»Ja, Ma'am.« Billy sah Harmon flehend an. »Ja, Sir.«
Wie die meisten kleinen Beamten hatte Harmon einen untrüglichen Blick dafür, wem lokale Macht innewohnte. Sie war ganz gewiß bei Celeste Chalfonte zu finden, obwohl sie in Maryland lebte. Die Chalfontes oder Rifes oder andere lokale Größen provozierte man einfach nicht. Zudem könnten die Redakteure desClarion oder derTrumpet ihn als herzlos hinstellen, weil er Kinder wegen eines Verkehrsdelikts vor Ostern ins Gefängnis steckte, selbst wenn sie es verdient hatten.
»Ich sage Ihnen, was ich tun werde. Ich lasse Sie die Autos hier wegschaffen. Die Leute, die morgen in die Kirche gehen, wollen diese Bescherung nicht sehen. Dann rufe ich die Gärtnerei Dingledine an und bitte, daß man Sie so spät noch hereinläßt, um Tulpen und Azaleen zu kaufen, und dann werden Sie sie einpflanzen, und es ist mir ziemlich egal, ob es die ganze Nacht dauert. Dann werde ich den Schaden schätzen, und von da sehen wir weiter.« Er funkelte Juts und Louise an. »Mir scheint, ihr Mädels habt in dieser Stadt schon einiges an Kosten aufgehäuft.«
Weil der Zweisitzer nicht anspringen wollte, schoben Chessy, Paul und Extra Billy ihn aus der Parkanlage, mit Fannie Jump Creighton am Steuer. Die aufgebrachte Louise, von ihrer Schwester an der kurzen Leine gehalten, stapfte nach Hause, um Gartengeräte und Laternen zu holen.
Celeste und Ramelle fuhren mit Maizie auf der alten Route 140 zu Dingledine, wo sie Randy Dingledine überreden mußten, ihnen mit einem Lieferwagen voll Tulpen zu folgen, weil der Packard nicht alle fassen konnte.
»So, Maizie, ich möchte nicht, daß du dich über all das aufregst. Mary befindet sich in den Fängen blinder Leidenschaft.« Celeste suchte nach dem passenden Vokabular für ein vierzehnjähriges Mädchen.
Maizie seufzte romantisch. »Ich fand es toll.«
»O Gott.« Ramelle verdrehte die Augen gen Himmel.
12
Buster wartete geduldig an der Südwestecke des Platzes hinter dem Rathaus und vor der lutherischen Christuskirche. Yoyo, seine beste Freundin, Juts' langhaarige gescheckte Katze, saß neben ihm. Juts und Chessy, erschöpft von der Pflanzaktion der vergangenen Nacht, hatten vergessen, die Fliegentür auf der hinteren Veranda zu schließen, und sobald die Tiere das Versehen entdeckt hatten, waren sie ausgerissen.
Der Gesang in sämtlichen Kirchen am Platz schwoll zum Crescendo an. Katze und Hund wechselten einen Blick, fanden die Sache hochinteressant und trabten die breiten Stufen zu dem schweren Holzportal der Christuskirche hinauf, das weit offen stand, um die Gläubigen willkommen zu heißen.
Yoyo flitzte schon durch den mit Teppich ausgelegten Mittelgang, während Buster noch seinen nächsten Schritt bedachte. Yoyos ursprüngliche Absicht war es, nach Juts und Chessy zu suchen, doch der berauschende Duft der Blumenmassen rund um den Altar und das Altargitter erwies sich als zu verlockend. Sie beschleunigte ihr Tempo, zögerte nur am Gitter, weil da so schöne Petitpoint-Kniekissen auf dem Boden lagen. Einfach himmlisch: etwas zum Zerreißen und etwas zum Riechen. Eine Kicherwelle wogte von hinten nach vorn durch die versammelte Gemeinde. Da Pastor Neely mit dem Gesicht zum Altar stand, entging ihm der Anlaß der Belustigung. Eine herabhängende Lilie reizte Yoyo noch mehr, als ihre Krallen an der PetitpointStickerei zu schärfen. Sie katapultierte sich in die Luft, packte die Blume mit beiden Pfoten und zupfte sie aus dem Strauß. Der paprikafarbene Blütenstaub verteilte sich über den Fußboden und ihre langen Schnurrhaare.
Juts, die den umkämpften Hut von Bear's trug und die Nase im Gesangbuch vergraben hatte, um den nächsten Choral aufzuschlagen, bekam von Yoyos religiöser Erweckung nichts mit. Als Chessy sie anstieß, blickte sie auf, sah jedoch nichts, weil Lillian Yost mit einem voluminösen Hut vor ihr saß. Die Bank der Hunsenmeirs befand sich in der fünften Reihe, und Cora saß in der Mitte; auch sie sah Yoyo nicht.
Neugierig folgte Buster der Katze durch den Mittelgang, wurde aber von einem starken Schokoladenduft aufgehalten. Er drückte sich in die Reihe zu den Falkenroths und den Cadwalders, wo er ein Marshmallowhäschen mit Schokoladenüberzug aufspürte, das Paula Falkenroth in ihrer weißen Handtasche versteckt hatte. Paula kicherte, als Buster mit wedelndem Stummelschwanz zu ihr in die Reihe schlüpfte. Das Kichern verging ihr, als er direkt in ihre Tasche langte und sich ihre Leckerei schnappte.
»Daddy!«
»Schsch«, flüsterte Walter. Er sah zwar, was Buster tat, doch schließlich war es Paula verboten, in ihrer Sonntagshandtasche Süßigkeiten mitzunehmen. Wenn ihre Mutter dahinter kam, hatte das auf dem Nachhauseweg ein unerfreuliches Nachspiel. Mit der Herausgabe einer Tageszeitung und dem Bau eines neuen Hauses waren Walters Geduldsreserven erschöpft. Er wünschte sich ein ruhiges Osterfest.
Buster tanzte aus der Bankreihe, und die Pfarrkinder drehten sich auf Knien seitwärts.
»Ich will mein Schokoladenhäschen wiederhaben!«
»Paula!« Ihre Mutter langte vor Walters Brust hinüber und stieß das Kind auf die Bank zurück.
Pastor Neely, der unermüdlich aus der Heiligen Schrift rezitierte, stand mit dem Gesicht zum Altar und konnte sich nicht umdrehen.
Der Altardiener erwies sich als nutzlos. Mit vierzehn empfand er diese Eskapade als Aufwertung des Gottesdienstes.
Angespornt von der mühelosen Eroberung der Lilie, rückte Yoyo dem gesamten monumentalen Strauß zu Leibe. Die Blumen flogen in alle Richtungen.
»Psst«, zischte Juts über Lillians Schulter hinweg ihrer Katze zu.
Als sie die Stimme ihrer Mutter vernahm, hielt Yoyo einen Augenblick mit ihrer Tollerei inne, dann nahm sie ihr vergnügtes Treiben wieder auf.
Cora fing an zu lachen.
»Mutter, du bist mir eine schöne Hilfe«, flüsterte Juts.
Je finsterer Julia dreinblickte, desto heftiger lachte Cora. Chester fing ebenfalls an zu lachen, und viele andere ringsum stimmten ein.
Unterdessen stürmte Buster durch den Mittelgang, kam an der Bank der Hunsenmeirs schlitternd zum Stehen, seine Beute in der triefenden Schnauze.
Kein Wunder, daß ihr in die Kirche geht, schienen Katze und Hund zu sagen.Das macht Spaß!
Als Pastor Neely mit seinen vielen Anrufungen fertig war, drehte er sich am Altar um, um mit strahlendem Gesicht die Botschaft»Er ist auferstanden« zu verkünden, und sah sich zwei kleinen pelzigen Gesichtern gegenüber, die zu ihm aufblickten; das eine war mit Blütenstaub beschmiert, das andere hielt grimmig ein Schokoladenhäschen fest.
Noch nicht zufrieden mit ihren Verwüstungen, sprang Yoyo mitten in das riesige Altarblumenarrangement. Beide purzelten zu Boden.
Mit puterrotem Gesicht erhob sich Juts, drückte sich an ihrer johlenden Mutter und ihrem ebenfalls johlenden Ehemann vorbei und stakste zu ihren Tieren.
Sosehr sie darum bemüht war, Würde zu bewahren - schließlich war es der hochheiligste Tag des Jahres -, der Anblick von Yoyo, außer Rand und Band, und Buster mit der Beute im Kiefer war zu viel für Juts. Sie kicherte.
Pastor Neely blickte streng zu ihr hinunter.
Das brachte sie erst recht zum Lachen. Juts griff nach Busters Halsband. Er leistete keinen Widerstand.
»Na los«, flüsterte sie.
Er folgte gehorsam.
»Er hat mein Häschen!«, rief Paula Falkenroth.
»Guter Gott.« Walter hielt sich die Hände vor die Augen.
Seine Frau Margot flüsterte: »Paula, ich habe dir gesagt, du sollst keine Süßigkeiten mit in die Kirche nehmen.«
»Hab ich vergessen«, log Paula.
»Kleines Fräulein, vergiß nicht, daß du in einem Haus der Andacht bist«, mahnte ihr Vater.
»Och.« Sie wand sich frei, als Buster an ihr vorbeiging, Juts' Hand noch fest am Halsband.