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Das Gefühl muss ansteckend sein, dachte er, denn plötzlich spürte auch Doug das kühle Prickeln von Gänsehaut auf seinen Armen und im Nacken. »Was ist los?«, fragte er.

»Du weißt verdammt gut, was los ist.« Hobie blickte ihn an. »Der Postbote.«

Doug lehnte sich im Stuhl zurück. »Ich wollte nur hören, dass du es sagst.«

Hobie leckte sich über die Lippen und fuhr sich mit der Hand durch sein ohnehin zerzaustes Haar. »Ich habe Briefe von meinem Bruder bekommen«, sagte er.

»Du hast mir nie erzählt, dass du einen Bruder hast.«

»Er ist in Vietnam gefallen.« Hobie holte tief Luft, und als er weitersprach, war seine Stimme voller Bitterkeit. »Er war erst neunzehn Jahre alt. Dafür wird Richard Nixon in der Hölle schmoren. Da wird er Lyndon B. Johnson treffen, der schon da ist.« Er blickte Doug an. »Die Sache ist die ... Es sind Briefe, die Dan geschrieben hat, als er drüben war. In Vietnam. Es sind Briefe, die wir nie bekommen haben, die irgendwie verloren gegangen sind.«

Doug wusste nicht, was er sagen sollte. Er räusperte sich. »Vielleicht sind die Briefe nicht echt«, sagte er. »Wir haben öfters gefälschte Briefe bekommen, die angeblich von unseren Freunden kamen, die der Postbote aber selbst geschrieben hat. Ich weiß nicht, wie er das macht oder warum, aber ...«

»Die Briefe sind echt. Sie sind von Dan.« Hobie starrte schweigend zu den Bäumen hinüber, als ob er etwas beobachtete. Doug folgte dem Blick seines Freundes, konnte aber nichts entdecken. Als er Hobie wieder anschaute, sah er Tränen in dessen Augen. »Ich weiß nicht, wo der Postbote diese Briefe gefunden hat, aber sie tragen Dans Handschrift, und es stehen Dinge darin, die nur Dan wissen konnte. Die Sache ist nur ... Ich meine, ich bin kein religiöser Mensch, weißt du. Aber ich frage mich immer wieder, ob diese Briefe nicht verloren gehen sollten, ob wir sie nicht bekommen sollten, weil ...« Er schüttelte den Kopf und wischte sich die Augen. »Ich erfahre Dinge über meinen Bruder, die ich gar nicht wissen will. Er war ein völlig anderer Mensch, als meine Eltern und ich gedacht haben. Vielleicht hat er sich in Vietnam verändert, oder ...« Er blickte Doug an. »Weißt du, ich wünschte, ich hätte diese Briefe nie gesehen, aber jetzt, nachdem ich sie bekommen habe, muss ich sie immer wieder lesen. Kannst du das begreifen?«

Doug nickte. »Wie viele hast du bekommen?«

»Ich kriege einen pro Tag.« Hobie versuchte ein halbherziges Lächeln. »Oder einen pro Nacht. Sie kommen nachts.«

Die beiden Männer schwiegen eine Weile.

»Der Postbote ist für Stockleys Tod verantwortlich«, sagte Doug ruhig. »Ich weiß nicht, was er gemacht hat, und warum und wie er es getan hat, aber er hat es getan. Er hat Stockley zu den Morden getrieben. Irgendwie hat er ihn dazu gebracht, dass er in die Bank geht und um sich schießt. Es klingt verrückt, ich weiß. Aber es ist wahr.«

Hobie sagte nichts.

»Ich bin mir nicht sicher, ob Bernie Rogers sich selbst umgebracht hat, aber ich weiß bestimmt, dass er dazu getrieben wurde, falls er es getan hat. Dasselbe gilt für Ronda.« Er streckte den Arm aus und legte Hobie die Hand auf die Schulter. Die Geste war ungewöhnlich. In all den Jahren, die er Hobie kannte, war es das erste Mal, dass er seinen Freund berührte. »Ich mache mir Sorgen um dich«, sagte er. »Ich möchte, dass du auf dich aufpasst. Ich weiß nicht, was hier vor sich geht, aber es sieht so aus, als hätte der Postbote dich aus irgendeinem Grunde ausgeguckt und dass ...«

»Dass was? Dass ich der Nächste sein werde?« Hobie schnaubte verächtlich, und für einen Augenblick schien er wieder der Alte zu sein. »Du glaubst wirklich, ich könnte mich umbringen? Da bist du schiefgewickelt.«

Doug lächelte. »Ich bin froh, dass du das sagst.«

»Ich gebe zu, diese Sache hat mich ein bisschen mitgenommen, aber ich bin nicht bereit, mich von irgendwelchen bescheuerten Briefen in den Wahnsinn treiben zu lassen.«

»Okay.«

»Aber wir müssen etwas gegen diesen Mistkerl unternehmen.« Hobies Stimme klang ernst und eindringlich. Er schaute Doug fest in die Augen - und was Doug dort sah, als er den Blick erwiderte, machte ihm Angst. Rasch sah er weg.

»Du bist auf meiner Seite, oder? Ich meine, du bist der Erste, der etwas über ihn herausgefunden hat.«

»Ja«, sagte Doug. »Aber ...«

»Aber was?«

»Mach bloß keine Dummheiten, okay? Wir werden ihn kriegen, aber tu nichts Gefährliches. Sei vorsichtig.«

Hobie stand auf. »Ich muss jetzt weg. Ich muss wieder zum Schwimmbad.«

»Das Schwimmbad ist heute geschlossen«, erinnerte Doug ihn freundlich.

»Ja«, sagte Hobie. Geistesabwesend schüttelte er den Kopf, als er über die Veranda ging und die Stufen hinunterstieg. »In letzter Zeit vergesse ich dauernd etwas.«

»Pass auf dich auf«, sagte Doug noch einmal, als sein Freund in seinen Wagen stieg. Trish kam auf die Veranda, stellte sich neben Doug und wischte sich die Hände an einem Geschirrtuch ab. Sie winkten beide, als Hobie zurücksetzte und auf die Straße einbog.

Hobie winkte nicht zurück.

24.

Doug und Trish gingen gemeinsam zum Briefkasten.

Es war merkwürdig, wie ein derart harmloses, unbelebtes Objekt aus verzinktem Blech innerhalb so kurzer Zeit einen solch bösartigen, bedrohlichen Charakter annehmen konnte. Sie gingen langsam über den knirschenden Kies, ernst und beklommen, als näherten sie sich einem Galgen oder einer Guillotine. Sie sagten nichts, hatten beinahe Angst, etwas zu sagen.

Der Morgenhimmel war bedeckt, ungewöhnlich für Ende Juni, und Doug fragte sich, ob der Regen dieses Jahr vielleicht früher kommen würde. Irgendwie beunruhigte ihn dieser Gedanke. Es war durchaus schon vorgekommen, ja nicht einmal ungewöhnlich, aber dass all die fremdartigen Ereignisse vielleicht sogar mit einer Veränderung des Wetters einhergingen, verlieh der ganzen Situation eine größere, kosmische Qualität. Normalerweise hätte Doug diesen Gedanken als verrückt abgetan, aber dies waren keine normalen Zeiten. Sowohl Trish als auch Billy waren in den letzten Tagen sehr verschlossen und wenig mitteilsam gewesen, Billy sogar ausgesprochen missmutig. Doug vermutete, dass die Jungen etwas gesehen hatten, auch wenn keiner von beiden es zugeben würde.

Das war Furcht erregend, fand Doug. Sie hatten als Familie immer alles miteinander geteilt, aber jetzt drifteten sie auseinander, wurden den anderen gegenüber zurückhaltender und verschlossener. Und er wusste nicht, was er dagegen tun sollte.

Sie erreichten den Briefkasten. Doug öffnete ihn, und Trish nahm die Umschläge heraus.

Es waren zwei Briefe, einer für jeden.

Trish blickte Doug fragend an und reichte ihm seinen Umschlag.

Doug riss ihn auf. Der Umschlag war leer.

Trishs Gesicht war angespannt, als sie ihren Umschlag öffnete. Bei ihr war ein Brief darin, und sie nahm ihn heraus und faltete ihn auseinander. Mit ausdruckslosem Gesicht überflog sie die Zeilen und blickte dann zu ihm auf. »Wer ist Michelle?«, fragte sie.

Doug war verwirrt. »Michelle?«

Sie gab ihm den Brief, und er las ihn. Nachdem er auf der Hälfte der Seite war, wusste er, um welche Michelle es ging. Michelle Brunner, eine alte Freundin vom College; die einzige Frau außer Trish, mit der er jemals etwas gehabt hatte, das man zu Recht als sexuelle Beziehung bezeichnen konnte. Als er weiterlas, wurde seine Miene düster. Der Brief erweckte den Anschein, als hätten er und Michelle jahrelang eine heiße Affäre gehabt und würden sich noch heute heimlich treffen, wann immer sie konnten. Dabei hatte Doug sie in Wirklichkeit seit seinem ersten Jahr im College nicht mehr gesehen - zwei Semester, bevor er Trish kennen gelernt hatte.

»Der Brief ist gefälscht«, sagte er und faltete ihn zusammen.

»Wer ist Michelle?«

»Michelle Brunner. Ich habe dir von ihr erzählt. Die Verrückte, du erinnerst dich?«