Cordelia rieb zerstreut ihre Unterlippe. »Oh. Aber Sie persönlich — ich meine, mögen Sie ihn? Wäre es eines Tages nicht schön, als Gräfin Vordarian sich von den Aufgaben der Prinzessin-Witwe zurückziehen zu können?«
»Oh! Nicht jetzt. Der Stiefvater des Kaisers wäre ein zu mächtiger Mann gegenüber dem Regenten. Eine gefährliche Polarität, wenn sie nicht verbündet oder genau im Gleichgewicht wären. Oder nicht in einer Person kombiniert wären.«
»Wie zum Beispiel es beim Schwiegervater des Kaisers wäre?«
»Ja, genau.«
»Ich habe Schwierigkeiten, diese … geschlechtliche Übertragung von Macht zu verstehen. Haben Sie einen Anspruch auf die Herrschaft aus eigenem Recht, oder nicht?«
»Nun, hier haben wir — psst«, er grinste ihr in der Dunkelheit zu und drückte warnend ihre Hand. Sie hielten beide an, vor ihnen der Eingang zu einem kleinen offenen Fleck, der von Eiben und irgendeiner rosafarbenen, federartigen nichtirdischen Pflanze gegen Blicke von oben abgeschirmt war. Die Musik drang klar hörbar bis hierher.
»Versuchen Sie es, Kou«, drängte Droushnakovis Stimme. Drou und Kou standen am anderen Ende des Terrassenwinkels einander gegenüber.
Zögernd setzte Koudelka seinen Stock an der Steinbalustrade ab und hielt seine Hände den ihren entgegen. Sie begannen zu schreiten, zu gleiten und sich zu verneigen, wobei Drou ernsthaft zählte: »Eins-zwei-drei, eins-zwei- drei …«
Koudelka stolperte, und sie fing ihn auf, er griff sie um die Taille. »Da wird nichts draus, Drou.« Er schüttelte frustriert den Kopf.
»Pst …« Ihre Hand berührte seine Lippen. »Versuchen Sie es noch einmal. Ich bin dafür. Was sagten Sie, wie lange mußten Sie diese Handkoordination üben, bevor Sie es konnten? Mehr als einmal, da wette ich.«
»Der Alte wollte mich nicht aufgeben lassen.«
»Nun, vielleicht lasse auch ich Sie nicht aufgeben.«
»Ich bin müde«, beschwerte sich Koudelka.
Also, dann geht doch zum Küssen über, dachte sich Cordelia im stillen und unterdrückte ein Lachen. Das kann man auch im Sitzen machen.
Droushnakovi jedoch war fest entschlossen, und sie fingen wieder an.
»Eins-zwei-drei, eins-zwei-drei …« Wieder endeten die Bemühungen in etwas, das Cordelia als ein sehr guter Beginn einer Umarmung erschien, wenn nur einer von beiden seinen Kopf und seine Nerven beisammen gehabt hätte, um die Sache voranzutreiben.
Aral schüttelte den Kopf, und sie zogen sich schweigend hinter das Gebüsch zurück. Offensichtlich war er ein bißchen vom Gesehenen inspiriert, seine Lippen suchten die ihren, um sein eigenes Kichern zu ersticken.
Leider war ihr Taktgefühl umsonst: ein unbekannter Vor-Lord hastete blind an ihnen vorbei, stolperte durch den Winkel der Terrasse (Kou und Drou erstarrten mitten in der Bewegung) und beugte sich dann über die Steinbalustrade, um sich sehr traditionell in die darunter stehenden Büsche zu erbrechen. Plötzlich ertönten Flüche anderer Stimmen, einer männlichen und einer weiblichen, aus dem dunklen, abgeschirmten Zielgebiet. Koudelka nahm seinen Stock und die beiden Beinahe-Tänzer zogen sich hastig zurück. Der Vor-Lord mußte sich wieder übergeben, und sein männliches Opfer begann hochzuklettern, rutschte auf den besudelten Steinen aus und versprach gewalttätige Vergeltung. Vorkosigan führte Cordelia klugerweise vom Schauplatz hinweg.
Später, während sie an einem der Eingänge der Residenz auf die Bodenwagen warteten, stand Cordelia zufällig neben dem Leutnant.
Koudelka blickte nachdenklich über seine Schulter auf die Residenz zurück, von wo Musik und Festlärm fast unvermindert herüberklangen.
»Hat es Ihnen gefallen, Kou?«, fragte sie freundlich.
»Wie? O ja, erstaunlich. Als ich in den Armeedienst eintrat, hätte ich mir nie träumen lassen, daß ich mal hierher kommen würde.« Er blinzelte. »Es gab eine Zeit, da dachte ich, ich würde nirgendwohin kommen.« Und dann fügte er etwas hinzu, das für Cordelia wie eine Art sanfter, mentaler Peitschenschlag war: »Ich wünschte mir, es gäbe Bedienungsanleitungen für Frauen.«
Cordelia lachte laut: »Dasselbe könnte ich über die Männer sagen.«
»Aber Sie und Admiral Vorkosigan — Sie sind anders.«
»Nicht … wirklich. Vielleicht haben wir aus Erfahrungen gelernt. Viele Leute tun das nicht.«
»Glauben Sie, daß ich eine Chance für ein normales Leben habe?« Er blickte sie nicht an, sondern schaute in die Dunkelheit.
»Sie schaffen sich Ihre eigenen Chancen. Und Ihre eigenen Tänze.«
»Sie reden genau wie der Admiral.«
Cordelia fing Illyan am nächsten Morgen ab, als er in Palais Vorkosigan vorbeikam, um den täglichen Bericht seines Wachkommandanten zu hören.
»Sagen Sie mir, Simon: Steht Vidal Vordarian auf Ihrer kurzen Liste, oder auf der langen?«
»Jeder steht auf meiner langen Liste«, seufzte Illyan.
»Ich möchte, daß Sie ihn auf Ihre kurze Liste setzen.«
Sein Kopf fuhr hoch. »Warum?«
Sie zögerte. Sie wollte nicht antworten: Intuition, obwohl das es genau war, worauf diese unterbewußten Signale hinausliefen. »Er scheint mir die Mentalität eines Attentäters zu haben. Die Art, die aus einer Deckung in den Rücken des Feindes schießt.«
Illyan lächelte amüsiert. »Verzeihen Sie, Mylady, aber das klingt nicht nach dem Vordarian, den ich kenne. Ich habe ihn mehr als den offen und ungestüm losstürmenden Typ erlebt.«
Wie schlimm mußte ein ungestümer Mann verletzt sein, von welch brennendem Verlangen gequält, daß er auf einmal raffiniert wurde? Sie war unsicher. Vielleicht ahnte Vordarian nicht, wie tief Arals Glück mit ihr reichte, und begriff deshalb nicht, wie gemein sein Angriff auf dieses Glück war? Und: liefen persönliche und politische Animositäten notwendigerweise zusammen? Nein. Der Haß des Mannes war abgrundtief gewesen, sein Schlag, wenn auch irrtümlich, genau gezielt.
»Setzen Sie ihn auf Ihre kurze Liste«, sagte sie.
Illyan öffnete seine Hand. Es war keine Geste der Beschwichtigung, sein Gesichtsausdruck verriet, daß ein Gedankengang eingesetzt hatte. »Na schön, Mylady.«
KAPITEL 6
Cordelia beobachtete, wie der Schatten des Leichtfliegers über den Boden dort unten dahinglitt, ein dünner Fleck, der wie ein Pfeil nach Süden flog. Der Pfeil zitterte über Felder, Bäche, Flüsse und staubige Straßen dahin — das Straßennetz war nur rudimentär vorhanden, verkümmert, seine Entwicklung war überholt worden vom Personenlufttransport, der mit der Woge galaktischer Technologie am Ende des Zeitalters der Isolation gekommen war. Mit jedem Kilometer, den sie zwischen sich und die hektische Treibhausatmosphäre der Hauptstadt brachten, lösten sich Knäuel von Spannung in Cordelias Hals. Ein Tag auf dem Land — eine ausgezeichnete Idee, schon längst überfällig. Sie wünschte sich nur, daß Aral mit von der Partie hätte sein können.
Sergeant Bothari, dem irgendeine Landmarke dort drunten als Anhaltspunkt gedient hatte, legte den Leichtflieger sanft in eine Kurve für den neuen Kurs. Droushnakovi, die den Rücksitz mit Cordelia teilte, versteifte sich bei dem Versuch, sich nicht an Cordelia zu lehnen. Dr. Henri, der vorn neben dem Sergeanten saß, blickte durch das Verdeck nach draußen mit einem Interesse, das fast so groß war wie das von Cordelia.
Dr. Henri machte eine halbe Drehung nach hinten, um über seine Schulter zu Cordelia zu sprechen: »Ich danke Ihnen für die Einladung zum Essen, Lady Vorkosigan. Es ist ein seltenes Privileg, den Familienbesitz der Vorkosigans besuchen zu dürfen.«
»Wirklich?«, sagte Cordelia. »Ich weiß, daß sie dort keine Scharen dulden, aber Graf Piotrs Pferdefreunde schauen ziemlich häufig dort vorbei. Faszinierende Tiere.« Cordelia dachte darüber eine Sekunde lang nach, dann entschied sie, daß Dr. Henri ohne weitere Worte begreifen würde, daß mit ›faszinierende Tiere‹ die Pferde gemeint waren und nicht die Freunde von Graf Piotr. »Lassen Sie nur den allerkleinsten Hinweis fallen, daß Sie dafür Interesse haben, und Graf Piotr wird Sie wahrscheinlich höchstpersönlich im Stall umherführen.«