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Juts erwiderte das Kompliment. »Du hast die schöneren Haa­re.«

»Ich finde euch beide hübsch. Wenn ich groß bin, will ich aussehen wie ihr.«

»Wenn du groß bist, siehst du aus wie du. Und wie wir heute aussehen, wird bis dahin sowieso so aus der Mode sein, daß du darüber lachst.«

»Meinst du?«

»Meine ich«, erwiderte Juts.

»Weißt du noch, diese gräßlichen hohen Knöpfstiefel, die wir immer getragen haben? Das hielten wir damals für den letzten Schrei.« Louise lachte.

»Ja.« Juts lächelte. »Weißt du, woran ich mich erinnere? Als wir klein waren, ging eine Dame im Sommer nicht ohne Son­nenschirm aus dem Haus. Eigentlich war es doch hübsch, mit Mom über den Platz zu gehen, und alle Damen hatten Sonnen­schirme in verschiedenen Farben - manche mit Spitze, andere mit Rüschen. Damals wußte man sich noch zu kleiden. Wenn das so weitergeht, trägt man überhaupt nichts mehr, wenn Nik­ky groß ist.«

»Der menschliche Körper wurde geschaffen, sich zu bedecken. Im Garten Eden.«

Juts unterbrach sie. »Der Garten Eden hat damit nichts zu tun. Kannst du dir Josephine Smith nackt vorstellen?«

»Lieber nicht.«

»Und Walter Falkenroth, dürr wie eine Bohnenstange?«

Louise schüttelte angewidert den Kopf.

»Und dann Caesura Frothingham, wahrscheinlich, als würde man einen Elefanten sehen, mit vielen Runzeln. Sie muß fünf­undneunzig sein, mindestens.«

»Und Harmon Nordness?«

Darauf brachen sie in schallendes Gelächter aus, denn die Wampe des Sheriffs gewann jedes Jahr an Umfang. Bald würde er beim Gehen seinen Bauch auf einem Karren vor sich her schieben müssen.

Nicky betrachtete ihre Beine; die goldenen Härchen reflektier­ten das Sonnenlicht. »Und ich?«

»Das ist was anderes. Kinder sind schön«, antwortete Louise.

»Peepbean nicht.«

»Er sähe gar nicht übel aus, wenn man seine Zähne richten ließe.«

»Wahre Schönheit kommt von innen«, zitierte Juts.

»Hübsch ist, was gefällt.«

Beide Schwestern schnippten mit den Fingern und sagten: »Der Schein trügt.« Dann lachten sie.

»Das sagt G-Mom immer.« Nickel lachte mit ihnen.

»Wir sollten ihre Sprüche aufschreiben. Sie hat ständig Le­bensregeln zitiert. Ab und zu läßt sie eine vom Stapel, als wären wir noch Kinder.« Julia streifte ihre Espadrilles ab; ihre Füße brannten.

»Sind wir wohl auch noch; für sie werden wir immer Kinder bleiben, genau wie Mary und Maizie für mich immer Kinder bleiben werden.«

»Momma, was sind das für Regeln?« Nicky sprang von der Bank. Die harten Latten taten ihr am Hintern weh. Sie war da nicht gut gepolstert.

»Regeln. Okay, hier sind ein paar Verkehrsregeln:Steh immer zu deinem Wort. Verrate nie einen Freund. Trage jede Nieder­lage mit Fassung. Mehr fallen mir nicht ein.«

»Such dir deine Freunde mit Sorgfalt aus. Du kannst nicht je­dermanns Freund sein. Das geht nicht«, fügte Louise hinzu.

»Wie lautet die goldene Regel?«, fragte Juts Nickel.

»Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem an­deren zu.«

»Falls du die Übrigen mal vergißt, hilft dir das Sprichwort. Aber leicht ist es nicht. Puuh, ich muß was trinken. Gewöhnlich macht mir Hitze nichts aus, aber heute schafft sie mich.« Juts stand auf. Sie gingen in Richtung Cadwalder, Nickel stürmte außer Hörweite voraus.

»Nicky dachte, das Gitarrenbuch könnte dir gefallen. Sie kann so süß sein. Ich hab's nicht über mich gebracht, ihr zu sagen, du möchtest lieber etwas anderes; sie hat es nämlich ganz allein ausgesucht.« »Sie ist ein kluges Köpfchen.«

»Ich wollte ihr das Würfelpuzzle mit der Laus kaufen. Alle Kinder sind verrückt nach dem Spiel, aber ihre Büchermappe hat sechs fünfundneunzig gekostet, so muß sie mit dem Spiel noch etwas warten. Sie nennt Peepbean Laus, was schon mal besser ist alsArschloch. <«

»Wenn du aufhören würdest zu fluchen, würde sie diese Aus­drücke nicht aufschnappen.«

»In Runnymede fluchen alle. So vergeudet man keine Zeit damit, nach dem richtigen Wort zu suchen.«

»Ich fluche nicht.«

»Hatte ich vergessen.«

»Ich nicht.«

Juts ging nicht weiter darauf ein. Ihr Blick ruhte auf Nickel, die jetzt über den Platz hüpfte, der ihr riesig vorkommen mußte. »Sie ist eine Wucht, nicht? Ich liebe sie.«

»Das ist es, was sie brauchen. Wenn mehr Kinder geliebt würden, hätten wir viel weniger Ärger auf dieser Welt.«

»Ich bemühe mich, eine gute Mutter zu sein.«

»Ich weiß. Bist du auch, Juts. Ich hacke wegen Kleinigkeiten auf dir herum, aber im Großen und Ganzen, doch, du bist eine gute Mutter. Kinder können einen zum Wahnsinn treiben. All­mählich denke ich, jede Mutter, die ihre Blagen nicht erwürgt, ist eine gute Mutter.« Sie winkte Lillian Yost zu, die am Park­rand vorbeiging.

»Chester geht so toll mit ihr um. Komisch, wenn ich ihn mit Nicky spielen sehe, liebe ich ihn um so mehr. Ich fange an, ihm wieder zu trauen.«

»Männer spielen mit Kindern, weil sie selbst Kinder sind.«

»Du bist manchmal zu streng mit den Männern.«

»Ha!«, schnaubte sie. »Zeig mir die Frau, die die Einkom­mensteuer erfunden hat. Na?«

»Eins zu null für dich.«

»Guck mal!«, rief Nicky, dann schlug sie ein Rad.

»Gut gemacht«, rief Juts. »Mir spukt eine Coca-Cola im Kopf herum. Komm, Nicky.« An der Ecke blieben sie stehen, sahen nach rechts und nach links, dann sprinteten sie zu Cadwalder hinüber.

Nachdem sie mit Flavius Cadwalder geplaudert hatten und auch mit Vaughn, der, ohne irgend jemanden einzuweihen, nicht einmal seinen Vater, am Abend Paul aufsuchen wollte, um seine Absichten kundzutun, gingen die drei erfrischt hinaus.

»Er wird um ihre Hand anhalten.« Louise, mit treffsicherer Intuition, war nervös.

»Besser als ihren Fuß«, witzelte Juts, und Nicky mußte ki­chern. »Gräm dich nicht so, Wheezie. Es ist gut so. Man hat es im Gefühl, wenn es stimmig ist.« Sie gingen zur Lee Street, wo Juts abbiegen würde, um nach Hause zu gehen.

»Schon möglich.«

»Hier ist unsere Ecke«, erklärte sie überflüssigerweise.

Louise blieb einen Moment stehen, dann platzte sie heraus: »Wenn du eine bessere Antwort hast, sag sie mir.«

»Worauf?« Julia war perplex.

»Weiß ich nicht.« Louise rang die Hände. »Manchmal habe ich das Gefühl, als würde eine Welle über mir zusammenschla­gen, und ich bin ganz krank vor Sorgen - um Vaughns Gesund­heit und.«

»Louise, zwei Jahre mit dem richtigen Mann sind besser als zwanzig mit dem falschen. Jetzt mach dich mal nicht verrückt. Wirklich. Sieh doch, wie gut es mit Mary und Extra Billy geht.«

»Sie zanken sich manchmal wie Hund und Katze.«

»Wer nicht?«

»Paul und ich haben uns nie so gezankt.«

»O doch. Ich weiß noch, einmal hat er das Auto genommen, hat sich betrunken, ist ewig weggeblieben, und Chessy mußte ihn suchen gehen.«

»Celeste hat ihn auf ihrem Pferd nach Hause gebracht.« Loui­se mußte lachen, als sie daran dachte.

»Wenn man für jemanden Gefühle hegt, können die sich er­hitzen. Besser, als kalt zu bleiben, oder?«

»Ich weiß.« Louise standen Tränen in den Augen. »Juts, wer­den wir langsam alt?«

Juts zuckte die Achseln. »Ich fühle mich nicht alt.« Sie legte den Arm und die noch mädchenhaft schmale Taille ihrer älteren Schwester. »Fühlst du dich alt?«

»An manchen Tagen fühle ich mich wie hundert, und ich weiß nicht mal warum. Und die seltsamsten Dinge schwimmen durch meinen Kopf, wie kleine Boote. Ich erinnere mich an Aimes und wie sehr Mom ihn geliebt hat.« Coras Freund war 1917 gestorben. »Ich erinnere mich an Celeste, wie sie ihr Kinn ge­hoben hat, ohne ein Wort, bloß das Kinn gehoben, und dann tat man besser daran, zu parieren. Ich erinnere mich an die Stroh­hüte, die wir einmal Ostern getragen haben. Du hast von mei­nem die Bänder abgerupft, und ich habe geheult. Ich erinnere mich, wie ich Mary das erste Mal im Arm hielt und dachte, dieses runzlige rote Gesicht ist das Schönste, was ich je gesehen habe. Oh, und ich erinnere mich an die Schlagzeilen imClarion und in derTrumpet, als die Titanic untergegangen war, und die Liste mit den Vermißten, die jeden Tag vor dem Zeitungsge­bäude angeschlagen wurde.« Ihre Stimme verklang, und sie machte eine zaghafte Handbewegung, als versuchte sie, die Flut von Emotionen aufzuhalten.