An das Übernatürliche?
Vielleicht war er verrückt, aber er glaubte immer noch, dass er zur Polizei gehen und ihnen berichten sollte, was er wusste und welchen Verdacht er hegte, doch Trish zuliebe war er bereit, sich zurückzuhalten. Sie hatte recht. Neuigkeiten verbreiteten sich schnell in einer kleinen Stadt, und falls er sich irrte, falls der Postbote ein normaler Mensch mit blasser Haut und rotem Haar war, wäre er selbst für ewig und alle Zeiten als hohle Nuss abgestempelt. In seinem Hinterkopf jedoch nagte der Gedanke, dass noch jemand in Gefahr sein könnte, dass vielleicht noch etwas Schreckliches geschah, wenn er still und passiv blieb, und so war er fest entschlossen, Augen und Ohren offen zu halten und auf alles Ungewöhnliche zu achten.
Sie schritten an den Regalen im Laden vorbei. Trish ging ihre Einkaufsliste durch und las einzelne Artikel vor, und Doug nahm sie aus den Regalen und legte sie in den Einkaufswagen.
»Mister Albin!«
Doug, der gerade eine Packung Cornflakes in den Wagen legte, blickte auf. Eine sonnengebräunte junge Frau, die enge Shorts, ein enges T-Shirt und keinen BH trug, winkte ihm vom Ende des Ganges zu. Sie lächelte, und strahlend weiße Zähne leuchteten in ihrem hübschen Gesicht. Er wusste, dass sie eine frühere Schülerin war, obwohl er sie nicht gleich unterbringen konnte, und so versuchte er verzweifelt, ihr Gesicht mit einem Namen zu verbinden, während sie durch den Gang auf ihn zukam.
»Giselle Brennan«, sagte sie. »Kreatives Schreiben. Vor zwei Jahren. Wahrscheinlich erinnern Sie sich nicht mehr ...«
»Natürlich erinnere ich mich an Sie«, entgegnete er, und das stimmte tatsächlich, obwohl Doug von sich selbst überrascht war: Giselle war eine von jenen Schülerinnen gewesen, die nur dann im Unterricht erschienen waren, wenn ihnen danach war, und die am Ende des Schulhalbjahres mit Mühe und Not den Abschluss geschafft hatten. Nicht die Art von Schülern, an die Doug sich für gewöhnlich erinnerte. »Wie geht es Ihnen denn so?«
»Gut«, antwortete sie.
»Ich habe Sie schon eine ganze Weile nicht mehr hier gesehen.«
»Ja, stimmt, ich bin nach Los Angeles gezogen und habe als Aushilfe in einer Anwaltskanzlei gearbeitet, während ich nebenher zur Schule gegangen bin. Aber es hat mir nicht sehr gefallen. Los Angeles, meine ich. Zu viele Menschen, zu viel Smog, zu viel von allem. Zurzeit bin ich hier, um meine Eltern zu besuchen.« Sie strahlte ihn an. »Der Ort scheint irgendwie durchgedreht zu sein.«
War es so offensichtlich?, fragte sich Doug. Konnte sogar jemand von außerhalb es merken?
Giselle deutete auf Trish. »Ist das Ihre Frau?«
»Ja, das ist Trish.«
Trish nickte höflich. »Hallo.«
»Hi.« Giselle strahlte. »Wissen Sie, Ihr Mann ist ein wirklich guter Lehrer. Sie sind bestimmt stolz auf ihn. Ich habe Englisch nie besonders gemocht - ich war immer eher für Mathe -, aber seine Stunden haben mir echt Spaß gemacht.«
»Aber haben Sie auch etwas gelernt?«, ulkte Doug.
»Habe ich. Ja, wirklich. Ich habe den Unterschied zwischen ›das‹ und ›was‹ gelernt.«
Doug kicherte.
»Lachen Sie nicht. Ich meine das ernst. Bevor ich bei Ihnen Unterricht hatte, habe ich immer ›das Auto, was ich gekauft habe‹ gesagt, oder ›das Mädchen, was in den Laden ging‹. Oder sogar ›das Mädchen, das wo in den Laden ging‹. Aber seitdem Sie es uns beigebracht haben, sage ich immer ›das Auto, das ich gekauft habe‹ und ›das Mädchen, das in den Laden ging‹.«
»Ich freue mich, dass ich wenigstens bei einer Schülerin gut angekommen bin.«
»Sind Sie. Und das hat mir eine Menge geholfen. Jetzt bin ich in der Hinsicht ein richtiger Snob geworden, wirklich. Einmal bin ich zu einer Party gegangen, da war ein Kerl in wirklich trendy Klamotten, der den Intellektuellen spielte. Nur hat er dauernd ›was‹ gesagt, wenn er ›das‹ hätte sagen sollen. Ich habe mich so überlegen gefühlt! Wenn Sie die Wahrheit wissen wollen, habe ich mich sogar ein bisschen für ihn geschämt. Es war großartig!«
Doug wusste nicht recht, was er sagen sollte. »Vielen Dank.«
»Aber gern.«
»Auf Ihr Lob wird er sich jetzt ganz schön etwas einbilden«, sagte Trish. »Jetzt wird es noch unmöglicher, mit ihm zu leben.«
Giselle begriff den Scherz nicht. »Er ist der beste Lehrer, den ich je hatte«, sagte sie ernst. »Auch wenn er mir nur eine Vier gegeben hat.« Sie blickte zu ihrem Einkaufswagen am Ende des Ganges. »Tja, ich muss jetzt gehen. Ich bin aber noch eine Weile in der Stadt. Vielleicht laufen wir uns ja noch anderswo über den Weg.« Sie blickte scheu zur Seite. »Vielleicht kann man sich ja mal zum Mittagessen treffen oder so.«
Doug nickte. »Vielleicht. Hat mich jedenfalls gefreut, Sie wiederzusehen.«
Das Mädchen ging durch den Gang zum Einkaufswagen zurück. Trish zog die Augenbrauen hoch. »Ha«, sagte sie.
»Was soll das heißen, ha?«
»Du weißt genau, was das bedeutet.«
»Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.«
»Schwindler!« Trish lachte und boxte ihm gegen die Schulter, und Doug fühlte sich ein wenig besser. Er legte einen Arm um ihre Taille. Sie gingen weiter den Gang hinunter und den nächsten wieder hinauf zur Obst- und Gemüseabteilung. Sie hörten kein einziges Wort über »Die Selbstmorde«. Doch als sie zu den Kassen kamen, hörte Doug Fetzen mehrerer Gespräche, und die Worte »hat sich umgebracht« und »Tod« schienen schrecklich oft darin vorzukommen. Dougs Blick ruhte auf der Willis Weekly, die am Stand neben der Kasse ausgelegt war, und er dachte an Ben Stockley, den Herausgeber der Zeitung. Doug fragte sich, warum er nicht schon eher an Stockley gedacht hatte: Wenn irgendjemand in der Stadt ihm richtig zuhören würde, ihm vielleicht sogar glaubte, dann war es Stockley. Er sagte nichts zu Trish, beschloss jedoch, Stockley später am Tag einen Besuch abzustatten.
Sie rückten mit der Schlange zur Kasse vor.
Der Bronco schien jeden Buckel und jedes Schlagloch auf dem Weg nach Hause mitzunehmen. Hinten im Wagen waren Eier und andere Lebensmittel verstaut, die man behutsam transportieren musste, und Doug versuchte, den Weg langsam und vorsichtig zu fahren. Sie überquerten den Bach, bogen um die Kurve und waren bereits auf dem geraden Stück nach Hause, als sie in der Ferne etwas sahen, was sich als zwei Personen entpuppte, die mitten auf der Straße knieten. Als sie näher kamen, erkannten sie Ron und Hannah Nelson, die vor dem leblosen Körper eines Schäferhundes kauerten.
»O Gott«, sagte Trish. »Das ist Scooby. Halt an.«
Doug fuhr den Wagen seitlich an den Graben und hielt direkt vor dem Paar. Aus dieser kurzen Entfernung konnten sie sehen, dass Hannah Tränen übers Gesicht liefen. Sie sprangen aus dem Wagen und liefen zu den Nelsons hinüber. Als sie näher kamen, stand Ron auf.
»Was ist passiert?«, fragte Doug.
»Scooby ist tot.« Rons Stimme war erstickt und stockend, und es schien, dass auch er gleich in Tränen ausbrechen würde. »Ich glaube, er wurde vergiftet. Es ist keine Verletzung zu sehen, aber ihm tropft roter Speichel aus dem Maul.«
»Braucht ihr Hilfe? Kann ich etwas für euch tun?«
»Nein, danke. Jetzt kann man sowieso nichts mehr machen.«
Doug blickte auf den toten Hund. Die Augen des Tieres waren geöffnet; ein Ausdruck von Furcht und Schmerz lag darin. Der Speichel, der dem Tier in Fäden aus dem offenen Maul hing, hatte auf dem Boden eine kleine Pfütze gebildet, in der sich Schmutz und Blut mischten. Dougs Blick traf sich mit Trishs, und er sah Abscheu, Mitleid und Wut in ihren Augen.