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Sie hatte sich jedoch zusammengenommen, und Spotts war nach Stanford enteilt, wo sie glücklich war.

Diese Auseinandersetzung aber war etwas anderes.

In den beinahe einundzwanzig Jahren seit Spotts' Geburt war Ramelle nie von ihrer Jahresplanung abgewichen. Jetzt erklärte sie, sie wolle nach Kalifornien, weil Curtis sich zum Militär gemeldet hatte. Das war eine entschiedene Abweichung.

Zunächst versuchte Celeste es mit Vernunft. Das hatte nichts gefruchtet. Dann versuchte sie es mit Bestechung. Das hatte auch nichts gefruchtet. Schließlich hatte sie die Beherrschung verloren. Ramelle war in ihr Zimmer gegangen und hatte die Tür geschlossen.

Das überraschte Celeste nicht. Hätte Ramelle sie angeschrie­en, würde sie es wohl genauso gemacht haben, oder sie wäre einfach in den Packard Twelve gesprungen und davongebraust.

Der Teekessel pfiff. Sie schenkte sich eine Tasse ein und setz­te sich in die gemütliche verglaste Nische in der geräumigen Küche. Tee und Tulpen. Sie liebte Tulpen, massenweise wieg­ten sie sich unter dem Eckfenster. Der Frühling machte zwei Schritte vor und einen zurück. Es war die ganze Woche kalt geblieben, und der Ostersonntag versprach nicht wärmer zu werden. Den Tulpen jedoch war es einerlei; sie öffneten ihre flammend orangeroten, schwarz umrandeten Kelche; ihre Rot-, Weiß-, Lila- und Gelbtöne trotzten der schneidenden Luft. Die Kirschbäume waren besonnener. Sie warteten auf einen mollig warmen Tag mit Temperaturen um die achtzehn Grad.

Das im Wind wechselnde Licht wurde golden. In einer Stunde würde die Sonne untergehen. Zwielicht machte Celeste wehmü­tig, seit sie ein Kind war. Die Wehmut vertiefte sich mit dem Alter. Sie konnte nicht fassen, wie schnell die Jahre verflogen, und es war ihr einfach unbegreiflich, daß sie über sechzig war, auch wenn alle sagten, sie sehe aus wie Anfang vierzig. Unge­achtet ihres Aussehens hatte sie dreiundsechzig Jahre Erinne­rungen. Sie liebte ihr Leben. Sie wünschte sich weitere sechzig Jahre. Und sie liebte Ramelle.

Die Wahrheit war, sie war eifersüchtig. Ob dieser unvermittel­ten Selbsterkenntnis stellte sie ihre Tasse klirrend auf den Tisch. Sie war nie eifersüchtig gewesen. Warum jetzt?

Leise Schritte in der Küche veranlaßten sie, sich umzudrehen. In dem roten Seidenmorgenrock, den Celeste ihr aus Paris mit­gebracht hatte, ging Ramelle zum Herd. Sie hatte Celeste nicht bemerkt. So kam Celeste in den köstlichen Genuß, eine Person zu beobachten, die nicht merkt, daß sie beobachtet wird.

Sie hatte im Laufe ihres Lebens viele Dinge gelernt, und eines davon war, daß es das Ich gibt, das man kennt und anderen zeigt; dann das Ich, das man kennt und anderen nicht zeigt; das Ich, das andere kennen und man selbst nicht; und schließlich das Ich, das andere nicht kennen und man selbst auch nicht. Es bedarf eines Unglücks, einer wie auch immer gearteten Katastrophe, um das Ich hervorbrechen zu lassen, das niemand kennt.

Sie sah Ramelle, diese anmutige Frau, blinzeln, als das Gas um den Brenner aufflammte. Sie fragte sich, was ihre Geliebte von ihr wußte, das sie selbst nicht wußte. Vielleicht war es auch besser, es nicht zu wissen.

»Komm, setz dich zu mir.«

Ramelle fuhr zusammen. »Hast du mich erschreckt.«

»Ich habe mich selbst erschreckt. Ich habe die Beherrschung verloren, und ich entschuldige mich dafür.«

Ramelle tat das Thema mit einer Handbewegung ab. »Du magst keine Veränderung, mein Schatz. Solange die Dinge nach Plan gehen, ist alles gut. Ich habe den Plan umgeworfen.«

»Bin ich so eine Tyrannin?«

Ramelle trat zu ihr. »Eine aufgeklärte.«

Celeste stützte ihren Kopf für einen Moment in die gewölbte Hand. »Nun.«

»Da du so viel intelligenter bist als wir Übrigen, sind wir alle sehr dankbar, daß du unser Leben organisierst. Ich auf alle Fäl­le.«

»Oh, Ramelle, ich bin nicht intelligenter als du - nur belese­ner.« Celeste beobachtete, wie das Licht auf Ramelles feine Gesichtszüge fiel.

»Alle Chalfontes sind hochintelligent - die Spottiswoods auch.« Ramelle sprach von Celestes Familie mütterlicherseits. »Die Besten mit den Besten paaren und auf das Beste hoffen. Machen wir es nicht so mit den Pferden?«

»Ja.« Celeste lachte, dann sagte sie: »Mutter hat Carlotta vor­gezogen.«

»Oh, das hat sie nicht. Wie könnte jemand Carlotta vorzie­hen?«

»Carlotta hat Herbert Van Düsen geheiratet, die fadeste Seele, die man sich vorstellen kann. Mutter fand ihn ungemein geeig­net, weil er einen Sitz an der Börse hatte, obwohl das auch schon alles ist, was er hatte. Seine Partner trugen ihn mit, aber wenn man Carlotta erzählen hörte, hätte man meinen können, er besäße den Jagdinstinkt eines J. P. Morgan.« »Sie hat ihn geliebt. Wir neigen alle dazu, die Tugenden derer, die wir lieben, zu überschätzen.«

»Oh.« Celeste trank einen Schluck. »Überschätzt du meine?«

»Nein.«

»Was bist du doch für eine elegante Schwindlerin, Ramelle. Ich verstehe nicht, warum du zu Curtis willst. Er ist zu alt für den Kampf, aber sobald diese vulgäre Zurschaustellung organi­sierter Gewalt vollends inszeniert ist, wird er seine Rolle ein­nehmen. Er ist immerhin siebenundfünfzig.«

»Wenn es nach seinem Willen geht, wird er irgendwie an den Kämpfen teilnehmen. Ich glaube, er leidet darunter, seit all den Jahren im Schatten seines Bruders zu stehen.«

»Curtis hat den Ersten Weltkrieg überlebt. Er hat sich ehren­voll gehalten.«

»Männer denken nicht so. Spotty ist einen Heldentod gestor­ben.«

»Manchmal denke ich, Männer sind die sonderbarsten Tiere, die Gott jemals auf diese Erde gesetzt hat.«

»Dasselbe sagen sie über uns.«

»Ja, vermutlich.« Celeste sah zu, wie sich das goldene Licht draußen rosa färbte, als die Sonne sich dem wartenden Horizont näherte. »Bist du mir böse?«

»Nein. Na ja - vielleicht ein kleines bißchen. Ich lasse mich nicht gern anschreien. Schatz, was immer mit Curtis geschieht, ich möchte bei ihm sein, bis er geht.«

»Ihr könntet hier zusammen sein.«

»Curtis wird sich ums Geschäft kümmern, bis er den Marsch­befehl erhält. Du weißt, wie deine Brüder sind.«

»Hör mal, ich habe dich nie gefragt - liebst du Curtis?«

»Natürlich.« Ramelle lachte. »Er ist dir so ähnlich - nur in mancher Hinsicht sanfter.«

Celeste war drauf und dran einzufordern, daß Ramelle sie mehr lieben solle als ihn, doch sie ließ es bleiben und erwiderte statt dessen: »Er ist ein Glückspilz.«

»Ach, Celeste, Curtis ist bloß Curtis. Er ist eine Frohnatur. Er gehört in den kalifornischen Sonnenschein und ins Filmge­schäft. Das paßt zu ihm. Er ist ein Mensch, der weiß, wie man etwas anpackt - wie gesagt, genau wie du. Nichts kann Curtis aufhalten, aber ich nehme an, Stirling kann auch nichts aufhal­ten; bloß, daß Stirling mir immer alt vorgekommen ist, sogar, als er jung war.« Celestes Bruder in Baltimore leitete die Kugel­lagerfabrik.

»Der Preis, den der Erstgeborene zahlen muß, denke ich mir«, sagte Celeste.

»Ich liebe dich, das weißt du. Auf immer und ewig.«

»Ich liebe dich auch.«

»Siehst du, wir haben uns versöhnt. Bist du nicht auch froh?«

»Ich weiß nicht recht. Ich bin etwas erleichtert. Ich ärgere mich nur über mich selbst, weil ich die Beherrschung verloren habe.«

»Du bist nur ein Mensch.«

Celeste lachte. »Das ist es ja, was mich beunruhigt.«

Die Haustür ging auf und mit einem Schlag wieder zu.

»Ich bin's. Wo seid ihr?«, grölte Fannie Jump Creighton, Ce­lestes Freundin seit frühester Kindheit.

»O Gott.« Celeste seufzte, denn Fannie Jump war eine Quas­selstrippe. »Wir sind in der Küche.«