Er führte sie eine kurze Entfernung zu einer Holztür, die früher einmal in einer alten, festen, mit Stuck verzierten Wand zugenagelt gewesen war. Nach den frischen Splittern zu schließen, hatte er sie gerade aufgebrochen.
Als sie drinnen waren und die Tür wieder ganz zugezogen war, wagte es Droushnakovi endlich, ein Handlicht aus dem Ranzen zu holen. Es beleuchtete einen kleinen, leeren, schmutzigen Raum. Bothan erkundete schnell die angrenzenden Räume. Zwei innere Türen waren vor langer Zeit aufgebrochen worden, aber dahinter war alles still und dunkel und anscheinend verlassen.
»Das muß reichen«, sagte Bothari.
Cordelia fragte sich, was, zum Teufel, als nächstes zu tun wäre. Sie wußte jetzt alles über Plazentaübertragungen und Kaiserschnitt, aber bei sogenannten normalen Geburten konnte sie sich nur an die Theorie halten.
Alys Vorpatril hatte wahrscheinlich noch weniger Wissen von Biologie, Drou noch weniger, und Kou war absolut nutzlos. »Hat irgend jemand hier das schon einmal mitgemacht?«
»Ich nicht«, murmelte Alys. Ihre Blicke trafen sich und sie verstanden sich nur allzu klar.
»Du bist nicht allein«, sagte Cordelia tapfer. Zutrauen sollte zur Entspannung führen, sollte zu irgend etwas führen. »Wir werden dir alle helfen.«
Bothari sagte — seltsam widerstrebend: »Meine Mutter hat gelegentlich als Hebamme gearbeitet. Manchmal hat sie mich mitgeschleppt, damit ich ihr helfe. Das ist nicht so schlimm.«
Cordelia bemühte sich, nicht die Stirn zu runzeln, Dies war das erste Mal, daß sie den Sergeanten ein Wort über seine Eltern sagen hörte. Der Sergeant seufzte, als er aus ihren auf ihn gerichteten Blicken klar erkannte, daß er soeben die Leitung übernommen hatte. »Borgen Sie mir Ihre Jacke, Kou.«
Koudelka entledigte sich ritterlich seines Kleidungsstücks und schickte sich an, es der zitternden Lady Vorpatril umzulegen. Er blickte etwas betroffener drein, als der Sergeant seine eigene Jacke um Lady Vorpatrils Schultern legte, sie sich dann auf den Boden niederlegen ließ und Koudelkas Jacke unter ihren Hüften ausbreitete. Als sie sich hingelegt hatte, sah sie weniger blaß aus, weniger als würde sie jeden Moment ohnmächtig. Aber ihr Atem hielt an, und dann stieß sie einen Schrei aus, als die Muskeln ihres Unterleibs sich wieder zusammenzogen.
»Bleiben Sie bei mir, Lady Vorkosigan«, murmelte Bothari Cordelia zu.
Wofür? fragte sich Cordelia, dann erkannte sie, warum, als er niederkniete und sanft Alys Vorpatrils Nachthemd hochschob. Er will mich als Kontrollmechanismus haben. Aber das Töten der Sicherheitsleute schien jene erschreckende Woge von Wollust erschöpft zu haben, die dort auf der Straße sein Gesicht so verzerrt hatte. Sein Blick war jetzt nur normal interessiert. Glücklicherweise war Alys Vorpatril zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um zu bemerken, daß Botharis Versuch, medizinische Gelassenheit auszudrücken, nicht ganz erfolgreich war.
»Der Kopf des Babys zeigt sich noch nicht«, berichtete er, »aber bald.«
Eine weitere Kontraktion, und er schaute unbestimmt herum und fügte an: »Ich glaube. Sie sollten besser nicht schreien, Lady Vorpatril. Sie werden uns jetzt schon suchen.«
Sie zeigte durch ein Nicken, daß sie verstanden hatte, und winkte verzweifelt mit der Hand, Drou kapierte, rollte ein Stück Stoff zu einem strickartigen Lumpen zusammen und gab ihn Alys, damit sie daraufbeißen konnte.
Und diese Szene dauerte an, während eine Wehe nach der anderen kam.
Alys schaute völlig erschöpft aus und weinte ganz leise, sie konnte den wiederholten Versuchen ihres Leibes, sein Innerstes nach außen zu kehren, nicht lang genug Einhalt gebieten, um entweder Atem zu holen oder ihre innere Balance zu finden. Der Kopf des Babys zeigte sich, dunkelhaarig, aber er schien unfähig zu sein, weiter hervorzukommen.
»Wie lange soll das dauern?«, fragte Kou, mit einer Stimme, die versuchte, wohlüberlegt zu klingen, aber sehr beunruhigt wirkte.
»Ich glaube, er mag es, wo er ist«, sagte Bothari. »Er mag nicht in die Kälte herauskommen.« Alys bekam diesen Scherz tatsächlich mit, ihr schluchzendes Atmen änderte sich nicht, aber in ihren Augen blitzte einen Moment lang Dankbarkeit auf. Bothari saß in Hockstellung, runzelte überlegend die Stirn, kauerte sich dann an ihre Seite, legte seine große Hand auf ihren Bauch und wartete auf die nächste Kontraktion. Dann stützte er sich auf ihr auf.
Der Kopf des Kindes trat geschwind heraus zwischen Lady Vorpatrils blutigen Schenkeln.
»Da«, sagte der Sergeant und klang ziemlich zufrieden. Koudelka schaute total beeindruckt drein.
Cordelia nahm den Kopf zwischen ihre Hände und zog den Körper bei der nächsten Kontraktion heraus. Das Knäblein hustete zweimal, nieste wie ein Kätzchen in das ehrfürchtige Schweigen, atmete ein, wurde rosiger und gab einen nervenzerreißenden Schrei von sich. Cordelia ließ ihn fast fallen.
Bothari fluchte bei dem Geräusch. »Geben Sie mir Ihren Stockdegen, Kou.«
Lady Vorpatril blickte wild auf: »Nein! Geben Sie ihn mir zurück, ich mache, daß er ruhig ist!«
»Das war’s nicht, woran ich dachte«, sagte Bothari mit einer gewissen Würde. »Obwohl es eine Idee ist«, fügte er hinzu, als das Geschrei weiterging. Er zog die Flasmabogenwaffe heraus und erhitzte das Schwert bei niedriger Stromstärke. Er sterilisierte es, erkannte Cordelia.
Bei der nächsten Kontraktion folgte der Nabelschnur die Plazenta, ein schmieriger Haufen auf Koudelkas Jacke. Cordelia starrte mit geheimer Faszination auf die verbrauchte Version des unterstützenden Organs, um das man sich in ihrem eigenen Fall soviel Sorgen gemacht hatte. Zeit.
Diese Rettung hat soviel Zeit genommen. Wie gross sind Miles’ Chancen jetzt noch? Hatte sie gerade das Leben ihres Sohnes gegen das des kleinen Ivan eingetauscht? Des gar nicht so kleinen Ivan, in Wirklichkeit: kein Wunder, daß er seiner Mutter so viele Schwierigkeiten bereitet hatte. Alys mußte mit einem ungewöhnlichen Beckenboden gesegnet sein, oder sie hätte diese alptraumhafte Nacht nie lebend überstanden.
Nachdem die Nabelschnur weiß geworden war, schnitt Bothari sie mit der sterilisierten Klinge durch, und Cordelia knotete das gummiartige Ding zusammen, so gut sie konnte. Sie wischte das Baby ab, wickelte es in ihr sauberes Ersatzhemd und reichte es schließlich in Alys’ ausgestreckte Arme.
Alys blickte auf das Baby und begann wieder zu weinen, in gedämpften Schluchzern. »Padma sagte … ich würde die besten Ärzte haben. Padma sagte … es würde nicht weh tun. Padma sagte, er würde bei mir bleiben … zum Teufel mit dir, Padma!« Sie drückte Padmas Sohn an sich. In einem veränderten Ton sanfter Überraschung fügte sie hinzu: »Au!«
Der Mund des Kindes hatte ihre Brust gefunden und packte anscheinend zu wie ein Barracuda.
»Gute Reflexe«, stellte Bothari fest.
KAPITEL 17
»Um Gottes willen, Bothari, wir können sie doch nicht dahinein mitnehmen«, zischte Koudelka.
Sie standen in einer Gasse tief im Labyrinth der Karawanserei. Ein Gebäude mit dicken Mauern ragte ungewöhnliche drei Stockwerke hoch in der kalten, feuchten Dunkelheit. Gelbes Licht schimmerte durch geschnitzte Fensterläden hoch oben in der stuckverzierten Fassade, die wegen der sich ablösenden Farbe schuppig aussah. Eine Öllampe brannte trüb über einer hölzernen Tür, dem einzigen Eingang, den Cordelia sehen konnte.
»Kann sie nicht hier draußen lassen. Sie braucht viel Wärme«, antwortete der Sergeant. Er trug Lady Vorpatril auf seinen Armen, sie klammerte sich an ihn, matt und zitternd.
»Es ist sowieso eine langweilige Nacht hier. Spät. Sie machen zu.«
»Was ist das für ein Ort?«, fragte Droushnakovi.
Koudelka räusperte sich. »Damals in der Zeit der Isolation, als dies das Zentrum von Vorbarr Sultana war, war dies die Residenz eines Lords. Eines der jüngeren Vorbarra-Prinzen, glaube ich. Deshalb ist es wie eine Festung gebaut. Jetzt ist es eine … Art Gasthaus.«