»Hab ich dich.«
Yoyo miaute entrüstet, ließ es sich aber gefallen, daß Juts sie auf ihre Schulter setzte und ihr den Rücken klopfte, als wäre sie ein Baby. Sie hielt ihr Schnurren zurück, bis sie das Huhn in der Tüte roch, die Juts in der rechten Hand trug.
Julia auf den Fersen folgte Mary, die rasch die Tür schloß. Auch sie trug eine Tüte mit Lebensmitteln.
»Tante Juts, wo soll ich die Sachen hinstellen?«
»Auf den Küchentisch.«
Sie packten die Lebensmittel aus, dann zerteilte Juts das Huhn und schrubbte sorgfältig jedes Fleischstück, bevor sie es auf ein Blatt Wachspapier legte. Das Wachspapier war mit Mehl und Gewürzen bestreut, die sie für ihr Brathuhn zusammengemischt hatte. Auf der Anrichte lagen zwei braune Eier, die sie aufschlug. Sie wälzte die Hühnerteile in Ei, zog sie dann durch das Mehl und die Gewürze. Brathuhn war ihre Spezialität.
Yoyo sah zu, und ihre Schnurrhaare zuckten von Zeit zu Zeit, so verführerisch war der Duft. Der Hund stand wie gebannt auf dem Küchenboden und verfolgte jeden Handgriff.
Da die Mädchen früher aus der Schule gekommen waren, hatte Juts Mary gebeten, ihr zu helfen; Maizie war bei Louise geblieben.
»Mach das Radio an, ich hab nasse Hände.«
»Mach ich, Tante Juts.« Mary drehte den linken Knopf des kleinen Radiogerätes, dessen Holzgehäuse einer Kathedrale nachempfunden war. Es stand unter der alten Uhr. Das große Radio zierte das Wohnzimmer.
Die Smiths besaßen nicht viel, doch ihre Musik liebte Julia. Der hölzerne Küchentisch hatte eine weiße Keramikplatte mit schmalen rosa Streifen. Die Fußböden bestanden aus unebenen Eichenbohlen. Die Schränke waren gelb mit runden roten Emaillegriffen. Weiße Gardinen mit einem roten Teekannenmuster hingen an den Fenstern. Eine große, luftige Vorratskammer half, in der Küche Ordnung zu halten; denn wie bei ihrer Schwester und ihrer Mutter mußte bei Juts immer alles tipptopp sein. Wenn Chester nach Hause kam und seine Jacke über die Lehne eines Küchenstuhls hängte statt an einen Haken im Windfang, bekam er umgehend etwas zu hören. Alle Hunsenmeirs waren verbissen reinlich.
Julia summte bei der Arbeit.
»Mom sagt, früher warst du ein total verrücktes Huhn, Tante Juts.«
»Ist das wahr?«
»Sie sagt, ich schlage dir nach.«
»Verstehe.« Juts wartete, bis die Bratpfanne die gewünschte Brutzeltemperatur erreichte. »Was quatscht sie sonst noch über mich?«
Mary, die wie eine jüngere, etwas größere Ausgabe ihrer hübschen Mutter aussah, kicherte. »Sie sagt, wenn ich nicht aufpasse, ende ich wie du und muß mich gehörig nach der Decke strecken, weil ich den Falschen geheiratet habe.«
»Deine Mutter erzählt nur.« Sie fing sich. »Komisches Zeug. Chessy ist ein guter Mensch.«
»Das ist es nicht, Tante Juts, es geht nur darum, daß er nicht viel verdient. Sie sagt, du hättest es viel besser treffen können - daß Walter Falkenroth in dich verliebt war, und er hat massenweise Geld, Unsummen, und daß du ihn hast abblitzen lassen.«
Juts sah Yoyo näher an das Huhn heranrücken, das jetzt rundum mit Mehl bestäubt war. »Komm mir ja nicht auf dumme Gedanken.« Yoyo erwiderte Julias Blick. »So ein ungehorsames Kind.«
Mary lachte. »Sie wird wohl in der Kirche den Kreuzweg beten müssen.«
»Protestanten glauben nicht an den Kreuzweg. Wir haben eine Scheckbuch-Religion. Das ewige Gemurmel, Bekreuzigen, Hinknien und Aufstehen überlasse ich meiner Schwester. Sie ist regelrecht besessen davon. Je elender, desto besser.«
»Mom geht noch mal zu Diddy. Orrie kommt mit.« Orrie Tadja Mojo, ihrer besten Freundin, vertraute Louise ihre geheimsten Wünsche an. Tatsächlich begann jedes Gespräch mit Orrie so: »Daß du es ja keiner Menschenseele erzählst.« Dann vergaß Louise, daß sie es Orrie erzählt hatte, vertraute es jemand anders an, die Geschichte sprach sich in der ganzen Stadt herum, und Louise beschuldigte Orrie, es ausgeplaudert zu haben.
»Das heißt, wir dürfen uns auf einen neuen Frömmigkeitsschwall gefaßt machen.« Juts gab eine saftige Hühnerbrust ins Öl. Das Zischen erschreckte sie. »Heiß, heiß, heiß.« Sie holte ein dickes Küchenhandtuch und breitete es auf der Anrichte aus. Wenn das Huhn fertig war, würde sie es auf das Handtuch legen, damit ein Teil des Öls aufgesaugt wurde.
»Tante Julia.?«
»Hmm.«
»Magst du Billy?«
»Ich finde, er sieht blendend aus.«
»Stimmt.« Mary wurde rot.
»Ich weiß nicht, ob er mal solide wird, Herzchen. Seine Familie hat ihm keine Basis mitgegeben.«
Ihr Blick trübte sich. »Oh, das wird er bestimmt. Er braucht mich. Ich kann ihm helfen.«
»Mary, jede Frau seit Eva hat das geglaubt. Ich kann sie hören:>Ich gebe ihm den Apfel, und dann kommt er zur Vernunft und geht arbeiten. < Und was ist passiert? Adam gewinnt eine Erkenntnis und gibt Eva die Schuld. Sie hat ihm nicht die Pistole auf die Brust gesetzt. Er hätte den verdammten Apfel nicht essen müssen, der Schwächling.«
Julias Einstellung, die so ganz anders war als Louises orthodoxe Denkweise, brachte Mary zum Lachen. »Sie hatten damals noch keine Pistolen.«
»Sie hätte ihm mit einem Stock eins überbraten können. Nein, er hat ihr den glänzenden roten Apfel aus der süßen Hand gerissen. Er beißt ab und entdeckt, daß sie nackt sind. Jetzt frage ich dich, Mary, ist das nicht oberdämlich? Der Mann muß dumm wie Bohnenstroh gewesen sein. Garten Eden, von wegen. Nachts war es bestimmt kalt, sogar im Garten Eden, also brauchte er nachts was Warmes zum Anziehen, stimmt's?«
»So habe ich es noch nie betrachtet.«
»Da hast du's. Wenn du die Bibel liest und darüber nachdenkst, hast du am Ende mehr Fragen als Antworten. Deshalb will kein Prediger, daß du wirklich nachdenkst. Also gibt Adam Eva die Schuld daran, daß wir alle in der Bredouille stecken. Der Hornochse konnte nicht zu dem stehen, was er getan hatte. Und so ist es bis zum heutigen Tag: Wenn ein Mann in Schwierigkeiten steckt, was tut er - gibt einer Frau die Schuld.«
»Billy gibt mir nicht die Schuld an seinen Problemen.«
»Oh, Mary, laß ihm Zeit.« Julia lächelte, doch da sie wußte, wie zart und wunderbar erste Liebe sein kann, fügte sie rasch hinzu: »Es freut mich zu hören, daß er die Schuld auf sich nimmt.«
»Nicht nur das, er wird die Statue reparieren. Er hat Donny Gregorivitch gebeten, ihm zu helfen, du weißt, Donnys Dad hat den großen Abschleppwagen.«
»Was will er mit dem Abschleppwagen?«
»Die Statue aufrichten und den Sockel stützen. Er hat alles genau überlegt.«
»Weiß Harmon Bescheid?«
»Ja, Ma'am, der Sheriff war der Erste, dem er es erzählt hat.«
»Hm - gut. Jetzt quält mich noch eine kleine Frage, ein winziger Wurm im Apfel - ich scheine heute Äpfel im Hirn zu haben.« Sie hielt inne und spießte mit ihrer Bratengabel die heißen Hühnerteile auf, legte sie auf das Handtuch, dann gab sie weitere Hühnerteile in die Pfanne. Es zischte, als sie mit dem Öl in Berührung kamen. Yoyo schlich auf Samtpfoten auf der Fensterbank über dem Spülstein entlang und setzte sich mit Bedacht neben die Hühnerteile, wenn auch mit dem Rücken zu ihnen. »Yoyo, ich durchschaue dich.«
Die Katze legte die Ohren an und weigerte sich, sich umzudrehen.
»Sie ist ein Unikum.« Mary knipste die Stengel von Eibischfrüchten aus Carolina ab, die sie glücklicherweise frisch bekommen hatten.
»Jeder in dieser verdammten Familie ist ein Unikum. Also, was ich dich fragen wollte, warum wolltet ihr ausreißen, du und Extra Billy? Zum Vergnügen komme ich später.«
»Wir wollten nicht ausreißen, Tante Julia.« Mary hob abwehrend die Stimme. »Mom hatte gesagt, ich darf erst ausgehen, wenn ich alle Schularbeiten fertig habe. Billy hat kein Telefon, darum konnte ich ihm nicht Bescheid sagen, und als er vorbeikam, bin ich rausgegangen, um es ihm zu sagen. Und Mom steht da und schreit mich an und macht Theater, und ich hab bloß gesagt:Scher dich zum Teufel<, was schlimm war, aber ich hab's getan, und dann bin ich ins Auto gestiegen und hab gesagt:>Laß uns nach Baltimore fahren. < Wie konnte ich wissen, daß sie ausrastet und mir in Daddys Wagen nachjagt?«