Grinsend gab Lane ihm den Umschlag.
Billy nahm den Brief heraus und entfaltete ihn langsam. Lanes Blicke waren auf ihn gerichtet und nahmen hungrig jede Bewegung auf, musterten sein Gesicht, als wartete er auf eine Reaktion. Billy entfaltete den Brief und spürte, wie sein Magen sich verkrampfte, als wäre er von einem Softball getroffen worden.
Auf einem Polaroid-Foto, das an dem Brief befestigt war, saß seine Mutter auf einem Sessel. Sie war völlig nackt und hatte die Beine in die Höhe gestreckt. Ihr Schambereich streckte sich ihm entgegen. Obwohl das Bild unscharf war, konnte er die Falten ihres Geschlechtsteiles und die kleine, runzelige Rosette ihres Afters sehen.
Die Handschrift auf dem Brief war nicht die seiner Mutter, aber sein Blick konzentrierte sich dennoch auf einen unterstrichenen Satz in der Mitte der Seite:
Ich liebe Schwänze.
Billy bekam kaum noch Luft. Seine Lungen schienen nicht mehr richtig zu arbeiten. Er versuchte, Atem zu holen, doch sein Mund war so trocken, dass die eingeatmete Luft sich staubig und rau anfühlte und er sich beinahe übergeben musste. Das Papier in seiner bebenden Hand zitterte raschelnd, und er ließ es auf den Boden fallen. Er blickte zu Lane hoch. Sein Freund grinste breit, und sein Gesicht zeigte einen widerlichen Ausdruck von Selbstgefälligkeit.
Und Wollust.
Billy sagte nichts, sondern schlug zu. Seine Faust traf Lane mitten ins Gesicht, und der Junge fiel rückwärts zu Boden. Billy trat ihm in die Seite. Seine Augen brannten. Er konnte nicht klar sehen und brauchte eine Sekunde, um zu begreifen, dass er weinte.
Lane rappelte sich auf. Offensichtlich hatte er Schmerzen. Sein Gesicht war gerötet, seine Nase blutig, aber er grinste irr. »Sie hat gesagt, dass sie es will, und ich hab ihr zurückgeschrieben und gesagt, dass ich es ihr besorge. Ich werde sie so ficken, wie sie es will.«
Billy schlug wieder zu, aber diesmal war Lane vorbereitet. Er hämmerte Billy die Faust in den Magen. Billy sackte zusammen, krümmte sich und hielt sich den Leib.
Lane kletterte am Seil hinauf und stieg durch die Klapptür. »Das Foto werde ich jedem zeigen«, sagte er. »Vielleicht wollen andere Leute deine Mom ja auch mal ausprobieren.«
Billy lag weinend am Boden, während er die Schritte seines Ex-Freundes hörte, der über Zweige und Laub nach Hause lief.
20.
Doug hockte auf der Veranda und blickte durch das Teleskop auf die Bäume, die sich den Bergrücken entlangzogen. In dieser Nacht war Vollmond, und er hatte das Teleskop nach draußen gebracht, damit er die Mondkrater betrachten konnte. Sie hatten das Gerät letztes Jahr für Billy zu Weihnachten besorgt, und das Interesse des Jungen für Astronomie hatte seitdem im Rhythmus der Mondphasen zu- und abgenommen. Als Billy das Teleskop das letzte Mal benutzt hatte, war das Bild ein wenig unscharf gewesen, und er hatte Doug gebeten, es sich anzusehen, doch bis jetzt hatte Doug noch keine Gelegenheit gehabt.
Er fokussierte das Okular, bis er die einzelnen Äste der Kiefern auf dem Bergrücken erkennen konnte. Billy hatte recht: Das vergrößerte Bild war ein wenig unscharf, aber sie würden die Mondkrater immer noch ziemlich deutlich sehen können.
Doug schwenkte das Teleskop, bis er die Ridge Road im Blick hatte. Es war nach sieben, und die Sonne ging unter. Die ungepflasterte Straße, die sich bis zur Spitze des Kliffs hinaufwand, leuchtete orangefarben im verblassenden Licht. Doug wollte das Teleskop gerade auf etwas anderes richten, als er am unteren Rand seines Blickfelds eine Bewegung bemerkte.
Ein roter Wagen, der langsam die Straße hinaufkroch.
Dougs Herz setzte einen Schlag aus.
Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. Die Ridge Road verlief parallel zum Highway durch den Ort, ehe sie sich zum Bergrücken hochschwang und dort auf einem öden Geländestück endete, das von Felsblöcken übersät war. Der Weg kreuzte die Oak Street gleich neben der Highschool und wurde von vielen Schülern als Liebesnest benutzt. Doch oben auf dem Hügelrücken wohnte niemand.
Dort gab es keine Adresse, an die Post zuzustellen wäre.
Der Wagen verschwand hinter dem Hügelrücken, und Doug blickte vom Teleskop hoch und stand auf. Selbst mit bloßem Auge konnte er von hier aus die Straße deutlich sehen: ein heller Schlitz, der sich durch die Dämmerung auf den Berg wand. Es würde kein Problem sein, einen Wagen zu erkennen, der hinauf- oder herunterfuhr.
Er beobachtete, wartete.
Wartete, beobachtete.
Die Sonne im Westen sank tiefer. Die Flanke des Bergkammes lag nun im Schatten, sodass Doug Bäume, Fels und Straße nicht mehr auseinanderhalten konnte. Er würde keine Schwierigkeiten haben, den Wagen des Postboten den Berg herunterkommen zu sehen, wenn die Scheinwerfer eingeschaltet waren, doch bei ausgeschalteten Scheinwerfern hatte er keine Chance, das Fahrzeug zu entdecken.
Doug hatte allerdings das unbestimmte Gefühl, dass der Postbote noch da oben auf dem Bergrücken war - und auch noch einige Zeit dort bleiben würde.
Was machte er da? Doug öffnete rasch die Gittertür und schlüpfte ins Haus, ehe die Insekten, die in der Nähe der Verandaleuchte surrten, ihm folgen konnten. Trish stellte gerade das letzte Geschirr vom Abendessen weg, und Billy war schon nach oben gegangen.
»Ich fahre noch mal zum Einkaufszentrum«, verkündete Doug.
Trish schloss den Geschirrschrank. »Wozu?«
Dougs Stimme zitterte nicht, als er sich spontan eine Erklärung einfallen ließ. »Ich hab einen Wahnsinnsappetit auf Schokoriegel. Willst du auch einen?«
Trish schüttelte den Kopf. Ihr Gesichtsausdruck verriet Misstrauen, aber sie sagte nichts.
»Aber ich!«, rief Billy von oben.
»Okay.« Doug wandte sich wieder Trish zu. »Irgendwas anderes für dich? Einen Granola-Riegel vielleicht?«
»Nein.« Sie schwieg einen Augenblick, schien etwas sagen zu wollen, blieb dann aber still.
»In einer Viertelstunde bin ich wieder da.« Doug öffnete die Gittertür, ging hinaus und schloss sie hinter sich.
Trish folgte ihm bis auf die Veranda. »Sei vorsichtig«, sagte sie leise.
Doug drehte sich um und schaute sie an. Sie wusste oder spürte etwas. Er merkte, dass sie sich Sorgen machte. Er wollte mit ihr sprechen, wollte sie wissen lassen, was er vorhatte, doch irgendwie brachte er die Worte nicht über die Lippen. Ohne etwas zu sagen, nickte er und stieg die Stufen hinab zum Bronco.
Sobald er außer Sicht- und Hörweite des Hauses war, fuhr er schneller, denn es drängte ihn, den Bergrücken zu erreichen, obwohl er das Gefühl hatte, dass der Postbote nirgendwo anders hingehen würde.
Es war merkwürdig. Seines Wissens hatte noch niemand den Postboten dabei beobachtet, wie er einkaufte, tankte, aß oder irgendetwas tat, was nicht zu seinem offiziellen Postdienst gehörte. Doch in einer solch kleinen Stadt war es kaum möglich, ganz für sich zu bleiben. Selbst wenn jemand krankhaft ungesellig war, würden seine Nachbarn doch mitbekommen, wann er kam und ging, welche Gewohnheiten er hatte, und würden mit ihren Freunden darüber reden. Eine kleine Stadt war kein Ort für jemanden, der Anonymität und Ungestörtheit suchte, kein Ort für einen Einsiedler. Aber dem Postboten schien dieses Kunststück zu gelingen.
Nun allerdings hatte Doug die Gelegenheit, ihn nach Dienstschluss zu beobachten.
Und Doug hatte das Gefühl, dass der Mann etwas anderes tat, als für die Post zu arbeiten.
Er bog auf den Highway ein und raste durch den Ort, wobei er vor der Radarfalle neben der Bank kurz die Geschwindigkeit drosselte. Dann bog er in die Oak Street ein und folgte ihr bis zur Ridge Road, wobei seine Hände am Lenkrad immer stärker schwitzten. Hier gab es keine Straßenbeleuchtung, und der Weg war dunkel. Doug bremste weiter ab und kroch bald nur noch, bis er schließlich den höchsten Punkt des Bergrückens erreichte. Er wollte sich nicht verraten, denn er wusste nicht, was er vorfinden würde.