Выбрать главу

»Die gegenwärtige Rife-Sippe würde eher Blut saugen als vergießen.« Celeste lehnte sich mit halb geschlossenen Augen zurück. »Brutus war wenigstens ein ernst zu nehmender Geg­ner. Nein - hier haben wir es mit einem unbedeutenden Wicht zu tun, der sich jetzt sehr mächtig vorkommt.« Dann fragte sie: »Wann kommt Noes Zug an?« »Halb acht«, erwiderte Louise. Sie hatte bereits allen erzählt, daß Orrie die Nachricht sehr tapfer aufgenommen hatte und heilfroh war, daß Matilda lebte.

»Meine Damen, wir sollten den Zug in Empfang nehmen.«

Viele teilten Celestes Meinung. Als Noe am Bahnhofausstieg, waren seine Freunde und die ihm Wohlgesinnten zur Stelle, ebenso der unvermeidliche Popeye Huffstetler.

Noe teilte dem lästigen Reporter mit, daß man ihn bei der Ar­mee genommen hatte und ihn höchstwahrscheinlich einsetzen würde, um Nachrichten des Feindes zu entschlüsseln.

»Was ist das für ein Gefühl, gegen Ihr Land zu kämpfen?«, fragte Popeye.

Noe, der im Angesicht der Dummheit die Fassung bewahrte, antwortete: »Dies ist mein Land.«

»Aber sind Sie nicht wütend? Jemand hat Ihren Betrieb in Brand gesteckt.«

Noe zuckte die Achseln. »Ich bin wütend, ich bin traurig.«

»Was glauben Sie, wer das getan hat?« Popeye ließ nicht locker.

»Halten Sie endlich den Mund.« Chessy zog Noe fort.

Walter Falkenroth stand in der Gruppe, doch es war sein ei­sernes Prinzip, sich bei seinen Reportern nicht einzumischen. Allerdings warf er Popeye einen mißbilligenden Blick zu.

Orrie hielt sich tapfer, bis sie ihren Mann umarmte, dann weinte sie wie ein Baby.

»Unsere ganze harte Arbeit«, schluchzte sie.

Er flüsterte ihr ins Ohr: »Es wird schon wieder, Liebes. Wir sind noch jung. Wir bauen alles wieder auf, wenn der Krieg vorüber ist.«

Extra Billy hatte den Arm um Mary gelegt und küßte sie auf die Wange.

»Billy, weißt du irgendwas darüber?«, fragte Mary ihre Quelle der Weisheit.

»Nein, aber ich würde es gern rauskriegen.«

Ihre Augen trübten sich. »Ich kann nicht glauben, daß du mich verläßt.«

»Ich komm ja wieder.« Er küßte sie nochmals.

Zeb Vance schob sich nach vorn. »Noe, Sie sollen wissen, daß Julius und Pole Rife mit mir zusammenarbeiten. Wir finden eine Lösung, keine Bange.«

»Danke, Zeb.«

»Ich trete in sechs Wochen meinen Militärdienst an. Wenn wir bis dahin nicht alles unter Dach und Fach haben, übernimmt Priscilla Donaldson in meinem Büro den Fall. Sie wird ihre Arbeit gut machen.« Er drückte Noe die Hand und scherzte: »Ihr Mädels werdet wohl ohne uns auskommen müssen.«

Marys lautes Heulen durchdrang die Stille. Dann fingen auch die anderen Frauen an zu weinen.

Father O'Reilly hob die Hand zum Segen. »Freunde, lasset uns zusammen beten.«

Gesagt, getan, und jeder wußte, daß sie zum letzten Mal alle zusammen waren.

30

Anfangs hatten ihre pelzgefütterten Halbstiefel die Kälte ab­gehalten, aber Juts war den ganzen Tag auf den Beinen gewesen - einkaufen. Inzwischen waren ihre Zehen blau gefroren.

Louise, Toots und Juts hatten sich jeweils einen Tag frei ge­nommen, um ihre Weihnachtseinkäufe zu erledigen. Juts mein­te, an alle gedacht zu haben - sie hatte eine große Katzenmin­zemaus für Yoyo gekauft und Kauknochen für Buster und Doodlebug -, dann fiel ihr ein, daß sie ein Geschenk für Hans­ford brauchte. Sie hatte den kranken Mann nicht in ihr Herz geschlossen, aber sie konnte ihn nicht übergehen - nicht Weih­nachten.

Ihre Kundinnen bekamen alle eine kostenlose Maniküre. So konnte niemand behaupten, daß sie jemanden begünstige.

Sie wußte, wenn sie heute Abend einschlief, würde ihr jemand einfallen, den sie vergessen hatte.

Als sie an Senior Epsteins Juweliergeschäft vorbeikam, er­blickte sie Chester. Sie duckte sich und spähte um den Türpfo­sten. Er kaufte goldene Ohrringe in Muschelform. Sie liebte Ohrringe!

Vereinzelte Schneeflocken kreiselten vom bleiernen Himmel. Die Pakete wurden schwer. Durchgefroren bis auf die Knochen, setzte Juts sich auf eine Bank am Platz und wünschte, sie wäre eine Taube, die hoch auf einem Ast hockte und die Menschen unten beobachtete.

Ein riesiger Kranz war am Denkmal der drei konföderierten Soldaten niedergelegt worden. Der Schnee in ihren Augenhöh­len ließ sie blind aussehen. Ein noch größerer Kranz, gespendet von Caesura Frothingham, zierte George Gordon Meade. Der Schnee nahm zu. Die Lichter der Läden glitzerten durch das dichter werdende Grau und Weiß.

Einen flüchtigen Augenblick lang fühlte Juts, wie kostbar die­ser Ort für sie war, und sie wußte, daß jenseits des Atlantiks eine Engländerin, der sie nie begegnen würde, ihre eigene klei­ne Stadt ebenso sehr liebte. Aber Juts war in Sicherheit. Die Engländerin nicht. Juts wollte schier das Herz brechen aus Kummer um alle Frauen in der Welt. Sie hatten noch nie einen Krieg geführt, doch leiden und sterben taten sie in ihnen zuhauf.

Kleine Ringe in Rot, Gelb, Grün und Blau umgaben die bun­ten Weihnachtslichter in den Schaufenstern. Juts stand auf, schüttelte den Schnee ab und machte sich auf zum Bon-Ton, ihrer letzten Station.

Die wirbelnden Flocken, die Farben, die beißende Kälte, das Geräusch der Reifenketten im Schnee, ein gelegentliches Hu­pen, das Bellen eines Hundes, der es leid war, vor einem Ge­schäft auf sein Herrchen zu warten, aus solchen Lauten be­stand ihr Weihnachten.

Juts brütete nicht viel. Sie nahm das Leben, wie es kam. Sie wußte nicht, wohin ihr Leben strebte, nur, daß es schneller dort anlangte, als sie erwartet hatte.

Sie betrachtete ihr Leben als übersteuerten Autoskooter, als Windrädchen mit nackten Frauen darauf, als Schokoriegel und Würfelspiele, Longhornochsen und hitzige Pokerrunden, Rad­schlagen bei Sonnenaufgang und eine Spur von Traurigkeit bei Sonnenuntergang. Sie dachte an den Geruch von Busters Fell, wenn er aus dem Regen ins Haus kam, und an Yoyos putzige Angewohnheit, zerknülltes Papier aus dem Papierkorb zu fi­schen. Sie dachte an Chesters Lachen, den Geruch von Benzin und frisch gemähtem Gras und jetzt den feuchten Geruch fal­lenden Schnees.

Zum ersten Mal fragte sie sich, was ihre Mutter für Erinne­rungen hatte. Wenn dies alles ein Leben ausmachte - Eindrücke -, wie waren dann Coras?

Sie stieß die Drehtür vom Bon-Ton an und trat ein, betrachtete mit kindlichem Staunen die hohen Stützpfeiler, die mit rotem und goldenem Papier umwickelt waren. Die Holztheken waren mit rot-goldenen Wimpeln geschmückt und hatten einen Weih­nachtsmann in der Mitte, allerdings trugen die diversen Weih­nachtsmänner die Uniformen der Landstreitkräfte, der Marine, der Marineinfanterie, der Luftstreitkräfte und der Küstenwache. Die Schaufensterpuppen trugen die Uniformen der Alliierten.

Jemand rempelte Juts von hinten an.

»Verzeihung«, sagte Juts und trat aus dem Weg.

Tante Dimps, ebenfalls mit Paketen beladen, antwortete: »Ju­lia Ellen, willst du nicht Yoyo mitbringen und mal sehen, was ihr zu den Dekorationen einfällt?«

Juts lachte und dachte dann, was für ein Glück es war, daß sie in Runnymede lebte. auch wenn sie es mit Leuten wie Jose­phine Smith teilen mußte.

31

Mary faltete ein Blatt mittel-blaues Papier in der Mitte zusam­men und schob es sorgfältig in den Luftpostumschlag. Ihre Mutter würde über den Luftpostluxus meckern. Dem würde sich eine Aufzählung von Marys übrigen überflüssigen Ausgaben anschließen. Vorsichtshalber steckte sie ihre Briefe in ihre Bü­chertasche und sauste von der Schule zum Postamt.