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»Oh ja, und Löbach gleich mit«, sagte Mark höhnisch. »Den Mann, der uns das alles angetan hat - wenn es die Wahrheit ist.«

»Wir hatten keine Zeit, um nachzudenken«, sagte sein Vater. »Die Polizei war bereits auf dem Weg. Wir haben deine Mutter und dich weggebracht, und Löbach auch. Was hätten wir tun sollen? Wenn die Polizei Löbach verhört hätte, wäre alles herausgekommen. Wir hatten keine Wahl!«

»Ich verstehe«, sagte Mark düster. Er starrte den Arzt an, und sein Blick mußte regelrecht haßerfüllt sein, denn Petri wich instinktiv einen halben Schritt vor ihm zurück. »Deshalb sind die anderen nicht durchgekommen, nicht? Nicht, weil Sie uns als erste behandelt haben, Doktor, sondern weil Sie uns als einzige behandelt haben. Ihr habt meine Mutter und Löbach und mich weggebracht und die anderen einfach verrecken lassen!«

»So war es nicht«, sagte sein Vater scharf. »Der Doktor hat getan, was in seiner Macht stand, aber es war zu spät.«

»Zu spät für wen?!« fragte Mark. »Für dich? Worum hattest du Angst? Um mich und Mutter oder um deinen guten Ruf? Du wolltest uns schützen, wie? Und du hast keine Sekunde lang daran gedacht, daß es deiner Firma schaden könnte, wenn die Geschichte herauskäme?«

Sein Vater sagte nichts, aber er sah plötzlich sehr betroffen aus. Der Schmerz, der bisher nur in seinem Blick gewesen war, breitete sich auf seinem ganzen Gesicht aus, wie ein Tintenfleck in einem Blatt Papier. Es war, als altere er vor Marks Augen in wenigen Sekunden um ein Jahrzehnt. Schließlich drehte er sich wortlos herum, stellte sein Glas auf den Tisch und verließ mit langsamen Schritten die Bibliothek.

»Das war sehr grausam von dir, Mark«, sagte Petri leise. »Und ungerecht.«

»Ungerecht?!« Mark schrie das Wort beinahe. »Sie wissen ja nicht, was Sie da reden, Doktor.«

»Dein Vater trägt keine Schuld an dem, was passiert ist.« Petri fuhr sich mit beiden Händen durch das Gesicht. Er sah sehr müde aus. »Vielleicht hast du sogar recht, und wir hätten all das nicht tun dürfen, Mark. Aber wir wollten dich nur schützen. Dich und deine Mutter. Dein Vater hat sie sehr geliebt, Mark. Er tut es noch heute.«

»Mein Vater weiß nicht einmal, was das Wort Liebe bedeutet«, sagte Mark bitter.

Petri seufzte. »Mark, du -«

»Lassen Sie mich in Ruhe!« fiel ihm Mark ins Wort. »Bitte, Doktor Petri - ich habe genug gehört. Mehr, als ich wollte.«

»Aber du hast anscheinend nicht -«

Petri hatte anscheinend nicht begriffen, wie es in Mark wirklich aussah. Aber seine Kraft war aufgebraucht. Er konnte sich nicht mehr beherrschen, und er wollte es auch gar nicht mehr. In seinem Kopf kreiste ein außer Kontrolle geratenes Kaleidoskop aus Bildern, Worten, Erinnerungen und Gefühlen, und nichts von alledem war positiv. Er wollte schreien, irgend etwas packen und zerschlagen, irgend etwas tun, nur nicht mehr dasitzen und sich diesem schrecklichen Wissen stellen, daß Petri und sein Vater die Wahrheit gesagt hatten. Ohne Vorwarnung sprang er auf und riß den Arm in die Höhe, wie um Petri tatsächlich zu schlagen.

Aber er tat es nicht. Petri prallte zurück und starrte ihn entsetzt an, aber Mark stand einfach sekundenlang da, zitternd, mit erhobenem Arm und verzerrtem Gesicht, ehe er auf dem Absatz herumwirbelte und aus dem Haus lief, so schnell er konnte.

17. Kapitel

Sie hatten ihm seine Uhr weggenommen, so daß er nicht sagen konnte, wie lange er schon hier war - was immer Hier auch bedeuten mochte. Er wußte nicht, wo er war, und er erinnerte sich nicht einmal wirklich, wie er hierhergekommen war. Er erinnerte sich vage an ein Zimmer, in dem er aufgewacht war, nachdem die Wirkung der Spritze nachließ, die ihm der Arzt im Krankenwagen gegeben hatte, aber es war nicht dieses Zimmer gewesen. Dieses andere Zimmer hatte Fenster gehabt und eine Klingel, die er betätigen und damit nach der Schwester rufen konnte.

Das Zimmer, in dem er sich jetzt befand, hatte keine Fenster. Und es hatte auch keine Klingel, ebensowenig wie einen Schrank, eine Waschgelegenheit oder wenigstens eine Toilette. Der Raum war sehr klein und enthielt nichts als das breite, aber trotzdem unbequeme Bett, auf dem er lag, und eine wuchtige Tür, der man trotz der neutralen weißen Lackierung ansah, daß sie aus massivem Stahl gemacht war, schwer genug, jedem Tresor Ehre zu machen. Oh ja, und noch etwas: Unmittelbar über dieser Tür war ein glänzendes rundes Glasauge, das ihn beständig anstarrte. Das Objektiv einer Videokamera. Wenn er hier in einem Krankenhaus war, dann in dem sonderbarsten, von dem er jemals gehört hatte.

Aber Hansen glaubte nicht, daß es sich um ein Krankenhaus handelte. Er war mit einem Krankenwagen hergebracht worden - wenigstens vermutete er das -, und die wenigen Menschen, die er bisher zu Gesicht bekommen hatte, trugen ausnahmslos weiße Kleidung und helle Turnschuhe; außerdem hatten sie eine unangenehme Vorliebe für Spritzen, von denen sie ihm schon eine ganze Anzahl verabreicht hatten, ohne daß sich irgend jemand die Mühe machte, ihm etwa zu sagen, was sie ihm da spritzten. Er hatte ein paarmal gefragt, aber keine Antwort bekommen. Eigentlich hatte bisher noch niemand wirklich mit ihm gesprochen - wenn man unter gesprochen nicht verstand, daß nur einer der Gesprächspartner redete und der andere schwieg oder Fragen beantwortete, die er gar nicht gestellt hatte.

In diesem Punkt war er allerdings nicht ganz sicher. Seine Erinnerungen spielten ihm einen Streich - nicht nur, was den Weg hierher anging, sondern auch die Zeit danach. Er hatte das Gefühl, daß es mehrere Stunden gewesen sein mußten, war aber nicht sicher. Vielleicht lag es an den Spritzen, vielleicht an dem, was in der vergangenen Nacht geschehen war - auch daran erinnerte er sich nur unscharf, weniger wie an etwas Selbsterlebtes, das erst ein paar Stunden zurücklag, sondern wie an einen Film, den er vor vielen Jahren einmal gesehen und schon zum Großteil wieder vergessen hatte -, aber seine Gedanken verwirrten sich immer wieder. Dreimal war er allein hochgeschreckt und hatte sich gefragt, wo er überhaupt war, und einmal gar, wer er war. Seine Erinnerungen setzten immer gleich darauf wieder ein, aber vielleicht war das gerade das Schlimme: Er war sich der Tatsache bewußt, daß er Blackouts hatte, und daß sie immer schneller kamen und immer länger dauerten. Was in Gottes Namen geschah mit ihm?

Hansen richtete sich auf dem Bett auf. Die Bewegung verlangte große Kraft von ihm und noch mehr Konzentration. Nicht nur sein Erinnerungsvermögen hatte gelitten, er fühlte sich auch körperlich schlecht - so schwach wie ein Baby und schwindelig. Sein rechter Arm war taub von den vielen Spritzen, die er bekommen hatte, und als er versuchte, sich weiter aufzusetzen und die Beine vom Bett zu schwingen, hätte er es fast nicht geschafft. Um ein Haar wäre er nach vorne gekippt und hätte kaum die Kraft gehabt, sich zu halten.

Er stöhnte leise. In einer kraftlosen Bewegung sank er nach vorn, stützte die Ellbogen auf die Knie und verbarg das Gesicht in beiden Händen. Das Schwindelgefühl zwischen seinen Schläfen war jetzt so schlimm, daß er es nicht wagte, die Augen zu öffnen, aus Angst, daß ihm übel werden konnte.

Wo war er hier? Was hatten sie nur mit ihm getan?

Es war einer seiner lichten Momente, wie ihm mit grausamer Deutlichkeit bewußt wurde. Nicht der erste. Und es war auch nicht das erste Mal, daß er sich genau diese Frage stellte und vielleicht sogar eine Antwort darauf gefunden hatte, aber er hatte sie ebenso vergessen wie die davor und die vor ihr, und die davor.