Oben hatte Billys Bett geknarrt, als der Junge sich im Schlaf ruhelos hin und her wälzte. Er war die letzten beiden Tage nervös und ängstlich gewesen, seitdem sie und Doug zum Einkaufen gefahren waren und ihn allein gelassen hatten. Trish machte sich Sorgen um ihn. Er wurde immer verschlossener. Wieder einmal beschäftigte Billy etwas, was er nicht mit ihnen bereden wollte, und obwohl Trish versuchte, geduldig und verständnisvoll zu sein, war es schwer, von Billys mangelndem Vertrauen nicht enttäuscht zu sein.
Der Druck in ihrem Unterbauch wurde stärker. Sie würde bald ins Bad gehen müssen, daran führte kein Weg vorbei. Und sie würde sich entscheiden müssen, ob sie Doug wecken sollte oder nicht. Er schnarchte leise neben ihr; sein Atem ging rau und unregelmäßig, und aus irgendeinem Grund musste Trish an Schlafapnoe denken, eine Krankheit, bei der das schlafende Hirn vergisst, die unwillkürlichen Körperfunktionen zu steuern, sodass die Gefahr bestand, dass der Betreffende zu atmen aufhört und sein Herz stehen blieb.
Hör damit auf, sagte sie sich. Du machst dich nur verrückt.
Der Druck wurde immer stärker. Sie erinnerte sich mit Furcht einflößender Deutlichkeit an den Traum, den sie in der letzten Nacht gehabt hatte. In diesem Traum hatte sie ein Bad genommen und sich in das warme, schaumige, entspannende Wasser gelegt, als sie plötzlich bemerkte, dass der Körper des Postboten unter ihr lag. Eine Hand war aus dem Schaum hervorgeschossen und hatte ihren Schrei erstickt, während sein brennendes Glied von hinten in sie eindrang.
Trish streckte den Arm aus und stupste vorsichtig ihren Mann an. »Doug?«, sagte sie leise.
»Was?« Er schreckte aus dem Schlaf, sofort in Alarmbereitschaft.
»Ich habe Angst, allein ins Badezimmer zu gehen«, sagte sie schüchtern. »Würdest du mitkommen?«
Doug nickte, und selbst in der Dunkelheit konnte sie die Ringe unter seinen Augen erkennen. Er stieg taumelnd aus dem Bett und zog seinen Morgenmantel an, und zusammen gingen sie zum Bad. Aus der Küche kam das leise Brummen des Kühlschranks. Trish tastete um die Ecke, fand den Lichtschalter und knipste die Badezimmerlampen ein.
Auf dem Toilettendeckel lag ein weißer Umschlag.
»Oh, den habe ich da vergessen«, sagte Doug rasch, nahm den Umschlag und steckte ihn ein. Doch Trish begriff im selben Augenblick, dass er den Umschlag noch nie gesehen hatte. Sie war die Letzte gewesen, die das Bad benutzt hatte, und da war noch keine Post im Badezimmer gewesen.
Er war im Haus.
»Sieh nach Billy«, stieß sie hervor und lief den Flur entlang durch die Küche. Sie war in Panik, rang nach Atem. Im Geiste sah sie das leere Bett ihres Sohnes vor sich, die Bettdecke weggezerrt, auf dem Kopfkissen ein Umschlag, der eine Lösegeldforderung enthielt ... oder Schlimmeres.
Billy ist auch hübsch. Billy ist auch hübsch ...
Doug folgte Trish die Treppe zum Loft hinauf.
Wo Billy fest schlief.
Trish hatte nie verstanden, was ein »Seufzer der Erleichterung« war, obwohl sie diese Worte oft in Romanen gelesen hatte. Jetzt seufzte sie selbst erleichtert und stieß die Luft aus, die sie angehalten hatte, als sie auf das Schlimmste gefasst gewesen war. Doug stand neben ihr. Ihre Blicke trafen sich, und beide machten sich schweigend daran, das Loft zu durchsuchen, um sicherzugehen, dass der Postbote sich nirgends versteckte.
Das Loft war leer.
Sie durchkämmten auch den Rest des Hauses und schauten gründlich in den Kleiderschränken, Küchenschränken und unter den Betten nach. Doug überprüfte die Fenster und die Schlösser an den Türen, aber alles war so, wie es sein sollte. Schließlich kehrten sie ins Bad zurück.
Doug legte Trish zur Beruhigung die Hand auf die Schulter.
»Was ist nur los mit dir, verdammt noch mal!«, stieß sie hervor und schob seine Hand weg, wobei sie sich zu ihm umdrehte.
Überrascht von ihrer plötzlichen Wut, wich er einen Schritt zurück. »Was?«
»Ich habe gefragt, was mit dir los ist. Du bist ganz wild darauf, zur Polizei zu gehen, damit sie etwas gegen den Postboten unternimmt, aber wenn er in unser Haus eindringt, während wir schlafen, und einen Brief auf der Toilette zurücklässt, tust du so, als hättest du ihn da vergessen und alles wäre in Ordnung.«
»Ich habe nicht so getan, als wäre alles in Ordnung!«
»So? Was hast du dann getan?«
»Ich wollte dir nur keine Angst machen.«
»Du wolltest mir keine Angst machen? Hast du überhaupt nicht an unseren Sohn gedacht? Was, wenn der Postbote noch im Haus gewesen wäre? Er hätte uns alle umbringen können.«
»Ich hab nicht richtig nachgedacht, okay.«
»Nein, das ist nicht okay. Du hättest uns alle in Gefahr bringen können. Du wolltest mir keine Angst machen? Ich habe schon Angst. Ich habe schon den ganzen Sommer Angst! Aber ich bin kein hilfloser Dummkopf. Verdammt, Doug, behandle mich wie eine Erwachsene!«
»Du weckst Billy«, sagte Doug.
»Dieser verfluchte Postbote war in unserem Haus!«, schrie Trish. »Was erwartest du denn von mir? Dass ich flüstere?«
»Wir wissen nicht, ob er hier war. Die Türen sind verriegelt, die Fenster sind alle geschlossen ...«
Trish schlug die Badezimmertür zu und traf beinahe Dougs Nase. Er stand im Flur, wütend auf sie, und wollte nichts mehr, als ins Schlafzimmer gehen, ins Bett kriechen und Trish in dem verdammten Badezimmer allein lassen. Das würde ihr genug Angst machen, um ihr eine Lektion zu erteilen. Aber so wütend er auch war, seine Furcht war größer. Sie hatte recht. Sie waren in Gefahr. Der Postbote war im Haus gewesen, wo sie sich bislang immer sicher gefühlt hatten. Er hatte ihre Festung gegen die Welt draußen gestürmt. Doug stand da und drückte das Ohr an die Badezimmertür. Er hörte nur Trish.
Die Toilettenspülung wurde betätigt, und kurz daraufkam sie heraus. »Lass mich den Brief sehen«, verlangte sie.
Doug zog ihn aus der Tasche seines Morgenmantels. »Vielleicht sollten wir ihn nicht anfassen«, meinte er. »Er könnte ein Beweismittel sein ...«
Trish riss den Umschlag auf. Er war an sie adressiert, und es lag ein Blatt weißes Papier darin, auf dem in einer blumigen, weiblichen Handschrift ein einziges Wort stand:
Hallo
Trish zerriss das Blatt in kleine Fetzen.
»He«, sagte Doug. »Tu das nicht! Wir brauchen ...«
»Wir brauchen was?«, schrie sie ihn an. »Das?« Sie zerriss den Brief in winzige Schnipsel. »Weißt du denn nicht, wie dieser Irre vorgeht? Verstehst du es denn immer noch nicht? Bist du wirklich so dumm? Er ist nicht zu fassen! Die Polizei wird kommen, und da werden keine Fingerabdrücke sein, keine Anzeichen für gewaltsames Eindringen, keine Beweise für gar nichts. Nichts, womit sie weitermachen können!«
Doug starrte sie schweigend an.
»Er weiß genau, was er tut. Selbst dieser Brief bedeutet absolut gar nichts, es sei denn, die Fingerabdrücke des Postboten sind darauf, oder wir können beweisen, dass es seine Handschrift ist.«
Trish hatte recht, und Doug wusste es, und dieses Wissen machte ihn wütend und hilflos zugleich. Trish zerriss das Papier in immer kleinere Schnipsel. Ihre Hände bewegten sich schnell, hastig, während ihr Tränen über die Wangen liefen. Doug wollte ihre Hände nehmen und festhalten, doch Trish drehte sich von ihm weg. »Fass mich nicht an!«
Doug kam noch näher, legte die Arme um sie und zog sie an sich. Sie wehrte sich. »Fass mich nicht an«, wiederholte sie. Doch ihre Gegenwehr wurde immer schwächer, ihr Protest halbherzig, und bald schluchzte sie in seinen Armen.