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Das Wortungeheuer ging ihm so flüssig von den Lippen, als hätte er es unzählige Male ausgesprochen, aber in Mark löste es ein Schaudern aus. Jetzt, wo er endlich wußte, was dieses Wort bedeutete, hätte es seinen Schrecken eigentlich verlieren müssen. Aber das genaue Gegenteil war der Fall. »Hattet ihr Erfolg?« fragte er.

»Nein. Wir sind gescheitert - jedenfalls zuerst. Es war ein neuer, aber wie sich herausstellte auch riskanter Gedanke. AZRAEL war keine einzelne psychogene Substanz, sondern eine Mischung aus verschiedenen Drogen, die in ihrer Gesamtheit die Wirkung jeder einzelnen Droge übertroffen hätte - aber ohne süchtig zu machen. Das war die Idee. Wir haben eine Menge Geld und sehr viel Zeit in dieses Projekt gesteckt, und ein paarmal glaubten wir wirklich, kurz vor dem Durchbruch zu stehen. Aber wir hatten nie wirklich Erfolg. Löbach und ich haben mehr als zehn Jahre daran gearbeitet, aber am Schluß haben wir aufgegeben.«

»Löbach offensichtlich nicht«, sagte Mark leise. Die Kerkertür in seinem Inneren begann sich zu öffnen. Er erinnerte sich noch immer nicht wirklich, aber er spürte ein positives Echo auf die Worte seines Vaters.

»Nein, Löbach nicht«, bestätigte sein Vater. »Er hat weitergemacht - ohne mein Wissen und auf eigene Kosten. Er hat mir niemals verraten, was er wirklich getan hat, auch später nicht, als alles herauskam. Um ehrlich zu sein - ich habe ihn nicht gefragt. Ich glaube, ich wollte es nicht wissen. Ich war viel zu schockiert damals. Aber er hat ganz offensichtlich weitergemacht und tatsächlich eine vollkommen neue Droge entwickelt. Aber sie hatte nichts mehr mit dem zu tun, was uns vorschwebte, als wir mit unserer Arbeit begannen.« Er lachte bitter. »Ist das nicht komisch? Ihr würdet so etwas heutzutage wahrscheinlich eine Designerdroge nennen - wir hatten es schon vor zwanzig Jahren. Wie gesagt, ich weiß keine Details, aber es muß ungefähr so gewesen sein: Er entwickelte AZRAEL tatsächlich, und er ging einen Schritt weiter, als ich es jemals getan hätte. Er experimentierte damit - zuerst an sich selbst, dann an anderen. Vornehmlich Kindern.«

»Kindern?!«

»Jugendlichen, wenn dir das Wort lieber ist«, sagte sein Vater. »Und an deiner Mutter.«

Mark setzte sich kerzengerade auf. »Das ist nicht wahr?«

»Ich fürchte, doch«, sagte Petri leise.

»Sie lügen!« fuhr ihn Mark an. »Meine Mutter hat niemals Drogen genommen!«

»Mark, bitte«, sagte sein Vater, aber Mark ließ ihn gar nicht zu Wort kommen, sondern schrie ihn erneut und noch lauter an: »Das ist nicht wahr!«

»Vielleicht ist es besser, wenn ich den Rest der Geschichte erzähle«, sagte Petri. »Ich habe vielleicht ein wenig mehr... Abstand.«

»Sie?!« fauchte Mark. »Ich dachte, Löbach und Sie wären gute Freunde gewesen?«

»Das waren wir auch, aber jemanden zu mögen bedeutet nicht, alles gutheißen zu müssen, was er tut. Was dein Vater erzählt, ist die Wahrheit, Mark. Deine Mutter war tablettensüchtig, schon lange vor der Geschichte mit Löbach. Valium. Schlaftabletten, Schmerzmittel... du kennst das ja. Sie nahm alles, was sie bekommen konnte.«

»Von Ihnen, nehme ich an.«

»Von mir und von anderen«, bestätigte Petri ungerührt. »Ja. Als ich merkte, wie es um sie stand, habe ich ihr nichts mehr gegeben - aber vergiß nicht, welchen Beruf dein Vater hat. Es war eine Kleinigkeit für sie, an alles heranzukommen, was sie haben wollte. Auf diese Weise ist sie wahrscheinlich auch in Löbachs Drogengruppe hineingerutscht. Sie haben sich damals einmal die Woche getroffen, um gemeinsam auf einen Trip zu gehen. Du weißt, wo.«

»In... in einem alten Keller«, murmelte Mark. Die Tür öffnete sich weiter, und dahinter war etwas. Etwas Großes, Häßliches, das herauswollte.

»In der Fabrik deines Vaters, ja«, bestätigte Petri. »Wir haben das meiste erst später von der Polizei erfahren, aber es muß wohl so gewesen sein, daß sie sich mindestens zwei Jahre lang regelmäßig dort trafen. Die meisten waren nicht älter als du damals - elf, zwölf Jahre. Löbach war so eine Art Guru für sie, auch wenn das Wort damals noch nicht so in Mode war wie heute. Sie haben dieses AZRAEL gemeinsam eingenommen, und wenn auch nur die Hälfte von dem stimmt, was Löbach uns später erzählt hat, dann muß es seine kühnsten Erwartungen noch übertroffen haben. Der perfekte Supertrip, ohne Nebenwirkungen und ohne Suchtgefahr.«

»Und was ist passiert?« fragte Mark. Warum fragte er überhaupt? Er wußte es. Er hatte es im Traum gesehen. Er hatte sie alle umgebracht.

»Das wissen wir nicht«, sagte Petri. »Nicht genau. Wir wissen auch nicht genau, wie du in die Gruppe hineingekommen bist - vielleicht über deine Mutter oder über Löbachs Tochter. Du warst damals mit ihr befreundet, erinnerst du dich?«

Mark schüttelte den Kopf. Diese Information wurde von der lautlosen Stimme in seinem Inneren nicht bestätigt.

»Irgend etwas ist passiert«, fuhr Petri fort. »Etwas Entsetzliches. Ich vermute, irgendeine Nebenwirkung AZRAELs, mit der Löbach nicht gerechnet hat. Alles, was wir wissen, ist, daß es zu einer Katastrophe kam. Von den dreizehn Mitgliedern der Gruppe waren vier tot, und sechs weitere trugen irreparable geistige Schäden davon.«

»Und die drei anderen?« fragte Mark.

»Einer war Löbach selbst«, antwortete Petri. »Die beiden anderen du und deine Mutter. Du hattest einen Schock und schwere Vergiftungserscheinungen, aber irgendwie hast du es verkraftet. Vielleicht, weil du noch nicht lange genug dabei warst.«

»Nur meine Mutter und ich sind davongekommen?« fragte Mark. »Was für ein Zufall.«

»Keineswegs«, antwortete Petri. »Allerhöchstens insofern, daß ich als erster Arzt bei euch war - weil dein Vater mich gerufen hat. Natürlich habe ich mich zuerst um dich und deine Mutter gekümmert, und dann um die anderen. Vielleicht war es das. Du hast es jedenfalls überstanden. Deine Mutter hatte weniger Glück.«

»Wieso?«

»Weil sie sich an alles erinnerte, Mark«, antwortete sein Vater. »Sie ist nie damit fertig geworden. Sie hat die Wirkung des AZRAEL überstanden, aber sie ist an dem zerbrochen, was sie getan hat.«

»Das... das ist nicht wahr«, stammelte Mark. »Ich glaube dir nicht. Du lügst. Ihr lügt beide!«

»Nein, Mark, das tun wir nicht«, sagte Petri. »Und du weißt es. Vielleicht noch nicht jetzt, aber bald. Du wirst dich erinnern. Jetzt, wo du einmal weißt, was wirklich geschehen ist, werden deine Erinnerungen zurückkommen. Wahrscheinlich ziemlich schnell. Ich hoffe, du wirst damit fertig.«

»Ihr lügt!« schrie Mark erneut. »Das ist alles nicht wahr! Ich glaube euch nicht! Löbach war bis gestern noch auf freiem Fuß! Er war -«

»Er ist nie verhaftet worden«, unterbrach ihn sein Vater sanft.

»Und das soll ich glauben?« Mark lachte böse. »Vier Tote und sechs andere so gut wie tot, und Löbach soll nicht belangt worden sein? Wem willst du das erzählen?«

»Die Polizei hat niemals herausgefunden, daß er hinter der Sache gesteckt hat«, sagte sein Vater. »Offiziell war es einfach ein Drogenunfall. Eine Gruppe Jugendlicher, die mit dem Feuer gespielt und sich dabei verbrannt hat. Löbachs Name ist nicht einmal gefallen. Er war nie in Verdacht.«

Mark starrte seinen Vater an. Er wußte genau, was seine Worte wirklich bedeuteten, aber er weigerte sich einfach, es zu glauben. Nicht einmal sein Vater würde das tun.

»Weil du ihn gedeckt hast«, flüsterte er.

Sein Vater schwieg.

»Warum? Aus Freundschaft?« So, wie er das Wort aussprach, hörte es sich an wie ein Fluch. Petri fuhr sichtbar zusammen, aber das Gesicht seines Vaters blieb starr.

»Nein«, sagte er mit leiser, ausdrucksloser Stimme. »Ich hätte ihn umgebracht, Mark. Wenn Petri mich nicht zurückgehalten hätte, hätte ich ihn damals getötet. Ich habe ihn gedeckt, um dich zu schützen. Dich und deine Mutter.«