Sie wusste, dass auch Doug diese Veränderungen bemerkt hatte, wenn auch keiner von beiden mit dem anderen darüber gesprochen hatte. Sie konnte es in seinen Augen sehen, an seinem Verhalten ablesen. Es drückte sich weniger durch das aus, was er sagte, als durch das, was er nicht sagte. Sie redeten immer noch über die aktuellen Ereignisse, über häusliche Angelegenheiten, versuchsweise sogar über den Postboten, doch ihre Gespräche besaßen eine gewisse Oberflächlichkeit. Mehr als einmal hatte Trish das Gefühl, dass sie mehr zueinander sprachen als miteinander.
Und das war die Schuld des Postboten.
Aber Trish wollte ihn nicht siegen lassen. Sie weigerte sich, ihre Familie von dieser Kreatur auseinanderreißen zu lassen. Es wäre einfach, zu kapitulieren und zuzusehen, wie der Bruch zwischen ihr und Doug größer wurde. Doch sie schwor sich, niemals zuzulassen, dass alles noch schlimmer wurde. Sie würde ihrem Mann und ihrem Sohn die Hand hinhalten. Sie würde der Lethargie der Gefühle ein Ende setzen, und sie würde die beiden zwingen, dasselbe zu tun.
Am liebsten hätte Trish am Postamt angehalten und dem Postboten ins Gesicht gesagt, dass sie seine Versuche, sie zu zerstören, nicht mehr hinnehmen würde. Doch sie erinnerte sich an das letzte Mal, als sie versucht hatte, ihm gegenüberzutreten. Bei dem Gedanken bekam sie Gänsehaut auf ihren bloßen Armen, und die Härchen in ihrem Nacken stellten sich auf. Sie war wütend, sie war entschlossen, aber sie war nicht dumm.
Sie sind hübsch.
Nie wieder würde sie allein zum Postamt gehen.
Trish war fast schon an der Abzweigung, die zu ihrem Haus führte, als ihr einfiel, dass sie noch fürs Abendessen einkaufen musste. Sie war an diesem Nachmittag nicht nur in die Stadt gefahren, um Irene zu besuchen, sondern auch, um Lebensmittel einzukaufen. Sie waren seit Tagen nicht einkaufen gegangen und brauchten dringend Milch und Butter und andere Grundnahrungsmittel sowie etwas für das Abendessen.
Trish wendete und fuhr zum Geschäft zurück. Normalerweise plante sie die Mahlzeiten für die Familie einen Tag im Voraus, aber ungefähr seit einer Woche war sie zu müde und zu unkonzentriert gewesen, um mehr zu tun, als in letzter Minute irgendetwas zusammenzurühren; ein Verhalten, das so sehr ihrem Charakter widersprach, dass sie sich fragte, warum es ihr nicht schon früher aufgefallen war. Diese Verrücktheit hatte nicht nur das Gefühlsleben ihrer Familie beeinflusst, sondern ihren Alltag.
Trish beschloss, beim Feinkostgeschäft zu halten, um nach frischem Fisch zu fragen. Sie hatte Lust auf Forelle, und wenn es einen guten Fang gegeben hatte, würde sie welche für das Abendessen mitnehmen.
Sie fuhr auf den Parkplatz des Einkaufszentrums. Obwohl sämtliche Parkplätze vor Bayless besetzt waren, entdeckte Trish zu ihrem Erstaunen, dass der Bereich vor dem Feinkostgeschäft fast leer war. Das war unheimlich. Todd hatte die feinste Auswahl an Käse und den besten frischen Fisch der Stadt, und wenn bei Bayless viel los war, war der Feinkostladen normalerweise sogar noch voller.
Trish parkte in einer Lücke direkt vor dem Eingang und ging hinein.
Sofort bemerkte sie, dass etwas anders war. Es war nichts, das sie sah, mehr ein Gefühl. Eine seltsame, bedrohliche Spannung lag in der Luft, ganz anders als die gewohnte Atmosphäre im Laden. Trish sah sich um. Abgesehen von ihr und Todd hinter der Theke war das Geschäft leer. Sie trat nach vorn und besah sich das Fleisch in der Fleischtheke. Dann lächelte sie den Ladenbesitzer an, aber der lächelte nicht zurück, und Trish beschloss, rasch ihre Einkäufe zu erledigen und zu verschwinden.
Sie zeigte auf eine Auswahl filetierter Forellen auf Eis hinter der Theke. »Frisch gefangen?«, fragte sie.
Todd nickte schweigend.
Trishs Unbehagen wurde stärker, und rasch sagte sie: »Ich nehme drei große.«
Der Ladenbesitzer öffnete die Rückseite der Theke, holte drei Forellen heraus und legte sie auf die Waage. »Sagen Sie Ihrem Mann, dass ich nicht schätze, was er macht«, sagte er.
Trish runzelte die Stirn. »Wovon reden Sie? Was macht er denn?«
»Sagen Sie ihm, dass ich es ganz und gar nicht schätze.«
»Dass Sie was nicht schätzen?« Trish starrte ihn an. »Todd, sagen Sie mir, was hier los ist. Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
Todd ließ seine Reserviertheit fallen. Er lächelte Trish an, während er die Fische einwickelte, und in seinem Lächeln lag Traurigkeit. »Ich weiß, dass Sie es nicht wissen.«
»Todd?«
»Ich glaube Ihnen. Sonst wären Sie nicht hier.« Er deutete mit dem Arm in den leeren Laden. »Sie sind heute meine erste Kundin.«
»Was ist denn los?«, fragte Trish. Sie beugte sich über die Theke vor. »Ist es die Post?«
Todds Gesicht versteinerte und wurde kalt. »Das macht dann drei fünfzig.«
»Todd?«
»Drei fünfzig.«
Trish bezahlte den Fisch und verließ das Geschäft. Als sie auf dem Parkplatz zurücksetzte, sah sie, wie er in der Tür stand und hinter ihr her starrte. Es sah aus, als ob er weinte.
28.
Billy saß im abgedunkelten Wohnzimmer und sah fern. Der Dick Van Dyke Show folgte Matlock, dann kam Die Familie Feuerstein und schließlich Drei Mädchen und drei Jungen. Die vertrauten Charaktere der Leute im Fernsehen hatten etwas Tröstliches. Sie waren ein beruhigendes Element in den vertrauten Irrungen und Wirrungen der Shows. Draußen mochte alles seltsamer und chaotischer sein, doch im Fernsehen waren Mike und Carol Brady immer noch gutmütige, verständnisvolle Eltern, die versuchten, einen Krieg der Geschlechter zu ersticken, der sich zwischen ihren Kindern zusammenbraute.
Es folgte ein Werbespot, und Billy stand auf, um sich etwas zu essen zu holen. Er hatte den größten Teil der letzten drei Tage vor dem Bildschirm geklebt, und obwohl er die Fernsehshows gerne sah, fühlte er sich langsam doch unruhig und einem Koller nahe. Auch hatte er irgendwie ein schlechtes Gewissen. Seine Eltern hatten ihn noch nie so viel fernsehen lassen wie jetzt, und nun hatte er das Gefühl, dass er etwas Falsches tat und seine Zeit nicht damit verschwenden sollte, vor der Glotze zu hocken.
Doch seine Eltern schien es nicht zu interessieren. Sie waren zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt. Sein Dad hatte nichts gesagt, als er vor ein paar Minuten durchs Haus ging; er schien nicht einmal gemerkt zu haben, dass Billy da war.
Billy machte sich ein Sandwich mit Erdnussbutter und Marmelade; dann ging er ins Wohnzimmer zurück und setzte sich in seinen Sessel vors Fernsehgerät. In den vergangenen Tagen hatte er versucht, eine andere Beschäftigung zu finden, war aber spektakulär gescheitert. Er hatte jeden angerufen, den er kannte, und gefragt, ob er Lust hatte, Fahrrad zu fahren oder zu schwimmen oder zum Fort zu gehen, aber entweder waren seine Freunde nicht zu Hause, oder sie wollten nicht mit ihm reden. Billy war allein zum Hügel oberhalb der Grabung gefahren, doch auch ohne den Abhang hinunterzufahren wusste er, dass die Archäologiestudenten fort waren und die Ausgrabung beendet war. So schnell er konnte, hatte Billy in die Pedale getreten und war wieder nach Hause gefahren. Der Hügel flößte ihm Furcht ein.