»Diesen Teil kenne ich; dein Vater hat hier angerufen, und Chessy und ich sind schnell los, um ihn abzuholen.« Sie atmete tief ein. »Hat dein Vater je mit dir über Extra Billy gesprochen?«
»Daddy sagt, er versteht Mädchen nicht. Aber Maizie scheint er ganz gut zu verstehen.«
»Maizie ist anders als du. Sie ist mehr wie Paul.«
»Tante Julia, ich liebe Billy. Ich will ihn heiraten und den Rest meines Lebens mit ihm verbringen.«
»Oh, der Rest deines Lebens ist eine lange, lange Zeit.«
»Ich werde nie einen anderen lieben.« Sie hielt den Eibisch unter das fließende Wasser.
Juts hätte gern ein paar Dinge gesagt - pragmatisch, reif oder etwas, das als reif durchging; etwas Vernünftiges. Sie hielt den Mund. Warum die Illusion zerstören? Das würde das Leben schon besorgen.
»Hat Billy um deine Hand angehalten?«
»Nicht direkt.«
»Verstehe.«
Mary fügte hastig hinzu: »Er hat noch nicht genug Geld. Wirklich.«
Yoyo blickte vorsichtig über die Schulter. Als Juts ihr den Rücken zukehrte, um einen Topf für den Eibisch zu holen, stibitzte sie behutsam einen kleinen Hühnerflügel und verschwand blitzschnell von der Anrichte, bevor Juts irgend etwas merkte.
Juts drehte sich wieder zum Herd. »Mary, ich glaube, was allen Sorgen macht, ist, daß du und Billy etwas Unbedachtes tun könntet.«
Mary lief kirschrot an und schüttelte den Kopf. »Nein, das tun wir nicht.«
»Das ist gut. Ich bin in diesen Dingen nicht so zimperlich wie deine Mutter. Letzten Endes sind wir doch Tiere, also ist es mir egal, ob ihr aufs Ganze geht, aber - verstehst du?« Mary nickte, wobei sie noch mehr errötete, und Julia fuhr fort: »Wenn man Kinder in diese Welt setzt, ist es wichtig, daß man verheiratet ist und so eine große Verantwortung auch übernehmen kann - also sieh dich vor, Schatz.«
»Bin ich, ich meine, mach ich, Tante Juts.« Sie holte ein frisches Geschirrtuch aus einer Schublade und betupfte damit die Oberseite der gebratenen Hühnerteile. »Ich werde im Januar sechzehn, und dann kann ich selber bestimmten, ob ich heirate.« Sie lächelte. »Ich streiche jeden Tag im Kalender rot an. Und weißt du, was mich wirklich ärgert, Tante Julia, ich finde es einfach so gemein, Mutter kann so gemein sein. Sie sagt« - Mary stemmte die Hand in die Hüfte und ahmte ihre Mutter nach -»>Unwissenheit ist ein Segen.<«
»Warum sind dann nicht mehr Menschen glücklich?« Dann bemerkte Juts eine kleine fettige Schleifspur auf dem Küchenboden. Sie folgte ihr, fand einen größeren Fettfleck um die Ecke, an dem Buster leckte. Yoyo lag zusammengerollt auf dem Sofa, als hätte dies nicht das Geringste mit ihr zu tun. Juts zog eine Grimasse, dann lachte sie über sich selbst. »Gott, es ist furchtbar, von der eigenen Katze überlistet zu werden.«
16
»Wenn du dich nicht beeilst, kommen wir zu spät«, drängte Juts ihren Mann, der gerade seine Fliege band. »Du bist immer zu spät dran. Du kommst noch zu spät zu deiner eigenen Beerdigung.«
»Ich bin fast fertig«, sagte er gelassen.
Chester, der schon sein ganzes Leben von seiner Mutter und nun von seiner Frau geschubst und gedrängelt wurde, erschien regelmäßig mindestens eine halbe Stunde zu spät.
Das Telefon klingelte zweimal, ihr Signal, seit sie einen Gemeinschaftsanschluß hatten, wie alle in Runnymede außer Celeste und den Rifes. Juts lief zur Treppe, nahm ab, brummte dann: »Deine Mutter.«
Chester griff nach dem Hörer; seine Fliege war gebunden, sein Hemd weiß und frisch gestärkt, seine Hose hatte Bügelfalten, seine zweifarbigen Budapester Schuhe waren auf Hochglanz poliert. Nachdem er seine Mutter begrüßt hatte, hörte er ihr einen Augenblick zu.
»Ist gut. Bis gleich.« Er drehte sich zu seiner Frau um, die die Hände in die Hüften stemmte. »Ich bring dich zu Wheezie, dann kannst du mit ihr fahren. Mom braucht mich eine Minute, um ihre Hintertür zu reparieren.«
»Herrgott noch mal«, rief Juts so laut, daß Buster bellte. »Sie braucht dich andauernd. Warum kann dein Vater sie nicht reparieren?«
»Weil er heute Abend auf einer Versammlung ist.«
»Schön, Chessy. Sie kann also ihre Hintertür nicht zumachen. Na und?«
»Sie hat Angst, daß der Wind die Tür aus den Angeln reißt und dann größere Reparaturen fällig wären.«
»So ein Quatsch.«
»Komm schon, ich fahr dich zu Wheezie.«
So wütend, daß sie nicht sprechen konnte, stakste Juts zu dem Chevrolet Roadster Cabriolet Baujahr 1933, das Chessy gebraucht gekauft hatte. Er hatte den flaschengrünen Wagen mit Pflegemitteln überschüttet, bis er funkelte, als sei er zur Ausstellung im Verkaufsraum bestimmt.
Juts knallte die Tür so fest zu, daß das schwere Gefährt wackelte. Sie war noch nie gebeten worden, ihren Fuß in Josephine Smith' Haus zu setzen - das war die Rache ihrer Schwiegermutter dafür, daß Chester unter seinem Stand geheiratet hatte. Juts haßte jede Minute, die Chester bei dieser Frau verbrachte.
Chessy rutschte schweigend hinters Steuer und legte seinen steifen Strohhut zwischen sie auf den Sitz. Die weiche gelbbraune genoppte Polsterung war noch völlig intakt.
Yoyo und Buster blickten wehmütig aus dem vorderen Fenster, als das Auto rückwärts aus der Einfahrt setzte.
»Du kommst nicht vor zehn zu Dingledines. Ich kenne deine Mutter. Erst reparierst du ihre Hintertür, und dann läßt sie dich den Heizkessel nachsehen, und danach will sie, daß du die Messer vom Rasenmäher schleifst, weil Rup sich wegen seiner Zipperlein nicht so lange bücken kann.«
»Da wären wir.« Er rang sich ein Lächeln ab, als sie bei Louises Haus ankamen. »Gerade zur rechten Zeit.«
Louise, Paul, Mary und Maizie stiegen soeben ins Auto. Ohne ein Wort des Abschieds knallte Juts die Tür zu. Chester winkte den Trumbulls und setzte zurück.
»Was gibt's Neues?«, fragte Louise.
»Mutter Smith braucht ihren Sohn.«
»Oh.« Wheezie quetschte sich neben ihren Mann, damit Juts noch vorne hinpaßte. Die Mädchen auf dem Rücksitz kicherten.
»Heiratet nie einen Mann, bevor ihr euch seine Mutter genau angesehen habt«, rief Juts über die Schulter. »Hört ihr mich da hinten?«
»Ja, Tante Juts«, ertönte es einstimmig.
»Daddy, was hast du gedacht, als du G-Mom zum ersten Mal begegnet bist?«, fragte Mary.
»Ich wünschte, du würdest sie nicht G-Mom nennen. Das klingt, als sei sie ein Gangster«, murrte Wheezie.
»Ich dachte«, sagte Pearlie lächelnd, als er sich an jenen weit zurückliegenden Tag erinnerte, »daß sie die netteste, charmanteste Dame ist, der ich je begegnet bin - ganz ähnlich wie meine eigene Mutter.«
Pearlies Mutter war gestorben, bevor die Mädchen geboren wurden. Obwohl das siebzehn Jahre zurücklag, vermißte er sie immer noch.
»Das hast du aber lieb gesagt.« Louise tätschelte seinen Arm.
»Mom, was hast du gedacht, als du Mrs. Smith kennen gelernt hast?« Mary weitete das Thema aus.
»Oh.«
»Nicht ausweichen, Wheezer«, sagte Juts.
»Ich habe gedacht«, Louise wägte ihre Worte, »daß Josephine Smith eine sehr hohe Meinung von sich und eine niedrige Meinung von uns Übrigen hat - aber ich habe sie ja von klein auf gekannt. Sie hat nie mit einer Hunsenmeir gesprochen.«
Wie Julia vorausgesagt hatte, fand Jo zahlreiche Aufgaben für ihren Sohn. Chester reparierte die Tür, dann sah er nach einem tropfenden Wasserhahn in der hinteren Toilette und tauschte eine Dichtung aus. Als sie ihn zu dem alten Stall hinterm Haus lotsen wollte, der jetzt als Garage diente, sträubte er sich. Chester hielt nichts davon, die Stimme zu erheben, schon gar nicht gegenüber seiner Mutter. Sie schimpfte über lockere Moral, über zunehmenden Alkoholgenuß im Gesellschaftsleben, über die Dingledines, die viel zu viel für eine kümmerliche Azalee berechneten, und über Julia Ellen, die sich beim Tanzen schamlos produzierte. Sie erinnerte ihren Ältesten daran, daß er nicht tanzen konnte, also wozu die Eile?