Er wühlte mit dem Zeigefinger in der Nußbüchse. »Nur Erdnüsse. Etikettenschwindel.« Er knallte die Büchse auf die Anrichte.
»Ich weiß. Eine Unverschämtheit«, sagte Juts und reichte ihm seinen Drink.
20
Junior McGrail vertrat den Standpunkt, mehr sei mehr. Wankend unter dem Gewicht von Armreifen, großen baumelnden Ohrringen und mehrreihigen Perlenketten um den fleischigen Hals, marschierte sie über die Frederick Road, ohne nach rechts und links zu schauen. Das erforderte allerdings eine Menge Disziplin.
Die Eröffnung desCurl 'n' Twirl hatte sich zu einem Straßenfest ausgeweitet. Pearlie Trumbull, der führende Kopf hinter dem fröhlichen Treiben, war zum Budweiser-Großhändler gefahren und hatte sechs Fäßchen Bier gekauft.
Als Chessy fragte, ob er sich das leisten könne, antwortete Pearlie, sie könnten es sich nicht leisten, es nicht zu tun. Chessy schleppte in seinem alten Lieferwagen schwere halbierte Whiskyfässer an, randvoll mit Eis, Sodawasser und Mixern. Er hatte sie bei einer großen Brennerei in den Hafenanlagen von Baltimore gekauft. Noe Mojo, der japanischstämmige Ehemann von Louises Busenfreundin Orrie, hatte ihm beim Aufladen geholfen.
Um der Feier einen Hauch von Sünde zu verleihen, hatte Chester den besten schwarz gebrannten Schnaps diesseits des Mississippi gekauft, der in Nelson County, Virginia, gebrannt und unter der Hand von Davy Bitters, Billys älterem Bruder, verkauft wurde. Mit dem Wasser der Bergbäche der Blue Ridge Mountains ließ sich ein ausgezeichneter Schnaps herstellen, doch man mußte sich vorsehen. Wenn man zu viel davon trank, gehorchten einem die Knie nicht mehr.
Die Jungs hatten die Schnapsflaschen in diversen Handschuhfächern und Kofferräumen verstaut, und als besondere Mutprobe gab es Flachmänner.
Mit Ausnahme von Junior war die Stadt vollzählig angerückt. Sogar Caesura Frothingham erschien. Sie behauptete, sich für die gute, arme Junior ein Bild machen zu wollen.
Junior gab vor, auf dem Weg zum Kino zu sein, aber da die Vorstellung erst in einer Stunde begann, wußten alle, daß sie log. Außerdem brauchte sie nur von der anderen Seite über den Platz zu gehen, um dorthin zu gelangen.
»Junior, komm her«, lockte Juts, die nie nachtragend war. Überdies hatte sie von dem Schwarzgebrannten gekostet.
»Niemals.« Junior funkelte Caesura böse an und setzte ihren Weg fort.
Orrie Tadja Mojo flüsterte Louise naserümpfend ins Ohr: »Die tragische Königin.«
Dank Mary und Maizie hatte sich die Jugend der High School von Süd-Runnymede eingefunden, und auch von der Nord- Runnymede-High-School kamen viele.
Juts hatte sogar eine kleine Kapelle engagiert.
Trudy Archer flüsterte Chessy ins Ohr: »Warum tanzen Sie nicht?«
»Ich bin noch nicht so weit.«
»Sie hatten drei Tanzstunden, vier mit der Gratisstunde.«
»Ich bin zu.« Er zuckte die Achseln. »Das kommt schon noch. Sie müssen Geduld haben.«
»Mache ich meine Arbeit nicht gut?«
Er klopfte ihr auf die Schulter. »Sie sind großartig. Wenn ich so weit bin - also, das werde ich schon merken. Und jetzt gehen Sie und schnappen sich einen von den Männern. Edgar Frost ist ein guter Tänzer.«
Sie lächelte und ging zu dem Rechtsanwalt, den sie vor ein paar Tagen kennen gelernt hatte.
Die uralten ledigen Rife-Drillinge, die Schwestern von Brutus - Ruby, Rose und Rachel - erschienen in Begleitung wesentlich jüngerer Männer. Man konnte sie durch ihre Kleidung auseinander halten. Ruby trug Mainbocher, Rachel trug Hattie Carnegie, und Rose hatte erst vor kurzem Sophie of Saks entdeckt. Infolge des Krieges konnte man nicht nach Paris, und während er Europa verwüstete, erwies er sich für amerikanische Modemacher als Segen. Rubys Putzmacherin war Lilly Dache, Rachel schwärmte für den Hutmacher John Fredericks, und Rose stürzte sich auf einen aufsteigenden Stern am Huthimmel, Tatiana, Gräfin du Plessix.
Die La-Squandra-Schwestern, wie man sie hinter ihrem Rücken nannte, wurden geduldet, nicht, weil sie Geld ausgaben, sondern weil sie so offenkundig unbrauchbar waren. Man munkelte, daß sie nicht mal imstande seien, sich ihr Badewasser selbst einzulassen. Natürlich konnte man sie nicht für die Sünden ihres verstorbenen Bruders und Vaters verantwortlich machen.
Da sie nicht lange stehen konnten, machten sie es sich in den Frisierstühlen bequem, die Juts gekauft hatte.
Als sich Fannie Jump Creighton, von Verehrern umringt, an ihnen vorbeidrückte, fragte Rose: »Fannie Jump, meinst du, die Mädels haben Erfolg? So, wie die sich immer kabbeln.«
Fannie blieb stehen und bewunderte den flotten Hut mit den geschweiften gelben Federn. »Sie werden zu viel zu tun haben, um sich zu streiten.«
Celeste trat aus dem Privatraum, ein engelhaftes Lächeln im Gesicht. Sie schob sich zu Fannie hinüber.
»Celeste, Celeste, meine Liebe!« Rachel streckte die behandschuhte Hand aus und stieß in einem Anfall von Geistesklarheit hervor: »Du sollst wissen, ich habe es dir nie verübelt, daß du Brutus umgebracht hast. Auch wenn er mein Bruder war, er war ein brutales Miststück.«
Im Raum herrschte lautes Stimmengewirr, und nur Cora und Fannie bekamen diese Erklärung mit.
»Bist du wohl still, Kleines«, zischte Rose Rachel zu.
Ruby blinzelte mit ihren großen kobaltblauen Augen, als kehre sie soeben in die Welt zurück. »Aber sie hat es getan, Rosie, das weiß doch jeder.«
Cora schritt ein. »Wer weiß schon, wie solche Dinge geschehen? Er hatte viele Feinde, und 1920 liegt so lange zurück.«
»Ich weiß es!«, schmollte Rachel. »Er hat meinen Verehrer verprellt.«
»Dein Verehrer war nur hinter deinem Geld her«, brummte Rose. »Wenn Brutus ihn nicht rausgeworfen hätte, dann hätte ich es getan.«
»Eifersüchtig«, erwiderte Rachel triumphierend. »Aber Celeste, meine Liebe, es hat mir nicht das Geringste ausgemacht, daß du ihn erschossen hast.«
»Also Rachel, hänge mir nichts an, was du nicht nachweisen kannst.« Celeste hatte Brutus tatsächlich vor einundzwanzig Jahren aus mehreren Gründen erschossen, nicht zuletzt wegen der Schreckensherrschaft, die er in der Stadt ausübte. Sie hatte es nie zugegeben und würde es auch nie zugeben. »Was deinen Verehrer betrifft, das war vor meiner Zeit, aber wie ich hörte, sah er sehr gut aus.«
»Oh, er hatte so zarte Hände, Mädchenhände«, seufzte Rachel kokett.
»Ha!«, entfuhr es Ruby, bevor sie wieder in Schweigen versank. Celeste schob sich durch die Menge, dicht gefolgt von Cora und Fannie.
»Unbrauchbar wie Zitzen an 'nem Keiler«, murmelte Cora.
Popeye Huffstetler, der an der Eingangstür von Caesura Frothingham mit Beschlag belegt wurde, nutzte die Chance zur Flucht, indem er sich an Celeste heftete, die gut dreißig Zentimeter größer war als das mickrige Männlein.
Caesura rief ihm nach: »Popeye, Sie sind kein guter Reporter. Sie haben nicht herausgefunden, wer George Gordon Meade umgenietet hat.«
»Robert E. Lee«, antwortete ihr Celeste.
»Sie halten sich wohl für sehr geistreich, Celeste Chalfonte.« Caesura ließ sich noch ein Bier geben, das ihr in einem Sherryglas gereicht wurde, so daß sie häufig nachtanken mußte.
»Caesura, lassen Sie uns diese großartige Eröffnung feiern. Ich finde es schön, daß Sie vorbeigekommen sind.«
»Ich bin gekommen, um für Junior zu spionieren.«
»Trinken Sie noch einen Schluck«, empfahl Cora.
»Kann nicht schaden.«
»Junior marschiert da draußen auf und ab. Sie spioniert für sich selbst«, sagte Fanny mißbilligend.
»Mit dir spreche ich nicht.«
»Um so besser.« Fannie schob sich an Caesura vorbei auf die Straße.
Julia Ellen tanzte mit sämtlichen Jungen beider High Schools. Louise war so glücklich, wie man sie noch nie gesehen hatte. Sie hob ein paar Mal warnend ihren Finger in Marys Richtung, damit sie sich ja nicht mit Extra Billy davonstahl.