Gregors bekümmerter Blick traf auf Aral, Cordelia und Droushnakovi, er sprach ernst zu seiner Mutter. Kareen winkte eine Wache herbei, und ein paar Minuten später näherte sich ein Wachkommandant Aral und Cordelia und bat um die Erlaubnis, Drou wegholen zu dürfen. Sie wurde durch einen unauffälligen jungen Mann ersetzt, der ihnen außerhalb Hörweite folgte und nur undeutlich in den Augenwinkeln sichtbar wurde, ein hübscher Trick für einen Kerl dieser Größe.
Glücklicherweise trafen Cordelia und Aral bald auf Lord und Lady Vorpatril, mit denen sich Cordelia ohne politisch-soziale Vorbehalte zu sprechen traute. Lord Vorpatrils rot-blaue Paradeuniform machte die gute Erscheinung des dunkelhaarigen Obersten vollkommen. Lady Vorpatril übertraf ihn noch in einem karneolfarbenen Kleid mit dazu passenden Rosen in der Wolke ihres schwarzen Haares, das die samtige Weiße ihrer Haut betörend hervorhob. Die beiden bildeten, so dachte Cordelia, ein archetypisches Vor-Paar, kultiviert und von heiterer Gelassenheit. Der Eindruck wurde nur leicht getrübt dadurch, daß Cordelia allmählich aus der etwas zusammenhanglosen Konversation Oberst Vorpatrils erkannte, daß dieser betrunken war. Er war allerdings ein fröhlicher Betrunkener, seine Persönlichkeit wurde nur etwas erweitert, nicht unangenehm verändert.
Vorkosigan, der von einigen Männern weggezogen wurde, die sich ihm mit entschlossenem Blick genähert hatten, übergab Cordelia der Obhut von Lady Vorpatril. Die beiden Frauen steuerten auf die eleganten Hors d’oeuvre-Tabletts zu, die von noch mehr menschlichen Dienern dargereicht wurden, und tauschten Schwangerschaftsklatsch aus. Lord Vorpatril entschuldigte sich hastig und folgte einem Tablett, auf dem Wein angeboten wurde. Alys entwarf die Farben und den Schnitt für Cordelias nächstes Kleid. »Schwarz und weiß, für dich, für das Winterfest«, entschied sie mit Autorität. Cordelia nickte sanft und fragte sich, ob sie sich wirklich bald zu einem Festmahl niedersetzen würde oder ob man von ihnen erwartete, daß sie weiterhin die vorbeigetragenen Tabletts leerten.
Alys führte sie auf die Damentoilette, einem Gegenstand ihres stündlichen Interesses aufgrund ihrer schwangerschaftsbelasteten Blasen, und stellte sie auf dem Rückweg einigen weiteren Damen ihres verfeinerten gesellschaftlichen Kreises vor. Alys geriet dann in eine lebhafte Diskussion mit einer alten Freundin bezüglich einer bevorstehenden Party für die Tochter dieser Frau, und Cordelia wanderte an den Rand der Gruppe.
Sie trat still zurück und trennte sich von ihnen (sie versuchte, nicht zu denken: von der Herde) für einen Moment ruhiger Betrachtung. Was für eine seltsame Mischung Barrayar war, im einen Augenblick heimelig und vertraut, im nächsten erschrekkend und fremdartig … aber sie zogen eine tolle Show ab … ah! Das war es, was an der Szene fehlte, erkannte Cordelia: Auf Kolonie Beta würde man eine Zeremonie dieser Größe komplett über Holovid übertragen, damit man planetenweit live daran teilnehmen konnte. Jede Bewegung würde zu einem sorgfältig choreographierten Tanz um die Vid-Ecken und das Timing der Kommentatoren gehören, und zwar so sehr, daß das Ereignis, das aufgezeichnet wurde, dadurch fast zunichte gemacht würde. Hier war kein Holovid in Sicht. Die einzigen Aufnahmen wurden von der Sicherheitsabteilung gemacht, und zwar für deren eigene Zwecke, zu denen Choreographie nicht gehörte. Die Menschen in diesem Raum tanzten nur füreinander, die ganze prunkvolle Darbietung wurde vergnügt der Zeit überantwortet, die sie für immer mit sich nahm: schon morgen würde das Ereignis nur noch in ihren Gedächtnissen existieren.
»Lady Vorkosigan?«
Cordelia wurde von einer höflichen Stimme aus ihrem Nachsinnen gerissen. Sie wandte sich um und sah Kommodore Graf Vordarian. Daß er die rot-blaue Uniform trug statt der persönlichen Livree in den Farben seines Hauses, zeigte an, daß er im aktiven Dienst stand, zweifellos schmückte er das Kaiserliche Hauptquartier — in welcher Abteilung? Ach ja, Einsatzplanung, hatte Aral gesagt. Er hatte ein Glas in der Hand und lächelte freundlich.
»Graf Vordarian«, erwiderte sie und lächelte ebenfalls. Sie hatten sich oft genug im Vorübergehen gesehen, so daß Cordelia beschloß, sie als einander vorgestellt zu betrachten. Diese Geschichte mit der Regentschaft würde nicht vorbeigehen, wie sehr sie sich das auch wünschte, es war Zeit, und zwar schon längst, daß sie ihre eigenen Beziehungen knüpfte und aufhörte, Aral bei jedem neuen Schritt mit der Bitte um Rat zu behelligen.
»Gefällt es Ihnen hier?«, fragte er.
»O ja.« Sie versuchte, noch ein paar weitere Worte zu finden. »Es ist außerordentlich schön.«
»Wie Sie, Mylady.« Er hob sein Glas in ihre Richtung mit der Geste eines Toasts und nippte dann daran.
Ihr Herz krampfte sich zusammen, aber sie erkannte den Grund dafür, bevor ihre Augen mehr taten als sich nur leicht zu weiten: Der letzte barrayaranische Offizier, der ihr zugetoastet hatte, war der verstorbene Admiral Vorrutyer gewesen, in einer ganz anderen gesellschaftlichen Situation. Vordarian hatte zufällig genau diese Geste nachgeahmt. Aber jetzt war keine Zeit für Erinnerungen an die damalige Tortur. Cordelia blinzelte. »Lady Vorpatril hat mir viel geholfen. Sie ist sehr großzügig.«
Vordarian nickte taktvoll in Richtung ihres Rumpfes. »Ich habe gehört, daß man auch Ihnen gratulieren darf. Wird es ein Junge oder ein Mädchen?«
»Wie? Ach ja. Ja, ein Junge, danke. Er soll Piotr Miles heißen, sagte man mir.«
»Ich bin überrascht. Ich dachte, der Lordregent hätte zuerst gern eine Tochter gehabt.«
Cordelia reckte den Kopf, Vordarians ironischer Ton irritierte sie. »Wir haben das begonnen, bevor Aral Regent wurde.«
»Aber Sie wußten sicher, daß er die Ernennung bekommen würde.«
»Ich wußte es nicht. Aber ich dachte, ihr barrayaranischen Militaristen wäret alle verrückt auf Söhne. Warum dachten Sie an eine Tochter?« Ich möchte ja eine Tochter …
»Ich nahm an, Lord Vorkosigan würde bezüglich seiner langandauernden … hm … Tätigkeit natürlich vorausdenken. Was für eine bessere Methode gäbe es denn, die Fortdauer seiner Macht nach dem Ende der Regentschaft zu sichern, als hübsch in die Position des Schwiegervaters des Kaisers zu schlüpfen?«
Cordelia stutzte. »Denken Sie, er würde bei der Kontinuität einer planetarischen Regierung auf den Zufall setzen, daß zwei Teenager in eineinhalb Jahrzehnten sich ineinander verlieben könnten?«
»Verlieben?« Jetzt schaute er verblüfft drein.
»Ihr Barrayaraner seid ja …«, sie biß sich auf die Lippe, bevor sie sagen konnte: verrückt. Das wäre unhöflich gewesen. »Aral ist sicher … praktischer.« Obwohl sie ihn wohl kaum unromantisch nennen konnte.
»Das ist außerordentlich interessant«, stieß er hervor. Sein Blick fiel immer wieder auf ihren Unterleib. »Glauben Sie, er erwägt etwas Direkteres?«
Ihr Denken lief irgendwie nur am Rande des sich im Kreis drehenden Gesprächs nebenher. »Wie bitte?«
Er lächelte und zuckte die Achseln.
Cordelia runzelte die Stirn. »Wollen Sie damit sagen, wenn wir ein Mädchen hätten, dann würden alle so denken?«
»Sicherlich.«
Sie atmete hörbar aus. »O Gott. Das ist ja … Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand, der seinen Verstand beisammen hat, es sich wünschen kann, in die Nähe der Herrschaft über Barrayar zu kommen. Dadurch macht man sich doch nur zur Zielscheibe für jeden Verrückten, der irgendeinen Groll hegt, soweit ich sehen kann.« Das Bild von Leutnant Koudelka, mit blutigem Gesicht und betäubt, kam ihr in den Sinn. »Es wäre auch schlimm für den armen Kerl, der Pech genug hat, neben einem zu stehen.«