremer ihm folgen wollte, winkte ihn der Beamte hinter der Scheibe zurück.

Bremer seufzte, schickte sich aber in sein Schicksal. Immerhin kannte er die strengen Sicherheitsvorschriften, die nicht nur hier galten. Daß sich Sendig darüber hinwegsetzte, bedeutete offensichtlich nicht, daß es auch jeder in seiner Begleitung tun konnte. Ergeben trat er wieder an die gläserne Barriere heran und griff in die Tasche, um seinen Ausweis hervorzuziehen. Aber der Mann auf der anderen Seite der Scheibe schüttelte nur den Kopf.

»Sind Sie Bremer?« fragte er.

Bremer nickte. »Ja. Warten Sie. Ich habe meinen Ausweis -«

»Die junge Dame dort hinten wartet auf Sie«, unterbrach ihn der andere.

Bremer sah überrascht hoch, dann drehte er sich herum und blickte in die Richtung, in die die Hand des Polizister; wies. Im ersten Moment erkannte er durch das spiegelnde Glas kaum etwas; dann identifizierte er eine schlanke Frauengestalt, die unweit des Eingangs stand und erwartungsvoll zu ihm herübersah.

»Mich?« vergewisserte er sich. Niemand wußte, daß er hierherkommen würde. Vor einer halben Stunde hatte er es ja noch nicht einmal selbst gewußt.

»Sie hat nach Ihnen gefragt.«

Bremer bedankte sich, steckte seinen Ausweis wieder ein und trat ebenfalls durch die Tür, die Sendig noch immer ungeduldig aufhielt. Sein fragender Blick machte deutlich, daß er von dem kurzen Gespräch nichts mitbekommen hatte, aber Bremer ignorierte ihn. Es war zwar nur ein kleiner Triumph, aber immerhin - sollte Sendig doch zur Abwechslung einmal raten, was Sache war.

Die Frau kam ihm mit nervösen Schritten entgegen. Sie wirkte sehr unsicher und sehr ängstlich, fand Bremer. Er überlegte angestrengt, woher er sie kannte - sie war ihm nicht vollkommen fremd, das wußte er -, kam aber zu keiner Antwort. Sie war blond, sehr schlank und allerhöchstens zwanzig Jahre alt. Hätte sie nicht so verängstigt und müde ausgesehen, wäre sie sicher sehr hübsch gewesen.

»Herr Bremer?« Die Art, auf die sie ihn und nicht Sendig ansah, bewies Bremer, daß zumindest sie wußte, wer er war.