Sie standen nebeneinander und hielten sich an den Händen. Billy, der ihnen ein paar Schritte voraus war, war still, und Trish erkannte an seinem Gesichtsausdruck, dass auch er sich fürchtete.
»Es gibt keine Straße zu diesem Ort«, stellte Doug fest. »Er musste hierher laufen, musste all die Säcke schleppen, wie viele es auch waren.« Er zeigte auf den Steilhang am Ufer. »Ich nehme an, er hat sie von da oben fallen lassen. Es ist die einzige Möglichkeit, wie sie in die obersten Zweige kommen konnten.«
»Aber warum?«, fragte Trish.
Doug schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.«
Eine leichte Brise bewegte die Bäume, und mehrere Umschläge flatterten von den Zweigen in den Bach. Billy und seine Eltern standen schweigend da, bewegungslos, während die Umschläge um ihre Beine wirbelten und flussabwärts trieben.
10.
Nachdem sie vom Picknick zurückgekehrt waren, versuchte Doug, Howard anzurufen, doch er war nicht zu Hause und auch nicht im Postamt. Und wenn er doch da war, ging er nicht ans Telefon. Doug ließ es fünfzehn Mal durchschellen, ehe er auflegte. »Dafür wird dieser Postbote gefeuert«, sagte er zu Trish. »Es ist strafbar, sich an der Post zu vergreifen. Wahrscheinlich wandert der Kerl in den Knast.«
Er hoffte jedenfalls, dass der Bursche ins Gefängnis gehen würde.
Sie hatten mehrere Umschläge am Bach aufgehoben und mitgenommen. Nun suchten sie nach Briefen, die an sie selbst gerichtet waren, konnten aber keine finden; also beschränkten sie sich auf Umschläge, die an Leute adressiert waren, die sie kannten. Die gerettete Post lag noch im Wagen. Doug hatte vor, sie Howard als Beweis zu zeigen.
Er verbrachte den Rest des Nachmittags mit dem Versuch, Howard anzurufen, zu lesen, Radio zu hören und mit dem Lagerschuppen anzufangen, doch er machte sich Sorgen, war aufgedreht und konnte sich nicht konzentrieren.
Es gab Spaghetti zum Abendessen. Billy nörgelte, weil sie selbst gemacht waren, mit Kräutern und Gemüse aus dem Garten, aß sie aber trotzdem. »Nächstes Mal«, sagte er, »essen wir sie mit Hackfleischsauce wie normale Leute.«
»Das hier ist besser als alles, was du im Laden kaufen kannst«, erklärte ihm sein Vater.
»Und gesünder«, ergänzte seine Mutter.
Billy verzog das Gesicht, während er die Nudeln herunterschluckte.
Nach dem Abendessen versuchte Doug noch einmal, Howard anzurufen, doch als er den Hörer abnahm, war die Leitung tot, kein Klicken, kein Freizeichen. »Irgendwas stimmt mit dem Telefon nicht«, sagte er. »Hat einer von euch vor kurzem telefoniert?«
»Seitdem du versucht hast, Howard anzurufen, hat niemand den Apparat angefasst«, sagte Trish und räumte weiter den Tisch ab.
»Ich versuche es vom Telefon im Schlafzimmer aus«, sagte Doug und verschwand durch die Tür. Er nahm den Hörer ab, aber auch dieser Apparat war tot. Er schlug mit dem Hörer einmal fest gegen den Nachttisch, hielt ihn ans Ohr und lauschte. Nichts. »Verdammt«, murmelte er und knallte den Hörer auf die Gabel. Er würde morgen sowohl dem Postamt als auch der Telefongesellschaft einen Besuch abstatten müssen.
Doug starrte auf den weißen Apparat aus Kunststoff. Er hasste es, dass er zur Telefongesellschaft musste. Jedes Mal, wenn er in ihr Büro ging, sah er dort vier oder fünf Mitarbeiter herumsitzen, aber wann immer er darum bat, jemanden vorbeizuschicken, dauerte es wenigstens drei Tage, bis jemand erschien, egal, wie dringend es war.
»Nichts?«, fragte Trish, als Doug wieder in den Flur kam.
Er schüttelte den Kopf. »Es ist tot.«
»Tja, bis morgen können wir nichts machen.« Sie hatte das Geschirr ins Spülbecken gestellt. »Willst du spülen oder abtrocknen?«
»Abtrocknen«, antwortete er müde.
Sie gab ihm ein Geschirrtuch.
Im Fernsehen gab es nichts Vernünftiges, sodass sie beschlossen, ein Video einzulegen, nachdem sie gespült hatten. »Etwas, auf das wir alle uns einigen können«, sagte Trish.
Billy schlurfte die Treppe hinauf. »Ich guck mir das normale Programm an.«
»He! Ich sagte doch, wir schauen uns etwas an, auf das wir alle uns einigen können«, rief Trish ihm hinterher.
»Fernsehshows sind besser als Filme«, rief Billy zurück.
Sie blickte Doug an. »Fernsehshows sind besser als Filme? Hast du das gehört? Irgendwas ist bei dem Jungen völlig schiefgelaufen.«
Doug kicherte. »Okay, was soll es denn sein? Deep Throat? Oder Göttinnen der Liebe?«
Sie stieß ihn an. »Sei still. Billy kann dich hören.«
»Ja, kann ich«, rief Billy von oben.
»Siehst du?« Sie nahm die Liste ihrer Videos vom Tisch und ging sie durch. »Lass uns den Stadtneurotiker anschauen«, sagte sie schließlich. »Den hab ich schon ziemlich lange nicht mehr gesehen.«
»Okay.« Doug stand auf, ging zum Bücherschrank und neigte den Kopf, damit er die Titel auf den Videohüllen lesen konnte. Der Stadtneurotiker war auf demselben Band wie Das Geisterschloss und Landhaus der toten Seelen, wie in einem Sandwich eingeklemmt zwischen den beiden Horrorstreifen. Doug musste den Schnellvorlauf betätigen, um den Anfang des Films zu erreichen.
»Letzte Chance«, rief er nach oben, als der Vorspann anlief.
Billy machte sich nicht einmal die Mühe zu antworten.
Doug war froh, dass sie sich für eine Komödie entschieden hatten. Es half ihm, seine Gedanken von allem anderen abzulenken, das vor sich ging.
Woody betrat gerade Christopher Walkens Zimmer, um über Nachtfahrten zu reden, als plötzlich die Lichter im Haus erloschen und der Fernseher ausging, vor statischer Elektrizität knisternd. Der Videorecorder summte, als er langsam zum Stehen kam.
»Stromausfall«, stellte Trish fest. Sie stand auf und tastete sich in die Küche, wo sie eine Taschenlampe aus der Schublade mit dem Krimskrams holte. Außerdem nahm sie Streichhölzer und zwei Kerzen heraus. »Kommst du runter?«, rief sie zu Billy hinauf.
»Nee. Ich geh ins Bett.«
»Um halb neun?«
»Ich weiß nichts Besseres.«
»Du könntest runterkommen und mit uns bei Kerzenlicht lesen«, schlug Doug spöttisch vor.
Billy imitierte spöttisch ein lautes Schnarchen.
Trish zündete die Kerzen an und steckte sie in Kerzenhalter, während Doug sich zum Fenster bewegte. »Irgendwie unheimlich, ein Stromausfall ohne Gewitter«, sagte er und schob die Vorhänge zur Seite. Er spähte nach draußen in Richtung der anderen Häuser an der Straße und glaubte, gelbes Licht durch die Äste der Bäume sickern zu sehen. »Merkwürdig«, murmelte er.
»Was?«
»Ich glaube, die Nelsons haben noch Strom.«
»Ich könnte sie anrufen ...«
»Kein Telefon«, erinnerte er sie.
Trish lachte. »Das ist eine Verschwörung.«
»Es ist ein Abenteuer. Wir sind von der Welt abgeschnitten, ganz allein. Irgendwie aufregend, findest du nicht?«
»Und romantisch.« Sie trat neben ihn und stellte eine Kerze auf die Fensterbank.
»Ich bin noch wach!«, rief Billy. »Tut lieber nichts, das euch später peinlich ist.«
Beide mussten lachen, und Doug spürte, wie Trishs Arm sich um seine Taille legte. Sie zog ihn an sich und gab ihm einen leichten Kuss, der nur knapp seine Lippen verfehlte. »Wir warten, bis er schläft«, versprach sie flüsternd.
Trish wachte mitten in der Nacht auf, weil sie ins Badezimmer musste. Doug schlief neben ihr, regelmäßig atmend, leise schnarchend, und sie schob vorsichtig die Bettdecke von ihrem Körper, um kein Geräusch zu machen, schwang die Beine über die Bettkante und warf dabei einen Blick auf die Uhr auf dem Toilettentisch. Viertel nach drei. Nachdem sie sich geliebt hatten, hatte sie Slip und Nachthemd angezogen; nun schlüpfte sie trotzdem noch in einen Morgenmantel, ehe sie über den Flur ins Bad ging. Trish hatte sich noch nie wohl gefühlt, wenn sie unbekleidet im Haus herumging. Der Vollmond schien wie eine Straßenlaterne durch das Milchglasfenster oberhalb der Badewanne und beleuchtete einen Teil des kleinen Raumes. Als Trish fertig war, zog sie den Slip hoch, spülte ab und ging in die Küche, um sich etwas zu trinken zu holen.