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Vietnam?

Er untersuchte den Poststempel genauer. Er war vom 4. Juni 1968.

Am ganzen Körper brach ihm der Schweiß aus. Im Wohnwagen schien es gleichzeitig zu heiß und zu kalt zu sein. Hobie ließ sich schwer auf die Couch sinken und starrte den Umschlag in seiner Hand an, hatte aber nicht den Mut, ihn zu öffnen.

Vietnam 1968.

Das war nicht möglich. Ein Brief konnte nicht seit über zwanzig Jahren verloren sein und dann gefunden und zugestellt werden. Oder doch? Nervös spielte er mit den Fingern am Umschlag herum. Vielleicht hatte Doug recht. Vielleicht machte der Postbote alles selbst und schickte den Leuten gefälschte Briefe. Warum sonst sollte er sie mitten in der Nacht austragen?

Aber warum sollte er so etwas überhaupt tun? Was konnte er dadurch zu gewinnen hoffen? Es war strafbar, sich an der Post zu schaffen zu machen. Wenn man ihn erwischte, würde er ins Gefängnis gehen. Hobie riss den Umschlag auf.

Vier Fotos fielen heraus. Wie zuvor waren es Vorher-Nachher-Aufnahmen. Ein orientalisches Mädchen, vierzehn oder fünfzehn Jahre alt, mit rasiertem Schädel und Schambereich, auf allen vieren in einem dunklen und schmutzigen Raum. Dasselbe Mädchen, die Beine amputiert, den Kopf gegen die Wand gelehnt, das schreiende Gesicht voll unerträglicher Schmerzen und Terror. Ein anderes Mädchen, vielleicht Asiatin, vielleicht weiß, mit ausgestreckten Armen und Beinen an Stöcke gefesselt, die im Dreck steckten, dahinter dunkelgrüner Dschungel. Dasselbe Mädchen, erstochen, die Augen weit aufgerissen und blicklos, der Mund erstarrt in einer Grimasse aus Folter und Schmerz.

Hobie spürte, wie sich seine Eingeweide verkrampften. Die Angst in ihm war schier überwältigend. Seine Handflächen schwitzten, seine Hände zitterten, und das Papier zwischen seinen Fingern raschelte laut, doch er zwang sich, den Brief zu lesen.

Bruderherz,

hier wird es langsam haarig. Wir sind aus den Städten raus und in die Dörfer gegangen. Der verdammte Dschungel ist undurchdringlich, überall verdammtes Grün, soweit man sehen kann. Sogar der Himmel sieht langsam grünlich aus. Wir wissen nicht, wo der Vietkong ist oder wann er angreift. Die Lage ist gespannt. Alles hier macht einen nervös. Wir haben hier mit flatternden Nerven gewartet, dass etwas passiert, so wie man es uns gesagt hat, aber der Sergeant hat beschlossen, dass Angriff die beste Verteidigung ist, und vor ein paar Tagen wurden wir auf eigene Faust losgeschickt. Du kannst ja die Fotos sehen. Ein Typ namens Mac hat sie aufgenommen und entwickelt. Es war ein Vietkong-Dorf. Die Männer waren alle weg, doch ihre Frauen und Töchter waren da, und du kannst dir vorstellen, dass wir Jungs uns mit den Frauen vergnügt haben. Wir konnten sie allerdings nicht einfach zurücklassen. Sie hätten den anderen sagen können, wo wir hingegangen sind, und so haben wir sie zum Schweigen gebracht, nachdem wir mit ihnen fertig waren. Du kannst die Fotos sehen. Ich muss jetzt los. Du kannst es Dad erzählen, aber erzähle es nicht Mom. Ich schreib ihr einen Brief, wenn ich die Gelegenheit finde.

Hobie starrte den Brief noch lange an, nachdem er ihn gelesen hatte. Er war von Dan. Daran gab es keinen Zweifel. Selbst nach all den Jahren erkannte er noch die Handschrift seines Bruders. Aber diese Härte, diese Gefühllosigkeit, sah Dan überhaupt nicht ähnlich.

Hobie merkte, dass er aus irgendeinem Grund an eine Zeit dachte, als er acht oder neun gewesen war und einer seiner Freunde Salz auf eine Schnecke gestreut und zugesehen hatte, wie sie sich auflöste. Dan war in Tränen ausgebrochen, hatte um die Schnecke und ihre Familie geweint, und sowohl seine Mutter als auch sein Vater mussten ihn trösten.

Und jetzt wollte Hobie weinen, aus Trauer um den Verlust seines Bruders und aus Traurigkeit wegen der Veränderung, die in dem Jungen vor seinem Tod vor sich gegangen war, eine Veränderung, die weder er noch seine Eltern je gesehen hatten.

Wie wäre Dan gewesen, wäre er aus Vietnam zurückgekommen?

Hobie legte den Brief hin und hob die Fotos auf. Sein Blick fiel auf das erstochene Mädchen. Die Angst, die sich einen Augenblick zurückgezogen hatte, kehrte mit voller Wucht zurück, und schnell streckte Hobie die Hand aus und schaltete die Lampe neben der Couch an und betätigte den Dimmer, bis die Lampe die höchste Wattzahl erreicht hatte. Das helle Licht vertrieb erfolgreich alle Schatten aus dem Raum, konnte jedoch nichts gegen die Schatten in Hobies Innerem tun.

Er hatte genug. Doug hatte recht. Irgendetwas war hier verrückt. Morgen früh würde er sofort zum Postamt gehen und herausfinden, was es war. Herausfinden, warum er zwanzig Jahre alte Briefe und Fotos bekam und warum sie mitten in der verdammten Nacht ausgetragen wurden. Er würde von Howard verlangen, dass er etwas unternahm, und wenn der alte Mann das nicht wollte ... nun, dann sollte er lieber dafür sorgen, dass seine Versicherungsbeiträge bezahlt waren.

Hobie faltete den Brief und steckte ihn zusammen mit den Fotos in den Umschlag zurück. Ein Teil von ihm wollte den Brief zerknüllen, die Fotos zerreißen und alles wegwerfen, doch ein anderer Teil drängte ihn, alles aufzuheben und diese letzte Erinnerung an Dan zu behalten. Hobie legte den Umschlag auf den Couchtisch. Er würde später darüber nachdenken und am Morgen entscheiden, was zu tun war.

Hobie wollte gerade aufstehen, das Licht ausschalten und wieder ins Schlafzimmer gehen, als er vor der Tür Schritte hörte. Grelle Angst flammte in ihm auf, und bewegungslos blieb er sitzen. Er hatte sogar Angst zu atmen. Ein leises, metallisches Scheppern verriet ihm, dass der Briefkasten geöffnet und geschlossen worden war.

Noch ein Brief.

Hobie wusste, dass er aufspringen, nach draußen laufen und den hässlichen, mageren Bastard verprügeln sollte, aber er hatte zu viel Angst, um auch nur erkennen zu lassen, dass er da war. Mit angespannten Muskeln und innerlich zitternd, schloss er die Augen, bis er sich entfernende Schritte und das leiser werdende Geräusch eines Motors hörte.

Hobie saß dort bis zur Morgendämmerung, aus Furcht, wieder ins Bett zu gehen, aus Furcht, in den Briefkasten zu sehen, aus Angst, sich zu bewegen. Erst das Klingeln seines Weckers um sechs Uhr zwang ihn, die Couch zu verlassen.

22.

Doug saß auf dem Stuhl mit der harten Lehne und sah den Polizeichef wütend an. »Ich habe es gesehen!«

»Okay, nehmen wir mal an, dass der Postbote im Dunkeln getanzt hat. Ja und? Das verstößt nicht gegen das Gesetz. Tanzen wird als eine legitime Form des Selbstausdrucks angesehen.«

»Spielen Sie keine Spielchen mit mir. In dieser Stadt passieren ein paar verdammt seltsame Dinge, und Sie kommen hier mit diesem lächerlichen Scheiß.«

Der Chief betrachtete ihn mit kühlem Blick. »Das Gesetz ist kein ›lächerlicher Scheiß‹, Mister Albin. Mir ist Ihre Meinung in dieser Angelegenheit wohl bewusst, und ich will ehrlich sein und Ihnen sagen, dass wir bei unseren Ermittlungen sämtlichen Hinweisen nachgehen.«

Mike Trenton, der neben dem Chief saß, starrte stumm auf den Tisch.

»Behandeln Sie mich nicht von oben herab wie ein zweitklassiger Film-Cop. Sie wissen so gut wie ich, dass hier etwas Merkwürdiges im Gange ist.«

»Ich sage Ihnen nicht, wie Sie unterrichten sollen, also sagen Sie mir nicht, wie ich meinen Job tun soll.« Der Chief stand auf. »Ich würde es sehr schätzen, wenn Sie sich aus polizeilichen Angelegenheiten heraushielten. Wir sind absolut in der Lage, die Dinge ...«

»Absolut in der Lage?«

»Das war's dann, Mister Albin.« Der Chief legte die Hände auf den Tisch und beugte sich vor. »Ich habe genug Zeit damit verschwendet, mit Ihnen zu reden und mir Ihre Theorien anzuhören. Bitte belästigen Sie diese Polizeiwache nicht noch einmal, oder Sie werden sich wegen Behinderung der Justiz verantworten müssen. Habe ich mich klar ausgedrückt?«