»Mutter, ich bin ohnehin schon spät dran.«
»Du hörst mir nicht zu. Nicht ein bißchen.«
»Doch.«
»Du bist Ostern für genau eine Stunde hergekommen. Eine Stunde für deine eigene Familie.«
Da er wußte, daß man es ihr nicht recht machen konnte, küßte er sie auf die Wange und ging. Sie stand in der Tür und schimpfte noch, als er schon davonfuhr.
Das Fest war in vollem Gang. Er setzte sich zu Maizie an den Tisch, da alle außer ihr tanzten.
»Hallo, junge Dame.« Er strahlte sie an, und sie strahlte ihren großen blonden Onkel ebenfalls an. »Läßt du diesen Tanz aus?«
»Onkel Chessy, nur mein Daddy hat mich zum Tanzen aufgefordert.« Ihr Gesicht verzog sich, als sie das sagte.
»Tatsächlich?«
»Magst du nicht mit mir tanzen?«
»Ich kann nicht tanzen. Ich hab zwei linke Füße.«
Tränen schossen ihr in die haselnußbraunen Augen. »Niemand hat mich gern.«
Er legte seinen mächtigen Arm um ihre schmalen Schultern. »Das ist nicht wahr. Ich hab dich gern. Ich finde, du bist das hübscheste Mädchen hier. Du bist noch jung, und hier sind nicht viele Jungs in deinem Alter. Ehrlich gesagt sehe ich keinen Einzigen.«
»Ich bin vierzehn.«
Sie war am 1. April vierzehn geworden.
»Du wirst mit jedem Tag größer.« Er bemerkte das rundliche Gesicht, die einst pummeligen Gliedmaßen, die jetzt schlaksig wurden. Bei Maizie stand ein neuer Wachstumsschub bevor. Er fragte sich, wie seine Kinder aussehen würden, wenn er welche hätte.
»Onkel Chessy, ich wünschte, du würdest tanzen lernen.«
Er lachte. »Du und meine Frau.« Er nickte zu Juts auf dem hölzernen Tanzboden hinüber. Papierlaternen schwankten über den Köpfen. Ein Schwarm von Männern umschwirrte Juts. Sie hatte ein phantastisches Rhythmusgefühl und eine wunderschöne Figur. Die Männer konnten ihre Blicke nicht von der tanzenden Juts wenden.
Maizie weinte jetzt richtig. »Ich kriege nie einen Freund. Ich werde nie Verehrer haben wie Tante Juts.«
»Süße, das wirst du bestimmt. Und jetzt Kopf hoch! Das hübscheste Mädchen auf dem Ball darf doch nicht weinen. Sonst machen die Leute sich noch Gedanken.«
Sie schniefte: »Und weißt du was? Mary tanzt mit allen.« Sie schluchzte laut. »Sie sagt, Mom hat gesagt, sie soll mit mehr Jungs tanzen als nur mit Extra Billy, also tut sie's, und sie gibt mir keinen ab.«
Er küßte sie auf den Kopf und wiegte sie ein wenig, seinen Arm um ihre Schultern gelegt, denn er wußte nicht, was er noch tun oder sagen konnte.
Eine reizende junge Frau trat an den Tisch. Sie beugte sich herab und sprach Maizie an.
»Ich habe zufällig mitgehört. Komm mit mir auf den Tanzboden. Ich bringe dir ein paar neue Schritte bei.«
Chester stand auf. »Hallo, ich bin Chester Smith, und dies ist meine Nichte Maizie Trumbull.«
»Trudy Archer. Ich bin gerade von Baltimore hierher gezogen.« Sie schenkte ihm ein betörendes Lächeln. Er schätzte sie auf zwanzig oder vielleicht zweiundzwanzig.
»Willkommen in Runnymede. Wir sind nur ein kleiner Spucknapf« - er lächelte -, »aber wir packen eine Menge Leben in dieses Nest.«
»Das sehe ich. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Maizie mit auf den Tanzboden nehme?« Sie hielt kurz inne. »Ich mache in der Hanover Street eine Tanzschule auf. Ich bin in Baltimore im Fred-Astaire-Studio ausgebildet worden.«
Maizie war schon aufgestanden. Chester nickte zum Einverständnis, und Trudy führte das Mädchen auf die Seite, zeigte ihr ein paar Grundschritte, wirbelte sie dann herum. Maizie war hingerissen. Extra Billy kam vorbeigeschlendert. Er behielt Mary im Auge, die beherzt mit allen tanzte, um ihre Mutter zufrieden zu stellen. Chester winkte ihn zu sich.
»Sir?« Extra Billy straffte die breiten Schultern.
»Ich helfe dir, wenn du mir hilfst.«
»Ja, Sir.« Billy achtete Chester. Das taten die meisten Männer, und nicht nur wegen Chessys kräftigem Körperbau, sondern weil er, wie die Jungs sagten, kein Hosenscheißer war.
»Ich helfe dir bei der Meade-Statue, wenn ihr mit Maizie tanzt, du und deine Freunde. Sie ist in einem schwierigen Alter, und sie hat sich die Augen ausgeheult.« Er hielt kurz inne. »Und weißt du, Bill, es könnte nicht schaden, wenn du dir bei Louise Trumbull ein paar Sporen verdienst. Laß den Abend noch ein bißchen fortschreiten, und dann solltest du Louise zum Tanzen auffordern und ihr sagen, daß sie aussieht wie Marys Schwester.«
Extra Billy lächelte. »Ja, Sir. Danke, Sir.«
Als Trudy Maizie an den Tisch zurückführte, reichte Extra Billy ihr seinen Arm. »Maizie.«
»Oh«, quiekte sie.
Trudy lächelte, als Chester wieder aufstand. »Bitte leisten Sie mir Gesellschaft. Meine Frau kommt erst an den Tisch zurück, wenn das Fest vorbei ist. Ich war immer der Meinung, sie könnte mit Fred Astaire tanzen.« Er deutete auf Julia Ellen.
»Ein echtes Naturtalent«, würdigte Trudy Julias Gabe. »Sie tanzen nicht?«
»O nein.«
»Sie sehen aber wie ein Sportler aus.«
»Ich kann wohl einen Ball werfen oder treffen, aber, Miss Archer, ansonsten bin ich ziemlich ungelenk.«
»Wenn Sie in meine Tanzschule kommen, gebe ich Ihnen eine Gratisstunde.« Als er zögerte, setzte sie nach. »Wäre es nicht wunderbar, Ihre Frau in die Arme zu nehmen und sie zu überraschen? Das würde ihr sicher gefallen.«
Chester blickte ihr in die klaren, beunruhigend grünen Augen und hörte sich sagen: »Ah - ich kann Sie nicht derart ausnutzen, Miss, aber tanzen würde ich schon gern können. Ich fürchte, alle werden mich auslachen.«
»Eine Gratisstunde. Und ich verspreche, ichverspreche Ihnen, daß niemand lachen wird - sonst bekommen Sie Ihr Geld zurück.«
»Abgemacht.«
»Dienstag um halb sieben?«
»Bis dann, Miss Archer.«
»Ach bitte, nennen Sie mich Trudy. Miss Archer hört sich an, als würde ich Scheibenschießen unterrichten.« Sie erhob sich, und er stand erneut auf. Sie warf ihm über die Schulter ein strahlendes Lächeln zu. Er setzte sich hin und fragte sich, warum um alles in der Welt er so eine idiotische Zusage gemacht hatte.
Maizie kam zurück, als der Tanz vorbei war, doch ehe sie sich setzen konnte, griff Ray Parker, Billys bester Freund, nach ihrem Arm. »Komm, Maizie, ich brauch 'ne Freundin.«
»Mensch, Onkel Chessy, das ist irre«, schwärmte sie, dann wirbelte sie davon.
Wie ihm aufgetragen worden war, forderte Extra Billy Louise zum Tanzen auf. Sie reagierte zunächst etwas steif, wies ihn aber nicht zurück. Das hätte gegen den Benimmkodex der Südstaaten verstoßen. Paul, erschöpft vom Tanzen, setzte sich zu Chester an den Tisch.
»Kaltes Bier.« Chester schob dem ausgetrockneten Paul ein frisches Bier hin.
Paul kippte es dankbar hinunter. »Celeste Chalfonte mag ja über sechzig sein, aber sie hat mich geschafft.«
»Sie ist unglaublich.«
Pearlie erblickte Louise in den Armen von Extra Billy. »Was sagt man dazu? Der Junge hat Mumm.«
»Der Junge wird vermutlich dein Schwiegersohn, also sollten wir besser überlegen, wie wir mit ihm zurechtkommen.«
Ein Schatten huschte über Pearlies Gesicht. »Ich glaube, du hast Recht. Was würdest du tun?«