»Das ist Ihr Plan?«
Doug beugte sich vor. »Der Kerl ist ein Betrüger. Ich habe beim Hauptpostamt in Phoenix angerufen. Die haben den Burschen nirgendwo in den Akten. Als dann Sie da angerufen haben, war seltsamerweise der Computer ausgefallen, und meine Geschichte konnte nicht bestätigt werden. Aber Smith ist kein echter Postbote. Wenn ihr einen Postinspektor hierher holen könnt, sind wir wahrscheinlich in Sicherheit. Das Problem ist, dass Sie per Post oder Telefon nicht durchkommen. Sie müssen persönlich nach Phoenix fahren.«
»Kein Benzin«, erinnerte ihn Mike.
»Deswegen sollen Sie den Mistkerl ja ins Gefängnis stecken. Ziehen Sie ihn für eine Weile aus dem Verkehr.«
»Ich weiß nicht ...«
»Na gut, dann stecken Sie ihn eben nicht ins Gefängnis. Aber versuchen Sie wenigstens, einen Vertreter des Postamts aus Phoenix zu holen. Smith ist kein echter Postbote, aber die Autorität des US Postal Service erkennt er an. Zum Teufel - die Post ist überhaupt die einzige Autorität, die er anerkennt!«
»Wie kommen Sie darauf?«
Doug überlief eine Gänsehaut, als er an den irren Tanz des Postboten auf dem Hügel dachte. »Ich weiß es einfach.«
»Ich will ihn trotzdem überwachen.«
»Dann überwachen Sie ihn. Hängen Sie sich an ihn dran. Folgen Sie ihm, wo immer er hingeht. Vielleicht können Sie ihn auf diese Weise erwischen.«
»Aber Sie glauben es nicht?«
»Nein, ich glaube es nicht.«
Mike nahm das Fotoalbum und stand auf. »Ich bin bei der Sache auf mich allein gestellt. Das Polizeirevier steht nicht hinter mir. Der Chief würde explodieren, wenn er wüsste, dass ich mit Ihnen rede.«
»Warum?«
»Ich weiß es nicht genau. Aber ein paar Kollegen sind auf meiner Seite. Tim natürlich. Und Jack und Jeff. Wir wissen alle, was los ist.«
»Ich denke, Sie sollten ihn sich jetzt schnappen.«
Mike ging zur Tür. »Ich denke darüber nach.« Auf der Veranda drehte er sich um. »Es könnte mich allerdings den Job kosten.«
»Es könnte Sie oder mich das Leben kosten, wenn Sie es nicht tun.«
»Vielleicht verschwindet er irgendwann von hier.«
Doug lächelte grimmig. »Nein. Das habe ich auch gehofft. Aber das wird er ganz sicher nicht tun. Er wird niemals von hier weggehen.«
Mike ging zu seinem Wagen, stieg ein und fuhr die Auffahrt entlang. Doug blieb auf der Veranda stehen, bis die Rücklichter verschwunden waren und sich das Geräusch des Motors in der Stille der Nacht verlor.
43.
Doug hatte sich geirrt. Der Postbote verschwand tatsächlich. Am nächsten Tag war er nicht mehr da. Als Doug am Nachmittag am Postamt vorbeifuhr, hatte es geschlossen. Im Polizeirevier sagte ihm Mike, dass ein Officer, der bei der Radarfalle am Stadtrand Dienst tat, John Smiths Wagen in Richtung Phoenix hatte fahren sehen.
Der nächste Tag verging, und der übernächste, und es war immer noch nichts vom Postboten zu sehen.
Als das Wochenende verstrichen war, der Montag kam und das Postamt immer noch geschlossen blieb, fiel allmählich die Anspannung von Doug ab.
Es schien vorbei zu sein.
Der Postbote war verschwunden.
44.
Der Morgen war klar, kühl und sonnig. Es war der erste August. Doug wachte früh auf, duschte, rasierte sich und ging hinaus, um in den Briefkasten zu sehen. Erleichtert stellte er fest, dass dieser leer war.
Als er zum Haus zurückkam, war Trish aufgestanden. Sie machte Kaffee. Als Doug »Guten Morgen« sagte, lag Verärgerung in ihrer Miene, und als er den Gruß wiederholte, gab sie als Antwort nur ein unverständliches Grunzen von sich.
Doug schaltete den Fernseher ein. News at Sunrise, die vertraute, allmorgendliche Nachrichtensendung von NBC, erschien auf dem Bildschirm. Seitdem der Postbote verschwunden war, hatte es keine Probleme mit der Elektrizität gegeben, und auch Gas, Wasser und Telefon hatten ohne Unterbrechungen funktioniert. Das Leben, so schien es, kehrte langsam zur Normalität zurück.
Billy schlief noch. Trish trug Doug auf, ihn zu wecken und zum Frühstück herunterzuholen; sie weigerte sich, ihre kulinarischen Bemühungen zu unterbrechen, ehe Billy nicht auftauchte.
Trish machte Tortillas für alle und verwendete dazu Gemüse, das sie in ihrem Garten gezogen hatte. Sie frühstückten zusammen, und Trish kündigte an, dass sie an diesem Morgen zum Supermarkt fahren und ausgiebig einkaufen würden. Der Küchenschrank war nahezu leer, ebenso der Kühlschrank, und Trish hatte einen Stapel von Rabattcoupons, deren Verfallsdatum beinahe erreicht war. Sie machte sich daran, eine Einkaufsliste zu erstellen, während Doug das Geschirr abwusch und Billy abtrocknete.
»Okay«, sagte sie schließlich. »Fertig.«
»Ich will nicht mit«, sagte Billy.
»Du musst aber.«
»Warum?«
Trish blickte ihren Sohn an. Billy war reif für sein Alter, intelligent und kräftig, doch in den vergangenen zwei Monaten hatte er mit Dingen klarkommen müssen, mit denen die meisten Erwachsenen es nie zu tun bekamen. Trish spürte, wie eine seltsame Traurigkeit sie überkam, während sie in Billys müdes Gesicht blickte. Sie hatte immer gewollt, dass Billy so lange wie möglich Kind blieb und nicht zu schnell erwachsen wurde. Die Kindheit war eine besondere, eine magische Zeit, die man nur einmal erlebte. Zugleich war Trish der Ansicht, dass man Kinder nicht vor der Wirklichkeit abschirmen sollte. Ob es ihnen gefiel oder nicht, am Ende mussten sie in der realen Welt leben, und sie konnten sich besser in diese Welt hineinfinden, wenn sie angemessen darauf vorbereitet wurden.
Dieser Sommer jedoch - das war nicht die reale Welt gewesen. Die entsetzlichen Ereignisse der letzten zwei Monate würden Billy nicht auf die Zukunft vorbereiten. Nichts Vergleichbares würde jemals wieder geschehen.
Trish starrte Billy an, sah das Flehen in seinen müden Augen. Ihre Stimme wurde weich. »Okay«, sagte sie. »Du musst nicht mitfahren.«
Billy lächelte erleichtert, auch wenn in seinen Augen noch etwas anderes, Lauerndes lag. Die furchtbaren Geschehnisse hatten bei ihm wahrscheinlich Narben hinterlassen, von denen sie niemals erfahren würde. »Danke«, sagte er.
»Aber du musst im Haus bleiben«, warnte sie ihn. »Schließ alle Türen ab, und lass niemanden rein, bis wir zurück sind. Verstanden?«
Billy nickte.
»Okay.« Sie blickte zu Doug hinüber und sah sein zustimmendes Lächeln. Es schadete nie, vorsichtig zu sein.
Billy zog sich an und stand auf der Veranda, als seine Eltern in den Wagen stiegen und die Auffahrt hinunterfuhren.
Er ging ins Haus zurück und schloss die Tür ab. Sein Blick wurde auf die Sperrholzplatte gezogen, die immer noch das zerbrochene Fenster abdeckte. Er hoffte, dass bald dieser Typ kommen und das Fenster reparieren würde. Die Platte half beim Fernsehen am Nachmittag, weil sie das blendende Sonnenlicht nahezu völlig aussperrte, aber sie machte das Haus auch dunkel.
Dunkelheit mochte er nicht.
Billy wusste noch nicht, was er unternehmen würde, wenn seine Eltern zurück waren. Er überlegte, ob er die Zwillinge anrufen sollte, kam dann aber zu dem Schluss, dass er sie eigentlich nicht sehen wollte. Viel lieber wollte er etwas mit Lane unternehmen, aber er hatte Angst, seinen alten Freund anzurufen. Nachdem der Postbote weg und alles vorbei war, war Lane vielleicht wieder normal ... Aber vielleicht auch nicht, und Billy war nicht mutig genug, das herauszufinden.
Jetzt musste er erst einmal zur Toilette. Er ging durch die Küche in den Flur, betrat das Badezimmer und öffnete seinen Gürtel.