»Für den Moment ist das genug. Ich weiß, dass es keine Beweise gegen den Postboten gibt. Noch nicht. Vorerst möchte ich ja auch nur, dass Sie Augen und Ohren offen halten. Dass Sie die Sache im Blick behalten. Seien Sie einfach nur vorbereitet.«
Der junge Officer schüttelte den Kopf und grinste. »Wenn irgendjemand das hier rauskriegt, bin ich tot. Aber okay.«
Doug stand auf und schob seinen Stuhl zurück. Er sah den Polizisten neugierig an. »Da ist noch etwas, nicht wahr?«, fragte er. »Sie selbst haben seltsame Post bekommen, habe ich recht?«
Mike starrte ihn an; dann nickte er langsam.
»Ich konnte es spüren«, sagte Doug.
»Ich habe einen Brief von meiner Verlobten in Phoenix bekommen«, erzählte Mike. »Sie schreibt, dass sie sich von mir trennen will. Ich habe sie angerufen, aber ihr Telefon hat nicht funktioniert. Also habe ich mich für einen Tag krank gemeldet und bin zur Arizona State University gefahren. Sie hatte mir noch nie einen Brief geschickt. Und das Telefon war an dem Tag, als ich versucht habe, sie anzurufen, zufällig nicht richtig aufgelegt.« Er kratzte sich an der Nase. »Vielleicht suche ich nur nach einer einfachen Erklärung, aber an dem, was Sie sagen, könnte etwas dran sein. Ich glaube, mit dem Postboten ist tatsächlich irgendwas faul. Ich kann Ihnen immer noch nicht ganz glauben, und ich hoffe, dass wir Mister Smith nicht zum Sündenbock für unsere Probleme machen, aber ich werde die Sache im Auge behalten.«
»Das ist alles, worum ich Sie bitte. Ich lasse es Sie wissen, wenn es etwas Neues gibt.«
»Und wir lassen es Sie wissen, wenn sich irgendetwas bei Ihren Strom-, Wasser- und Telefonbriefen ergibt.«
Doug dankte Mike und ging wieder in den Flur. Der junge Polizist ließ ihn durch die Sicherheitsschranke in die Lobby. Als Doug hinaus zum Wagen ging, fühlte er sich so gut wie schon eine ganze Weile nicht mehr. Es tat gut, einen Teil der Last mit anderen teilen zu können.
Er stieg in den Bronco und fuhr los.
Auf dem Nachhauseweg kam er an dem Postboten vorbei, der gerade die Post aus dem Kasten vor dem Circle-K-Einkaufszentrum holte, die Umschläge sortierte und einige sorgfältig in seine Plastiktasche legte, während er andere in eine braune Papiertüte schob.
Als Doug vorbeifuhr, winkte der Postbote ihm zu.
17.
Am nächsten Tag war mit der Post alles in Ordnung. Sie war immer noch weit vor Tagesanbruch ausgetragen worden, aber die Briefsendungen selbst waren weder unnormal erfreulich noch unnatürlich schlecht. Da war eine Abonnementsmitteilung von Newsweek, eine Visa-Abrechnung und etwas Reklame. Nichts Außergewöhnliches, auch wenn eben das schon außergewöhnlich war.
Doug versuchte, Stockley bei der Zeitung anzurufen, doch die Sekretärin ließ ihn wissen, dass er zurzeit keine Gespräche annähme. Er bat sie, Stockley seinen Namen zu nennen, und nach langer Überzeugungsarbeit erklärte sie sich dazu bereit. Doch als sie sich wieder meldete, informierte sie ihn, dass gerade das endgültige Layout für die neue Ausgabe gemacht würde und der Herausgeber von niemandem gestört werden wollte. Sie sagte, Stockley würde Doug zurückrufen, wenn er die Gelegenheit hätte.
Auch am folgenden Tag war die Post so normal wie früher. In Doug wuchs immer mehr die Überzeugung, dass er voreilige Schlüsse gezogen und sich geirrt hatte. Trish sagte nichts, aber er konnte sehen, dass sie genauso dachte und ebenfalls erleichtert war.
Am nächsten Morgen war der Briefkasten voller Post. Doug ging vor dem Frühstück zum Kasten, während Billy noch schlief und Trish ihren Garten wässerte. Doug stutzte: Insgesamt waren es zehn Umschläge. Allein die Menge wirkte irgendwie unheimlich und bedrohlich. Doug warf einen raschen Blick auf die Vorderseiten der Briefe und sah, dass er die meisten Absender nicht kannte. Er steckte sie in die hintere Tasche seiner Hose, sodass sein Hemd über die obere Hälfte des Stapels hing. Im Haus zerriss er einen Umschlag nach dem anderen, ohne sich den Inhalt anzusehen, und schob die Fetzen in einen leeren Milchkarton im Müll.
Trish kam herein, als er gerade den Karton verschloss. »Irgendwelche Post?«, fragte sie, während sie sich die Hände an ihrer Jeans abwischte.
»Keine«, log er.
Am nächsten Tag gab es überhaupt keine Briefe, und auch nicht am darauf folgenden Tag. Es war beinahe so, als sollte Doug dafür bestraft werden, dass er die Post zerrissen hatte - als hätte er ein Angebot zurückgewiesen und bekäme zur Strafe nun kein neues mehr.
Aber das war ein verrückter Gedanke.
Dennoch war es genauso verstörend, überhaupt keine Post zu bekommen, wie mit Post überschüttet zu werden, und das machte Doug nervös. Wahrscheinlich hatte er zu viele Horrorfilme gesehen und zu viele unheimliche Bücher gelesen, aber er konnte nicht anders, als diesem zeitweiligen Ausbleiben von Post eine unnatürliche, böswillige Absicht zuzuschreiben. Es erschien ihm wie die Ruhe vor dem Sturm und als wartete er darauf, dass dieser Sturm losbrach. Er versuchte, die erste Wand des Schuppens fertig zu stellen, konnte sich aber nicht konzentrieren und gab nach nur einer Stunde Arbeit auf.
Am Nachmittag im Laden fiel ihm auf, dass viele der Leute, mit denen er in Kontakt kam, angespannt und gereizt zu sein schienen. Todd Gold, Eigentümer des Feinkostgeschäfts, erwiderte nicht einmal seinen Gruß. Als Doug ihm zuwinkte und »Hi« rief, drehte Gold sich nur kurz um und zog sich in seinen Laden zurück.
Doug erzählte Trish nichts davon. Sie schien viel glücklicher zu sein, seitdem keine Post mehr kam, und obwohl diese »Aus den Augen, aus dem Sinn«-Mentalität überhaupt nicht zu ihr passte, wollte er sie nicht in etwas hineinziehen, das er sich möglicherweise nur einbildete. Vielleicht war ja gar nichts Merkwürdiges, nichts Ungewöhnliches passiert. Vielleicht hatte seine Fantasie auf eine bizarre Aufeinanderfolge von scheinbar miteinander verbundenen Vorkommnissen überreagiert, die in Wirklichkeit gar nichts miteinander zu tun hatten.
Vielleicht.
Aber das glaubte er nicht.
18.
Trish fühlte sich ein bisschen besser. Drei Tage nacheinander hatten sie keine Post bekommen, und aus irgendeinem Grunde hob das ihre Stimmung. Die alte »Keine Nachrichten sind gute Nachrichten«-Theorie. Außerdem würde sie Irene Hill treffen, und ein Besuch bei der alten Dame verschaffte ihr immer gute Laune.
Sie fuhr vom Highway ab und die Pine Street entlang. Sie kam am Willis Women's Club vorbei und bekam ein schlechtes Gewissen. Sie hatte versprochen, dort sechs Monate lang jeden Nachmittag am Treffen der Weight Watchers teilzunehmen, war aber seit dem dritten Treffen nicht mehr aufgetaucht. Zwei Wochen lang hatte sie sich an die strenge Diät gehalten und zweieinhalb Kilo abgenommen - halb so viel, wie sie sich vorgenommen hatte -, aber der Druck war dann doch zu groß gewesen. Die Motivationsgespräche, die Vorträge, die Tagebücher hatten ihr das Gefühl gegeben, eingezwängt zu sein. Außerdem hatte sie immer noch eine gute Figur, auch wenn sie durchaus ein wenig an den Hüften abnehmen konnte. Doch sie wusste, dass sie verdammt viel besser aussah als einige Frauen in der Stadt, die sich gar nicht bei den Weight Watchers eingeschrieben hatten.
Nun sah sie, wie eine der Frauen, Beth Johnson, vom Parkplatz des Postamts fuhr. Beth winkte ihr mit einem falschen Plastiklächeln auf dem Gesicht zu, und Trish winkte zurück.
Trish fuhr weiter die Pine Street entlang und bog dann auf den ungepflasterten Weg kurz vor dem Golfplatz ein. Sie umrundete den Hügel, bis sie zu der kleinen Häusergruppe neben der alten Rangerstation kam, und bog in Irenes Auffahrt ein. Sie hatte Irene Hill kennen gelernt, als sie beide vor ein paar Jahren als ehrenamtliche Helferinnen beim jährlichen Bücherverkauf der Bibliothek gearbeitet hatten. Irene war eine der Gründerinnen der Bibliothek gewesen; selbst nachdem sie in Rente gegangen war, hatte sie die Verbindung zur Bibliothek aufrechterhalten, war die treibende Kraft bei Spendensammlungen, nahm an Kampagnen für die Anschaffung neuer Bücher teil und engagierte sich bei der Anwerbung von Fördermitgliedern und bei Buch- und Zeitschriftenverkäufen. Tatsächlich war es Irene gewesen, die zuerst Trish angerufen und um ihre Hilfe gebeten hatte.