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»Hör auf«, zischte Louise leise.

»Ich kann nicht.« Juts erstickte fast.

»Ich werde mein erstes Magengeschwür nach dir benennen.« Louise stieß Juts so fest mit dem Ellenbogen an, daß hinter den Schwestern ein hörbaresUmpf zu vernehmen war. Die Hoch­zeitsgäste nahmen an, beide seien von Emotionen überwältigt. Insoweit hatten sie Recht. Glücklicherweise verbarg die Kon­vention, um was für Emotionen es sich handelte. Die Menschen sehen, was sie sehen wollen.

Juts fühlte Chessys starke Hand, die ihre nahm und sanft drückte. Sie riß sich zusammen, doch sie wußte, nie würde sie an diese Hochzeit denken können, ohne an Seamus zu denken, den dicken Irish Setter.

Braut und Bräutigam drehten auf der Fahrt zu ihren Flitterwo­chen nach Baltimore eine Ehrenrunde um den Platz. Etwa acht Kilometer außerhalb der Stadt schaltete Extra Billy das Radio ein. Auf der Stelle kehrte er um und fuhr an diesem eisigen Morgen des 7. Dezember nach Runnymede zurück.

TEIL ZWEI

26

Es ist schon merkwürdig, was nach einer seismischen Erschüt­terung im Gedächtnis haften bleibt wie Baumwollreste an einer abgezupften Samenkapsel.

Der Salon war sonntags und montags geschlossen, also spa­zierten Julia und Louise mit Buster und Doodlebug um den Platz. Selbst die Hunde waren trübsinnig. Das Postamt auf der Nordseite stand hinter dem prächtigen Rathaus am Platz. Das aus Granit errichtete Postamt mit den dorischen Säulen - das Rathaus hingegen hatte ionische Säulen -, ragte hoch auf. Zwei enorme Kohlenbecken, ein halbes Stockwerk hoch, flankierten die Treppenstufen. Obwohl blasses Winterlicht durch die glü­henden Wolken sickerte, brannte das Feuer in den Becken. Eine Schlange von jungen, mittleren und sogar alten Männern zog sich den Emmitsburg Pike entlang; eine zweite Schlange wand sich um das Rathaus fast bis zur Hanover Street.

Arm in Arm standen die Schwestern da und gafften. Billy Bit­ters, einen abgetragenen Schal um den Hals, wartete geduldig. Sobald er die Nachrichten im Radio gehört hatte, war er umge­dreht und nach Hause gefahren. Die Flitterwochen mußten war­ten. Er war umringt von Ray Parker, Jacob Epstein, Doak Gar­ten und anderen Freunden. Er lächelte und winkte den Hunsen­meirs zu. Juts winkte zurück. Louise nickte. Schlimm genug, daß er ihre Tochter geheiratet hatte. Jetzt würde er sie auch noch verlassen.

Sie gingen zum Postamt von Süd-Runnymede, einer beschei­deneren Angelegenheit aus weißem Balkenwerk mit einer lang gestreckten Veranda und grünen Fensterläden. Die amerikani­sche Flagge wehte auf Halbmast, ebenso die Flagge von Mary­land, eine ausnehmend schöne rotschwarz-gelbe Staatsflagge, viergeteilt und mit dem Wappen von Lord Baltimore verziert. Das Postgebäude stand mit der Front zur Baltimore Street. Eine Schlange von Männern wand sich am Platz entlang in westli­cher Richtung; Nachzügler hatten sich in der Gasse zwischen der Bibliothek und dem Postamt angestellt. Eine weitere Schlange erstreckte sich nach Osten die ganze Baltimore Street hinunter. Paul Trumbull und Chester Smith standen nebenein­ander in dieser Schlange.

Juts ließ Louise stehen und rannte los. Louise brauchte eine Sekunde, bis sie ihren Mann dort in der Kälte stehen sah. Dann rannte auch sie hin.

»Chester, tu's nicht. Du bist sechsunddreißig. Du bist zu alt.«

»Schatz, geh nach Hause.«

»Du kannst nicht in den Krieg ziehen. Ich werde verhun­gern!«, wimmerte sie.

»Du wirst nicht verhungern.«

»Man wird dich nicht nehmen. Ich sage dir, du verschwendest deine Zeit.«

»Julia Ellen, du hast hier nichts zu suchen.«

»Wieso nicht? In der Schlange stehen sogar Frauen.«

»Hm - ah«, druckste er herum, »zwei aus derselben Familie können sich nicht melden.«

Louise las mittlerweile Pearlie die Leviten. Er blieb standhaft.

Schließlich gingen die Schwestern weinend fort. Da sie die Hälfte ihrer Schulden abbezahlt hatten, schauten sie bei Cad­walder herein und trafen Flavius Cadwalder ebenfalls in Tränen aufgelöst an.

»Mädels, entschuldigt.« Er wischte sich die Tränen fort.

»Wo ist Vaughn?«

»Er stand heute Morgen um sechs in der Eiseskälte vor dem Postamt.« Stolz und Sorge sprachen aus seinem Gesichtsaus­druck. »Vaughn hat sich zum Militär gemeldet. Er war der Er­ste, der sich heute verpflichtet hat.«

»Hm.« Juts überlegte einen Moment und sagte dann: »Sie haben einen wunderbaren Sohn großgezogen. Er wird bestimmt ein guter Soldat.«

Er drückte eins der dünnen weißen Baumwolltücher, die zum Abtrocknen der Gläser dienten, an sein Gesicht.

Louise klopfte ihm über die Theke hinweg auf die Schulter. »Flavius, alles wird gut.«

Er wischte sich die Augen. »Wheezie, nichts wird mehr sein wie früher. Die Welt ist verrückt geworden.« Er schniefte. »Und ich vergesse ganz, was sich gehört. Was darf ich euch bringen?« »Wir wollen eigentlich gar nichts. Wir wissen nicht, was wir tun sollen.« Louises Lippen zitterten. »Unsere Männer stehen auch in der Schlange, sie melden sich hinter unserem Rücken zum Militär.« Louise fing an zu weinen.

Darauf mußten auch Julia und Flavius weinen. Die Yosts ka­men herein. Bald weinten alle, die eintraten. Man war erschüt­tert, verwirrt und zutiefst besorgt.

Lillian sagte: »Ted Baeckle wird weder Chessy noch Pearlie nehmen. Keine Bange.«

Ted Baeckle war der Rekrutierer der Armee. Als Deutschland am 1. September 1939 in Polen einmarschiert war, hatte Juts vorsorglich Ted aufgesucht und ihn gebeten, Chester nicht ein­zuziehen, sollte er sich freiwillig melden.

Ted hatte erwidert, sie solle sich keine Sorgen machen. Die Vereinigten Staaten befänden sich nicht im Krieg. Wenn sie in den Krieg einträten, würde er ihren Mann freistellen. Das war allerdings zwei Jahre her, und jetzt machte sie sich große Sor­gen.

»Im Bürgerkrieg haben sie Männer über sechzig und zwölf­jährige Jungen genommen.« Juts tupfte sich die Augen ab. »Woher wissen wir, daß es nicht wieder so wird?«

»So schlimm steht es nicht mit uns«, erklärte Lillian.

Die Tür schwang auf. Doak Garten kam herein. Er lächelte ih­nen zu. »Marine!«

»Mein Gott«, rief Louise aus, dann rang sie sich ein Lächeln ab. »Du hast es richtig gemacht, Doak, uns allen ist bloß - ich weiß nicht, wie uns ist.«

»Elend«, antwortete Juts, die Hand unterm Kinn.

In diesem Moment kam Ray hereingefegt. Er und Doak klopf­ten sich gegenseitig auf den Rücken. Für sie war dies ein großes Abenteuer.

Louise fragte Ray: »Ist Extra Billy noch in der Schlange?«

»Ja, Ma'am, Mrs. Trumbull, und er will sich fürs Marinekorps melden.«

»Typisch«, brummte sie.

Julia flüsterte: »Louise, du kannst so ekelhaft sein. Der Junge könnte immerhin umkommen.« »Sei nicht so theatralisch, Julia. Er ist zu dickköpfig, um zu exerzieren. Er wird den Krieg im Bau verbringen.« Sie hätte fast hinzugefügt: »Und was soll ich mit einer heulenden Mary und einem schreienden Baby anfangen?«

Louise hatte sich gründlich geirrt.

27

»Du weißt, wie sehr ich den Krieg verabscheue, ganz egal, was ihn ausgelöst hat«, erklärte Mutter Smith. »Gottlob hat Ted Baeckle Vernunft an den Tag gelegt.«

Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, sah Chester ver­stohlen auf die Uhr. »Ja, Mutter.«

»Wozu habe ich dich großgezogen, wenn du auf unmorali­schem Treiben beharrst? Krieg ist unmoralisch.«

»Ted hat mich zum stellvertretenden Kommandeur im Warn­dienst des Zivilen Luftschutzes ernannt. Das ist immerhin bes­ser als nichts. Celeste Chalfonte steht natürlich an der Spitze. Sie wird alle auf Vordermann bringen.« Chessy seufzte.

»Das A und O des Krieges.« Jo Smith schob das Kinn vor.