Der Oberst schaute ihn an und spuckte angewidert aus. »Korporal, Sie sind pervers.«
Cordelia erkannte mit einem Schock, daß Botharis Aufmerksamkeit nicht mehr nur aus taktischen Gründen auf diese Szene fixiert war. Er war zutiefst erregt. Seine Augen schienen glasig zu werden, während sie ihn beobachtete, seine Lippen öffneten sich. Der Oberst steckte sein Kom-Link in die Tasche und zog seinen Nervendisruptor. »Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Wir machen das schnell und sauber. Treten Sie zur Seite, Korporal.«
Ein seltsames Mitleid …
Der Korporal stieß fachkundig gegen Alys’ Knie, schubste sie zu Boden und trat zurück. Alys warf ihre Hände dem Pflaster entgegen, jedoch zu spät, um das harte Aufklatschen ihres dikken Bauches zu verhindern.
Padma Vorpatril stöhnte, obwohl sein Bewußtsein durch Schnell-Penta umnebelt war. Der Oberst hob seinen Nervendisruptor und zögerte, als sei er unsicher, ob er auf ihren Kopf oder ihren Rumpf zielen sollte.
»Töten Sie die Kerle!«, zischte Cordelia in Botharis Ohr, riß ihren Betäuber heraus und feuerte.
Bothari wurde nicht nur plötzlich hellwach, sondern auch zu einer Art Berserker, der Schuß seines Nervendisruptors traf den Oberst im selben Moment wie der Strahl von Cordelias Betäuber, obwohl sie zuerst gezogen hatte. Dann bewegte er sich, ein dunkler Schatten, der hinter eines der geparkten Fahrzeuge sprang. Er gab Schuß um Schuß ab, deren blaues Knistern die Luft elektrifizierte, zwei weitere Wachen fielen, während die übrigen hinter ihren Bodenwagen in Deckung gingen.
Alys Vorpatril rollte sich auf dem Pflaster zu einer Kugel zusammen und versuchte, mit Armen und Beinen ihren Unterleib zu schützen. Padma Vorpatril, berauscht vom Penta, torkelte verwirrt in ihre Richtung, mit ausgestreckten Armen, anscheinend mit der Absicht, sie zu schützen. Der Leutnant, der sich auf dem Pflaster in Deckung wälzte, hielt einen Augenblick inne, um mit seinem Nervendisruptor auf den Verwirrten zu zielen.
Das Zögern des Leutnants, um genau zu zielen, war fataclass="underline" das Kreuzfeuer aus Droushnakovis Nervendisruptor und der Strahl aus Cordelias Betäuber trafen sich auf seinem Körper — eine Millisekunde zu spät. Sein Disruptorschuß traf Padma Vorpatril mitten auf dem Hinterkopf. Blaue Funken tanzten umher, dunkles Haar sprühte orangefarbene Funken, Padmas Körper bog sich in einem heftigen Krampf und fiel zuckend zu Boden. Alys Vorpatril heulte auf, ein kurzer, scharfer Schrei, der von einem Keuchen abgewürgt wurde. Auf ihren Händen und Füßen schien sie einen Moment erstarrt zwischen dem Impuls, auf ihn zuzukriechen, und dem Reflex, zu fliehen.
Droushnakovis Kreuzfeuerstellung war perfekt. Der letzte Wächter wurde getötet, während er noch versuchte, das Verdeck des gepanzerten Bodenwagens zu heben. Ein Fahrer, der im zweiten Fahrzeug abgeschirmt saß, entschied sich klugerweise dafür, davonzurasen. Der Schuß aus Koudelkas Plasmabogen, der auf Starkstrom geschaltet war, traf den Bodenwagen, als er hinter der Hausecke beschleunigte. Das Fahrzeug schleuderte wild umher, schrammte dabei funkensprühend an der Bordsteinkante entlang und rammte dann gegen ein Backsteingebäude.
Ja, war denn meine ganze Strategie für diese Mission nicht darauf aufgebaut, daß wir unsichtbar bleiben? dachte Cordelia flüchtig und rannte los. Sie und Droushnakovi erreichten Alys Vorpatril im selben Augenblick, zusammen hoben sie die zitternde Frau auf die Beine.
»Wir müssen hier abhauen«, sagte Bothari, der sich aus seiner kauernden Feuerstellung erhob und zu ihnen trat.
»Ganz recht«, stimmte Koudelka zu, der herbeigehumpelt war und sich das Ergebnis des plötzlichen und spektakulären Gemetzels anschaute. Die Straße war erstaunlich ruhig. Nicht mehr lange, vermutete Cordelia.
»In diese Richtung.« Bothari zeigte auf eine enge und dunkle Gasse. »Rennt!«
»Sollten wir nicht versuchen, den Wagen da zu nehmen?« Cordelia zeigte auf das Fahrzeug, neben dem die reglosen Körper der Sicherheitsleute lagen.
»Nein, man kann ihn aufspüren. Und er paßt dort nicht hinein, wo wir hingehen.«
Cordelia war nicht sicher, ob die verstört dreinblickende und weinende Alys überhaupt irgendwohin rennen konnte, aber sie steckte wieder ihren Betäuber in ihren Rockbund und nahm einen der Arme der Schwangeren.
Drou nahm den anderen, und zusammen führten sie sie hinter dem Sergeanten her. Wenigstens war Koudelka nicht mehr der langsamste der Gruppe.
Alys weinte, aber noch nicht hysterisch, sie warf nur einen einzigen Blick über ihre Schulter auf den Leichnam ihres Mannes, dann konzentrierte sie sich entschlossen auf den Versuch, zu rennen. Sie rannte nicht gut. Sie hatte erhebliche Schwierigkeiten mit dem Gleichgewicht, ihre Arme hatte sie um den Bauch gelegt in einem Versuch, die Erschütterungen ihrer schweren Schritte abzufangen. »Cordelia«, keuchte sie. Damit zeigte sie, daß sie ihre Retterin erkannt hatte, aber sie hatte weder Zeit noch Atem für Fragen nach Erklärungen.
Sie waren noch nicht mehr als drei Häuserblocks weit getorkelt, als Cordelia Sirenen aus der Gegend hörte, aus der sie flohen. Aber Bothari schien sich wieder im Griff zu haben und reagierte nicht panisch. Sie durchquerten eine andere enge Gasse, und Cordelia wurde bewußt, daß sie in ein Stadtviertel ohne Straßenbeleuchtung gelangt waren. Sie strengte ihre Augen in der nebligen Dunkelheit an.
Alys hielt plötzlich an und Cordelia kam schlitternd zu stehen, wobei sie die Frau fast von den Beinen riß. Alys blieb eine halbe Minute stehen, gekrümmt und keuchend.
Cordelia erkannte, daß Alys’ Unterleib unter seinem täuschenden Fettpolster hart wie Stein war, ihr Morgenmantel war am Rücken ganz durchnäßt. »Fangen die Wehen an?«, fragte sie. Sie wußte nicht, warum sie diese Frage stellte, denn die Antwort war offensichtlich.
»Dies geht schon anderthalb Tage so«, stieß Alys hervor. Sie schien sich nicht aufrichten zu können. »Ich glaube, meine Fruchtblase ist gesprungen, als der Mistkerl mich hingeworfen hat. Wenn es nicht Blut ist — ich hätte schon längst bewußtlos sein müssen, wenn das alles Blut gewesen wäre —, es tut jetzt soviel mehr weh …« Ihr Atem verlangsamte sich, mit Mühe zog sie ihre Schultern hoch.
»Wie lange noch?«, fragte Kou beunruhigt.
»Wie sollte ich das wissen? Ich habe das noch nie gemacht. Sie können da genauso gut raten wie ich«, versetzte Lady Vorpatril. Heißer Zorn, um kalte Angst zu wärmen. Es war nicht genug Wärme, eine Kerze gegen einen Schneesturm.
»Nicht mehr lange, würde ich sagen«, kam Botharis Stimme aus der Dunkelheit. »Wir sollten lieber untertauchen. Los, weiter!«
Lady Vorpatril konnte nicht länger rennen, aber sie brachte es fertig, schnell zu watscheln, wobei sie alle zwei Minuten hilflos stehenblieb. Dann jede Minute.
»Sie schafft nicht mehr den ganzen Weg«, murmelte Bothari. »Wartet hier!« Er verschwand — in einer Seitengasse? Die Durchgänge hier schienen alles Gassen zu sein, kalt und stinkend, viel zu eng für Bodenwagen. Sie waren an genau zwei Leuten in diesem Irrgarten begegnet, die sich in den Schutz jenes Durchgangs gedrängt hatten, und waren vorsichtig um sie herumgegangen.
»Können Sie irgend etwas tun, wie etwa, es zurückzuhalten?«, fragte Kou, als er sah, wie Lady Vorpatril sich wieder zusammenkrümmte. »Wir sollten es … versuchen und einen Arzt oder jemanden holen.«
»Das war es, wofür dieser Idiot Padma hinausgegangen ist«, brachte Alys mühsam hervor. »Ich habe ihn angebettelt, nicht zu gehen … o Gott!« Einen Moment später fügte sie in einem überraschenden Plauderton hinzu: »Das nächstemal, wenn Sie Ihre Eingeweide herauskotzen, Kou, schlage ich Ihnen vor, daß Sie einfach Ihren Mund schließen und fest schlucken … es ist nicht gerade ein willkürlicher Reflex!« Sie richtete sich wieder auf und zitterte heftig.
»Sie braucht keinen Doktor, sie braucht eine flache Stelle«, sprach Bothari aus dem Dunkeln. »Hier entlang.«