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Doug hatte an diesem Morgen nicht die Post geholt, ehe er gegangen war, und Trish selbst war zu verängstigt gewesen, um zum Briefkasten zu gehen. Also hatte sie Billy geschickt und ihn von der Veranda aus beobachtet, um sicherzugehen, dass nichts passierte. Billy kam mit drei Briefen zurück: zwei für Doug und einer für sie. Der Brief lag jetzt rechts neben ihr auf dem kleinen Tisch, auf den sie ihren Eistee gestellt hatte. Sie hatte den Umschlag nicht gleich öffnen wollen, obwohl er von Howard kam und sie eigentlich nichts Schlimmes erwartete, und hatte ihn erst einmal beiseitegelegt. Nun nahm sie den Brief in die Hand und riss ihn auf. Er war an sie adressiert, doch in der ersten Zeile stand »Liebe Ellen«. Trish runzelte die Stirn. Das war seltsam. Andererseits hatte Howard in letzter Zeit eine Menge Stress gehabt. Das musste sich schließlich irgendwie zeigen. Sie las weiter:

Liebe Ellen,

es tut mir leid, dass ich am Samstag nicht kommen konnte, aber ich musste zu einem Dinner zu den Albins. Was für ein schrecklicher Abend. Das Essen war schrecklich, das Kind ist ein verzogenes Balg, und Albin und seine Frau sind so stinklangweilig wie immer. Trish, diese scheinheilige Ziege ...

Sie las nicht weiter. Sie fühlte sich, als ob man ihr alle Luft aus den Lungen gesogen hätte und als hätte sie plötzlich ein Loch in der Magengrube. Sie blickte wieder auf den Brief, doch die Worte verschwammen vor ihren Augen, in denen Tränen standen.

Trish war überrascht von der Heftigkeit ihrer Reaktion. Sie war kein allzu empfindlicher Mensch, wenn es um sie selbst oder ihre Kochkunst ging, und sie hatte nichts gegen konstruktive Kritik einzuwenden. Doch diese Art von Verrat ihrer Familie gegenüber - und das von einem Freund wie Howard - schmerzte heftig. Verdammt heftig. Wütend wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht, faltete den Brief zusammen und steckte ihn in den Umschlag zurück. Howard hatte offensichtlich vorgehabt, sowohl ihr als auch Ellen Ronda einen Brief zu schicken, und unbedacht die Briefe in die falschen Umschläge gesteckt.

Ellen las jetzt zweifellos von dem netten Abend und dem wunderbaren Abendessen, das Howard gehabt hatte.

Normalerweise war Trish nicht so emotional und leicht zu verletzen, aber, verdammt noch mal, sie hatte versucht, Howard durch eine schwere Zeit zu helfen, und dieser hinterhältige Dolchstoß traf sie tief. Sie und Doug hatten Howard stets für einen Freund gehalten. Vielleicht kein enger Freund, aber ein guter Bekannter, mit dem sie beide gerne zusammen waren.

Warum tat er so etwas? Wie konnte er so heuchlerisch sein? Howard war nie ein hinterlistiger oder doppelzüngiger Mann gewesen. Ehrlichkeit war immer seine größte Stärke und zugleich seine größte Schwäche gewesen. Er hatte nie gezögert auszusprechen, was er dachte, ungeachtet der Folgen. Es wäre eine Sache gewesen, hätte Howard offen gesagt, dass er nicht zum Abendessen kommen wollte oder nicht gerne mit ihnen zusammen war oder dass ihm das Essen nicht schmeckte, aber dazusitzen und sie anzulügen ...

Das Telefon klingelte. Trish ließ den Brief auf das Tischchen fallen, erhob sich von ihrem Butterfly Chair und eilte über die Veranda ins Haus zurück. Beim fünften Klingeln erwischte sie den Telefonhörer und räusperte sich, um die Gefühle aus ihrer Stimme zu vertreiben. »Hallo?«

»Er ist hinter mir her.« Das Flüstern am anderen Ende der Leitung war voller Panik, an der Grenze zur Hysterie, und zuerst erkannte Trish die Stimme nicht. »Er ist jetzt hier ...«

»Wie bitte?«, fragte Trish verwirrt.

»Ich glaube, er ist jetzt im Haus«, flüsterte die Frau.

Jetzt erkannte Trish die Stimme. Ellen Ronda. Trish war schockiert, wie anders Bobs Witwe mit einem Mal klang. Verschwunden war die kühle Stimme, die Trish gehört hatte, solange sie zurückdenken konnte, verschwunden auch die schmerzerfüllte Verzweiflung am Tag des Begräbnisses. An ihre Stelle war nun Furcht getreten. Panische Angst.

»Wer ist hinter Ihnen her?«, fragte Trish.

»Er hält sich für schlau. Aber ich kann seine Schritte hören.«

»Verlassen Sie das Haus. Rasch!«, sagte Trish. »Gehen Sie irgendwohin, und rufen Sie die Polizei.«

»Die Polizei habe ich schon angerufen. Sie wollten mir nicht helfen. Sie haben gesagt ...«

Ellens Stimme wurde abrupt abgeschnitten, und der tiefe Bariton eines Mannes erklang. »Hallo?«

Trish schlug das Herz bis zum Hals. Sie brauchte all ihren Mut, ihre ganze innere Stärke, um nicht aufzulegen. »Wer ist da?«, fragte sie mit der einschüchterndsten Stimme, die sie zustande brachte.

»Hier ist Doktor Roberts. Wer sind Sie?«

»Oh, Sie, Doktor!« Trish entspannte sich und atmete erleichtert auf. Im Hintergrund konnte sie hören, wie eine männliche und eine weibliche Stimme miteinander sprachen. »Hier ist Trish Albin.«

»Hallo, Trish. Ich habe den Rest Ihres Gesprächs mitgehört. Ellen hat Ihnen gesagt, dass sie verfolgt wird, stimmt das?«

»Ja.«

»Tut mir leid, dass Sie sie gestört hat. Ihre Söhne haben versucht, ein Auge auf sie zu halten, aber sie können Ellen nicht vierundzwanzig Stunden am Tag beobachten, und in letzter Zeit erzählt sie jedes Mal, wenn sich die Gelegenheit bietet, dass sie verfolgt wird.« Er atmete tief ein, und das Atmen kam schwer und rau durchs Telefon. »Ich weiß noch nicht, was wir unternehmen werden. Die Jungs wollen nicht einmal darüber nachdenken, aber ich habe ihnen gesagt, dass ihre Mutter professionelle Hilfe braucht. Ich kann sie nicht einfach nur mit Medikamenten vollpumpen. Und ihre emotionale Situation ist bei weitem zu schlecht, als dass ich als Arzt damit fertig werden könnte. Sie braucht einen Psychologen. Vielleicht muss sie sogar für einige Zeit in eine Klinik. Wer weiß? Ich bin mit Sicherheit kein Experte für diese Dinge.«

»Was ist mit ihr passiert?«, fragte Trish.

»Trauer und Schmerz. Unterdrückte, aufgestaute Gefühle, die plötzlich ein Ventil finden. Wie ich schon sagte, ich bin kein Experte, aber es ist klar, dass Bobs Selbstmo ... äh, sein Tod der Auslöser ist und wie ein Katalysator gewirkt hat.« Der Streit im Hintergrund wurde lauter, hitziger. »Tut mir leid, aber Sie müssen mich jetzt entschuldigen. Ich glaube, hier entwickelt sich gerade ein Notfall. Vielen Dank für Ihre Geduld und Unterstützung. Wir bleiben in Kontakt.«

Er unterbrach das Gespräch, ehe Trish sich verabschieden konnte. Langsam legte sie den Hörer auf. Aus irgendeinem Grund fühlte sie sich schuldig, als hätte sie irgendwie Ellens Vertrauen missbraucht. Es war ein merkwürdiger Gedanke, völlig unlogisch - andererseits war das ganze Gespräch mehr als nur ein wenig seltsam gewesen. Trish war erleichtert gewesen, als der Arzt sich gemeldet hatte, und dankbar die Zügel der Verantwortung weiterreichen zu können, aber sie war nicht in der Lage gewesen, dies aus vollem Herzen oder mit reinem Gewissen zu tun, obwohl sie dem Arzt völlig vertraute.

Trish verließ das Haus, ging auf die Veranda zurück und setzte sich benommen wieder auf ihren Stuhl. Ellen hatte offensichtlich ernste emotionale oder psychische Probleme, doch für einen Augenblick, bevor der Arzt sich gemeldet hatte, hatte Trish tatsächlich geglaubt, dass jemand hinter Ellen her sei ... dass jemand in ihrem Haus gewesen sei ...

Und sie wusste genau, wer dieser Jemand war.

»Wow, jetzt guck dir mal die Titten von der da an.« Lane grinste breit.

Billy lächelte schwach. Sie saßen auf dem Boden im Fort und blätterten die Playboys durch. Normalerweise wäre Billy von der Lektüre genauso gefesselt gewesen wie Lane, aber heute war es anders. Er fühlte sich ruhelos, unbehaglich, gelangweilt. Er starrte auf das Magazin auf seinem Schoß, auf das Foto der Frau mit der Postbotenmütze. Sie war ohne Zweifel die schönste und perfekteste Frau in all den Playboys, aber heute empfand Billy keine Erregung, wenn er sie betrachtete. Er fühlte sich nicht wohl. War da etwas Vertrautes in ihren Augen? Sah ihr Mund aus wie ... seiner?