»Wie weh tut Ihnen das jetzt? Wenn Sie versuchen, darüber zu sprechen?«
»Ziemlich. Und es wird noch schlimmer werden.« Er schaute sie an, mit tiefen Falten auf der Stirn. »Ich muß darüber sprechen. Mit Ihnen. Es macht mich sonst …«
Sie atmete bewußt ruhig und versuchte, mit ihrem ganzen Geist, ihrem ganzen Leib und ihrer ganzen Seele zuzuhören. Und achtsam. Ganz achtsam. »Fahren Sie fort.«
»Ich habe … vier Bilder … in meinem Kopf, von Escobar. Vier Bilder, und ich kann sie nicht erklären. Mir selbst. Ein paar Minuten, von — drei Monaten? Oder vier? Sie alle quälen mich, aber eines quält mich am meisten. Darin kommen Sie vor«, fügte er abrupt hinzu und starrte auf den Boden. Beide Hände umklammerten jetzt die Bank, die Knöchel traten weiß hervor.
»Ich verstehe. Fahren Sie fort.«
»Eines — das am wenigsten schlimme —, das war ein Streit. Prinz Serg war da und Admiral Vorrutyer, Lord Vorkosigan, und Admiral Rulf Vorhalas. Und ich war dabei. Außer daß ich keinerlei Kleider anhatte.«
»Sind Sie sicher, daß das kein Traum ist?«
»Nein, ich bin nicht sicher. Admiral Vorrutyer sagte … etwas sehr Beleidigendes zu Lord Vorkosigan. Er hatte Lord Vorkosigan gegen die Wand zurückgedrängt. Prinz Serg lachte. Dann küßte Vorrutyer ihn, voll auf den Mund, und Vorhalas versuchte, Vorrutyers Kopf wegzuschlagen, aber Lord Vorkosigan ließ ihn nicht. Und wie es dann weiterging, daran erinnere ich mich nicht.«
»Hmm … ja«, sagte Cordelia. »Bei dieser Szene war ich nicht dabei, aber ich weiß, daß da im Oberkommando einige wirklich verrückte Dinge geschahen, als Vorrutyer und Serg es zum Äußersten trieben. Also ist das vermutlich eine echte Erinnerung. Ich könnte Aral fragen, falls Sie das wünschen.«
»Nein! Nein. Dieses Bild kommt mir sowieso nicht so wichtig vor, wie die anderen.«
»Erzählen Sie mir dann die anderen.«
Seine Stimme ging zu einem Flüstern über. »Ich erinnere mich an Elena. So hübsch. Ich habe nur zwei Bilder von Elena in meinem Kopf. In dem einen erinnere ich mich, wie Vorrutyer mich … nein, darüber will ich nicht reden.« Er hielt eine ganze Minute lang inne, und dabei wankte er leicht, vor und zurück. »Das andere … wir waren in meiner Kabine. Sie und ich. Sie war meine Frau …« Seine Stimme stockte. »Sie war nicht meine Frau, nicht war.« Das war nicht einmal eine Frage.
»Nein. Aber Sie wissen das.«
»Aber ich erinnere mich, daß ich glaubte, sie sei meine Frau.« Seine Hände drückten gegen seine Stirn und rieben seinen Hals, heftig und sinnlos.
»Sie war eine Kriegsgefangene«, sagte Cordelia. »Ihre Schönheit hatte Vorrutyers und Sergs Aufmerksamkeit auf sich gezogen, und sie faßten den Plan, sie zu foltern, ohne Grund — nicht wegen ihres militärischen Wissens, nicht einmal aus politischem Terrorismus — nur zum Vergnügen dieser beiden. Sie wurde vergewaltigt. Aber das wissen Sie auch. Auf einer bestimmten Ebene.«
»Ja«, flüsterte er.
»Daß man ihr empfängnisverhütendes Implantat entfernte und Ihnen erlaubte — oder Sie zwang —, sie zu schwängern, war Teil der sadistischen Absicht von Vorrutyer und Serg. Der erste Teil. Sie lebten, Gott sei Dank, nicht lang genug, um zum zweiten Teil zu gelangen.«
Er hatte seine Beine hochgezogen und seine langen Arme fest darum geschlungen. Sein Atem ging schnell und flach, keuchend. Sein Gesicht war schneeweiß und glänzte vor kaltem Schweiß.
»Habe ich rote Ringe rings um mich?«, fragte Cordelia neugierig.
»Alles ist … irgendwie rosa.«
»Und das letzte Bild?«
»O Mylady.« Er schluckte. »Was immer es auch war … ich weiß, es muß ganz nah an dem dran sein, von dem man am meisten wünscht, daß ich mich nicht daran erinnere.« Er schluckte wieder. Cordelia begann zu verstehen, warum er sein Mittagessen nicht angerührt hatte.
»Wollen Sie fortfahren? Können Sie fortfahren?«
»Ich muß fortfahren. Mylady. Captain Naismith. Denn ich erinnere mich an Sie. Erinnere mich, Sie zu sehen. Ausgestreckt auf Vorrutyers Bett, all Ihre Kleider weggeschnitten, nackt. Sie bluteten. Ich schaute auf Ihr … Was ich wissen will. Wissen muß.« Seine Arme waren jetzt um seinen Kopf geschlungen, der auf seinen Knien in ihre Richtung geneigt war, sein Gesicht war eingefallen, gehetzt, hungrig. Sein Blutdruck mußte unglaublich hoch sein, um ihn in diese monströse Migräne zu treiben. Wenn sie jetzt zu weit gingen, bis zur letzten Wahrheit vorstießen, bestand dann für ihn vielleicht die Gefahr eines Schlaganfalls? Ein unglaubliches Stück Psychotechnik, seinen eigenen Körper darauf zu programmieren, daß er ihn für verbotene Gedanken bestrafte …
»Habe ich Sie vergewaltigt, Mylady?«
»Wie? Nein!« Sie setzte sich kerzengerade hin, voller heftiger Empörung. Sie hatten ihm dieses Wissen genommen? Sie hatten gewagt, ihm dies zu nehmen?
Er begann zu weinen, wenn man sein stoßweises Atmen, sein verzogenes Gesicht und das Sickern von Tränen aus seinen Augen als Weinen bezeichnen wollte. Es kam zu gleichen Teilen aus Qual und Freude. »O Gott sei Dank.« Und dann: »Sind Sie sicher …?«
»Vorrutyer befahl es Ihnen. Aber Sie weigerten sich. Aus Ihrem eigenen Willen, ohne Hoffnung auf Rettung oder Belohnung. Das brachte Sie in Teufels Küche, für einige Zeit.« Sie hatte das Verlangen, ihm auch den Rest zu erzählen, aber er war jetzt in einem so schrecklichen Zustand, daß es unmöglich war, die Folgen abzuschätzen. »Wie lange haben Sie sich schon daran erinnert? Sich diese Fragen gestellt?«
»Seit ich Sie zum erstenmal wiedersah. In diesem Sommer. Als Sie kamen, um Lord Vorkosigan zu heiraten.«
»Sie sind seit mehr als sechs Monaten mit diesem Zeug in Ihrem Kopf herumgelaufen und haben nicht gewagt, zu fragen?«
»Ja, Mylady.«
Sie lehnte sich erschrocken zurück. »Nächstesmal warten Sie aber nicht so lange.«
Er schluckte heftig, rappelte sich hoch und winkte mit seiner Hand in einer verzweifelten Geste, die bedeuten sollte: »Warten Sie auf mich!« Er schwang seine Beine über die niedrige Steinmauer und verschwand hinter einigen Büschen. Besorgt hörte sie zu, wie er einige Minuten lang würgte und sich aus seinem leeren Magen erbrach. Sie kam zu dem Schluß, daß es sich hierbei um einen äußerst schlimmen Anfall handeln mußte, aber endlich wurden die heftigen Krämpfe schwächer, dann hörten sie auf.
Er kehrte zurück, wischte die Lippen ab und sah kreidebleich aus, nicht viel besser als vorher, ausgenommen in den Augen. In diesen Augen flackerte jetzt etwas Leben, ein halb unterdrücktes Leuchten von überwältigender Erleichterung.
Dieses Licht wurde schwächer, während er in Gedanken dasaß. Er rieb seine Handflächen an den Knien seiner Hose und starrte auf seine Stiefel.
»Aber ich bin deshalb nicht weniger ein Vergewaltiger, nur weil Sie nicht mein Opfer waren.«
»Das stimmt.«
»Ich kann … mir selbst nicht trauen. Wie können Sie mir trauen? … Wissen Sie, was besser als Sex ist?«
Sie fragte sich, ob sie diesem Gespräch noch eine scharfe Wendung geben konnte, ohne laut kreischend davonzulaufen. Du hast ihn ermutigt, den Korken zu öffnen, nun steckst du mit drin. »Fahren Sie fort.«
»Töten. Man fühlt sich besser, danach. Es sollte nicht … ein solches Vergnügen sein. Lord Vorkosigan tötet nicht auf diese Weise.« Seine Augen waren zusammengekniffen, seine Stirn gerunzelt, aber er hatte sich aus seiner Kugel der Qual wieder entwirrt: sicher sprach er jetzt ganz allgemein und dachte nicht mehr an Vorrutyer.