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»Ich erinnere mich, wie ich zum ersten Mal Flieder gerochen habe.« Juts lächelte, dann umarmte sie Louise. »Wir sind wan­delnde Enzyklopädien.«

»Aber es ist ein einziges Kuddelmuddel.«

»So sieht es in allen Köpfen aus. Wenn du jemanden fragen würdest, was er vor zwei Tagen zum Frühstück oder zu Mittag gegessen hat, könnte er es dir nicht sagen.«

»Harmon Nordness schon. Idabelle McGrail hätte es vor zwei Wochen auch noch gewußt, als sie noch lebte.«

»Du weißt, was ich meine.«

»Ich weiß, aber Juts, was passiert, wenn wir nicht mehr da sind?« Ein Hauch von Verzweiflung lag in der Luft.

»Wie meinst du das?«

»Was geschieht mit den Erinnerungen, mit allem, was ich ge­sehen und gehört und getan und gelernt habe? Puff.« Tränen liefen ihr über die Wangen. Nicky griff nach ihrer Hand. Sie konnte niemanden weinen sehen. Louise drückte ihre Hand, konnte aber nichts sagen.

»Ich habe da eine Theorie« - Juts lächelte, um Louise aufzu­heitern -, »daß es im Himmel eine gigantische Bank gibt, die Erinnerungsbank. Alles wird dort gespeichert, und wenn ein Neuzugang wie Nicky erfahren möchte, was du erfahren hast, konsultiert sie die Erinnerungsbank.«

»Julia, du spinnst.«

»Eine Bibliothek ist eine Erinnerungsbank.« Juts atmete den Geruch von frisch gemähtem Gras ein. »Ein Lied ist eine Erin­nerungsbank. Das Lied>Der Mann, der die Bank von Monte Carlo sprengte< ist voller Erinnerungen für jemanden, der um die Jahrhundertwende gelebt hat, wie Momma. Nicky braucht es nur zu hören. Ich glaube, alles bleibt hier, in der einen oder anderen Form.«

»Nur wir nicht.«

»Tja, nur wir nicht. Wir müssen wohl den Frühjahrstrieben Platz machen. Hansford hat uns Platz gemacht, sogar Idabelle McGrail, das dumme Stück. Sie sind abgetreten, damit wir an­treten konnten.«

»O Juts«, flehte Louise, »ich will nicht abtreten. Ich will nichts verpassen - niemals.«

»Nur die Guten sterben jung, Louise. Keine Bange.«

Louise schwieg eine Minute, holte schniefend Luft und lächel­te dann durch ihre Tränen. »Wir werden ewig leben.«

»Ja.«

Die Schwestern gaben sich einen Kuß und trennten sich. Nik­ky nahm Juts' Hand. Sie war mucksmäuschenstill und sprach erst, als sie das Gartentor aufstießen. Buster kam ihnen steifbei­nig entgegen, und Yoyo sprang unter der großen blauen Horten­sie hervor.

»Momma, du wirst nicht sterben.«

»Nicht so bald, hoffe ich.«

»Und Tante Wheezie wird nicht sterben.«

»Ach, nein.« Juts bückte sich, um Buster zu kosen.

»Ihr alle werdet nicht sterben, weil ich mich an euch erinne­re.«

Juts lachte. »So ist es, mein Kind.«