Trish stieg die Stufen der Veranda hinauf und klopfte an die äußere Gittertür. Sie konnte hören, dass sich im Haus jemand bewegte, doch die schwere Vordertür öffnete sich nicht. »Hannah!«, rief Trish.
»Verschwinde von hier!«, erklang die wütende Stimme ihrer Freundin aus dem Innern des Hauses.
»Ich bin's, Trish!«
»Ich sagte, du sollst verschwinden, verdammt!« Hannah Nelson öffnete und stand hinter der Gittertür. Ihr Haar war zerzaust und ungekämmt, ihr Hauskleid schmutzig. Trish konnte sich nicht erinnern, ihre Freundin jemals anders als wie aus dem Ei gepellt gesehen zu haben, und der Anblick ihres unordentlichen Äußeren war ein Schock.
»Hannah!«
»Hau ab, du Hexe!«
Trish starrte sie an, wusste nicht, was sie tun oder sagen sollte.
»Hundemörderin!«, schrie Hannah. Sie spuckte Trish an. Der Speichel, aufgefangen von dem feinen Drahtgitter, tropfte in dicken Fäden herunter.
Trish war fassungslos. »Wovon redest du?«
»Wir haben den Brief bekommen. Wir wissen alles. Ron!« Sie drehte sich zum Wohnzimmer um und ließ Trish auf den herabtropfenden Speichel starren.
Ron tauchte aus dem Halbdunkel des Wohnzimmers auf, öffnete die Gittertür und trat hinaus auf die Veranda. Er stellte sich vor Trish hin, die Beine leicht gespreizt, und blickte sie feindselig und drohend an. »Ich hätte nicht gedacht, dass du jemals den Mut findest, dich hier noch mal blicken zu lassen.«
»Ich weiß nicht, was du ...«
»Hau endlich ab!«, kreischte Hannah.
Ron starrte Trish wütend an. »Du hast gehört, was meine Frau gesagt hat. Verschwinde! Und lass dich hier nie wieder blicken.«
Jeden Schritt ertastend, wich Trish zurück. »Ich verstehe nicht ...«
»Geh nach Hause, Miststück.« Ron spuckte vor ihr auf den Boden. »Und sag deinem Bengel, dass wir ihn hier nicht mehr sehen wollen. Ich weiß, dass er immer hierhergekommen ist und Zitronen geklaut hat. Wenn er nicht damit aufhört, riskiert er, sich eine Kugel im Arsch einzufangen. Hast du kapiert?«
Trish fühlte, wie weiß glühende Wut in ihr aufwallte. »Mein Sohn hat noch nie etwas gestohlen! Er war die ganze letzte Woche zu Hause. Und wenn du nicht so ein dummer, ungebildeter Blödmann wärst, hättest du auch von selber darauf kommen können!«
Mit ausgestreckter Faust kam Ron auf sie zu, und Trish lief davon.
Am Ende der Auffahrt drehte sie sich um. »Und wenn du noch ein bisschen mehr nachdenken würdest, dann wüsstest du auch, dass wir Scooby niemals etwas antun würden!«
Ron hob einen Stein auf und warf ihn nach Trish. Er flog weit, verfehlte sie jedoch, und herausfordernd streckte sie ihm einen erhobenen Mittelfinger entgegen, ehe sie mit Tränen in den Augen nach Hause lief.
Als Doug und Billy eine Stunde später zurückkehrten, hatte Trish ihre Fassung zurückgewonnen. Sie erzählte Doug, was geschehen war, und gemeinsam gingen sie über die Straße zum Haus der Nelsons, nicht ohne Billy zuvor einzuschärfen, im Haus zu bleiben, solange sie weg waren.
Obwohl der Wagen der Nelsons immer noch in der Auffahrt stand und Doug mehrere Male laut klopfte, kam niemand zur Tür.
30.
Am Dienstagmorgen fiel während der zweiten Stunde der Today-Show der Strom aus. Wie beim ersten Mal ging der Fernseher einfach aus; gleichzeitig erlosch das Licht in der Küche. Als Doug schließlich durch die Mauer aus Besetztzeichen zum Stromlieferanten durchkam, versicherte ihm ein sehr unsicherer Mitarbeiter, dass alles getan würde, um das Problem zu identifizieren und zu beheben. »Wann wird das ungefähr sein?«, fragte Doug.
Nervös räusperte sich der Mann. »Im Moment kann ich Ihnen das leider nicht sagen.«
»Reden wir hier über Minuten oder Monate?«
»Möglicherweise ist schon heute Abend alles wieder in Ordnung. Vielleicht auch erst morgen.« Doug legte auf und war so klug wie zuvor. Es war dumm und lächerlich, aber er hatte das seltsame Gefühl, dass die Rechnungen der Stromgesellschaft in der Post verloren gegangen waren und dass sie jetzt keine Elektrizität mehr hatten, weil die Rechnungen nicht bezahlt wurden. Oder irgendetwas in der Art. Etwas, das mit der Post zu tun hatte.
Gegen fünf Uhr nachmittags fielen auch Wasser, Gas und das Telefon aus.
31.
Merkwürdig, dachte Doug, dass sie nicht einmal in Betracht gezogen hatten, die Stadt zu verlassen und für ein paar Wochen seine Eltern zu besuchen oder bei Trishs Dad in Kalifornien vorbeizuschauen. Es gab nichts, was sie aufhalten konnte, keinen Grund, warum sie dieses Irrenhaus nicht für eine Weile hinter sich lassen sollten. Doch obwohl sie nicht darüber gesprochen hatten, wusste Doug, dass Trish sich genauso fühlte wie er: gefangen in Willis, in der Falle.
Soweit er wusste, hatte niemand die Stadt verlassen. Die Menschen waren passiv und blieben, wo sie waren - wie Schafe, während unter ihnen ein Wolf umherstreifte.
Warum?, fragte sich Doug. Was lähmte sie alle? Was zwang sie alle, hierzubleiben, wider alle Vernunft, gegen jeden natürlichen Instinkt? Irgendeine unlogische, idiotische Vorstellung von »Heimat«.
Der Strom war auch nach drei Tagen noch ausgefallen, und Doug hatte kalte Bäder, stille Nächte und kalte Küche mächtig satt, aber wenigstens funktionierten Gas, Wasser und Telefon wieder. Dafür konnte man schon dankbar sein. Es schien Doug, dass der Ausfall von Strom und Wasser dafür gesorgt hatte, die Bindungen zwischen den Menschen der Stadt noch mehr zu zerstören als alles, was bisher geschehen war. Er selbst hatte seit einigen Tagen mit niemandem mehr gesprochen außer mit Trish und Billy, und als er Mike Trenton angerufen hatte, war dieser kühl und distanziert gewesen.
Hobie hatte noch nicht einmal den Hörer abgenommen.
Was der Grund dafür war, dass Doug jetzt zu ihm fuhr, um ihn zu besuchen.
Unterwegs durchquerte Doug das Stadtzentrum. Es waren die Kleinigkeiten, die ihn beunruhigten: das ungemähte Gras im Park; das Unkraut, das sich auf dem Parkplatz vor der Bank durch die Ritzen im Asphalt zwängte; die Mülleimer, die die Straße säumten und nicht geleert wurden - oberflächlich unbedeutende Dinge, aber verräterische Anzeichen, dass irgendetwas ernsthaft aus den Fugen geraten war. Allein bei seiner Fahrt durch Willis bekam Doug den Eindruck, dass viele Menschen nicht mehr arbeiteten, dass sie an diesem Tag gar nicht das Haus verlassen hatten und ihre Arbeit nicht erledigt wurde. Es war fast unbegreiflich, wie ein einziges Individuum solche Wirkung auf eine ganze Stadt haben konnte, aber Doug hatte die Beweise vor Augen.
Er blieb vor Hobies Wohnwagen stehen. Die Autos des Freundes waren alle auf ihrem Platz, also war er offensichtlich zu Hause. Hobie ging nirgendwohin zu Fuß, wenn er fahren konnte.
Doug drückte auf den Klingelknopf.
Einen Augenblick später öffnete Hobie die Tür. Er war offensichtlich aufgewühlt. Er trug ein schwarz-goldenes Willis-Warthoga-T-Shirt mit dem Wappen der Schule, und sein Gesicht sah blass aus; sogar seine Lippen hatten jede Farbe verloren. »Hi«, sagte er. »Lange nicht gesehen.«
Doug lächelte, obwohl ihm überhaupt nicht danach zumute war. »Wie geht's dir so?«
Hobie zuckte mit den Schultern. »Nicht besonders gut. Aber ich bin froh, dass du gekommen bist.« Er machte die Tür weiter auf und winkte Doug herein.
Der Strom war auch bei ihm ausgefallen, aber anstatt Vorhänge und Fenster zu öffnen, hielt Hobie sie geschlossen und sorgte nur mit Kerzen für Beleuchtung. Der Wohnwagen roch nach brennendem Wachs und verdorbenem Essen, und als Dougs Augen sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten, sah er, dass der Kühlschrank offen stand und die Nahrungsmittel darin schlecht wurden. Müll und Kleidungsstücke waren überall verstreut, sowohl im Wohnraum als auch in der Küche. Doug blickte seinen Freund an. Hobie war vielleicht laut und polterig, aber er war immer sauber und ordentlich gewesen, und der Zustand im Innern des Wohnwagens machte Doug mehr Angst, als er sich eingestehen wollte. Hobies Gemütszustand hatte sich deutlich verschlechtert, seitdem sie zuletzt miteinander gesprochen hatten.