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Kou machte eine verlegene, verneinende Geste über Cordelias Kopf hinweg.

»Dieses Handzeichen bedeutet: Ich würde lieber den Rest meines Lebens in die Luft jagen, als fünf Minuten wie ein Narr aussehen. Ignorieren Sie’s«, sagte Cordelia. »Nun, laßt mich mal sehen. Wer beginnt?«

Es herrschte ein kurzes Schweigen. »Habe ich erwähnt, daß ich auch die Rollen euer beider Eltern spiele? Ich denke, ich fange damit an, Kous Mama zu sein. Nun gut, Sohn, hast du schon irgendein nettes Mädchen getroffen? Du bist jetzt schon fast sechsundzwanzig, weißt du. Ich habe jenes Vid gesehen«, fügte sie in ihrer normalen Stimme hinzu, als Kou sich zusammenkrampfte.

»Ich habe ihren Stil, nicht wahr? Und ihr Wesen. Und Kou sagt: ›Ja, Mama, da gibt es dieses großartige Mädchen. Jung, groß, intelligent‹ — und Kous Mama sagt: ›Hihi!‹ Und engagiert mich, eure freundliche Vermittlerin aus der Nachbarschaft. Und ich gehe zu Ihrem Vater, Drou, und sage: ›Da gibt es diesen jungen Mann. Er ist kaiserlicher Leutnant, persönlicher Sekretär des Lordregenten, Kriegsheld, vorgesehen für eine Karriere im Kaiserlichen Hauptquartier‹ — und er sagt: ›Sie brauchen nichts weiter zu erzählen! Wir nehmen ihn. Hihi!‹ Und …«

»Ich denke, er wird mehr zu sagen haben als nur das!«, unterbrach Kou.

Cordelia wendete sich Droushnakovi zu. »Was Kou gerade sagte, heißt, er meint. Ihre Familie wird ihn nicht mögen, weil er ein Krüppel ist.«

»Nein!«, sagte Drou ungehalten. »Das ist nicht so …«

Cordelia hielt ihre Hand Einhalt gebietend hoch. »Als Ihre Vermittlerin, Kou, lassen Sie mich Ihnen sagen: Wenn die liebreizende einzige Tochter eines Mannes auf jemanden zeigt und mit Bestimmtheit sagt: Papa, den möchte ich haben, dann antwortet ein kluger Vater nur: Jawohl, meine Liebe. Ich gebe zu, die drei großen Brüder mögen schwerer zu überzeugen sein. Bringen Sie das Mädchen zum Weinen, dann könnten Sie mal ein ernstes Problem in einem finsteren Seitengäßchen bekommen. Womit ich annehme, daß Sie sich noch nicht bei ihnen beschwert haben, Drou?«

Das Mädchen unterdrückte ein unwillkürliches Kichern. »Nein!«

Kou blickte drein, als sei dies ein neuer und erschreckender Gedanke.

»Sehen Sie«, sagte Cordelia, »Sie können noch der brüderlichen Vergeltung entkommen, Kou, wenn Sie sich beeilen.« Sie wandte sich zu Drou: »Ich weiß, er war ein Flegel, aber ich verspreche Ihnen, er ist ein erziehbarer Flegel.«

»Ich habe gesagt, daß es mir leid tut«, sagte Kou, es klang pikiert.

Drou wurde starr, »Ja. Mehrfach«, sagte sie kühl.

»Und hier kommen wir zum Kern der Geschichte«, sagte Cordelia langsam und ernst. »Was Kou wirklich meint, Drou, ist, daß es ihm nicht im geringsten leid tut. Der Augenblick war wundervoll, Sie waren wundervoll, und er möchte es wieder tun. Und wieder und immer wieder, mit niemandem anderen als Ihnen, für immer, von der Gesellschaft gebilligt und ohne Unterlaß. Ist das richtig so, Kou?«

Kou schaut ganz verblüfft drein. »Nun gut — ja!«

Drou blinzelte. »Aber … das ist es doch! Ich hatte immer gehofft, daß du das irgendwann mal sagst!«

»Das war es?« Er lugte über Cordelias Kopf.

Dieses System der Vermittler hat vielleicht echte Vorteile.

Aber auch seine Grenzen. Cordelia stand zwischen ihnen beiden auf und blickte auf ihr Chrono. Ihr Humor verflüchtigte sich. »Sie haben noch ein bißchen Zeit. Sie können in dem bißchen Zeit viel sagen, wenn Sie sich an Wörter mit wenigen Silben halten.«

KAPITEL 18

In der Stunde vor der Morgendämmerung war es in den Gassen der Karawanserei nicht so pechrabenschwarz wie in der Nacht in den Bergen. Der neblige Nachthimmel reflektierte ein schwaches gelbliches Glühen von der Stadt ringsum. Die Gesichter ihrer Freunde waren grau und verschwommen, wie auf den allerfrühesten der alten Photographien. Cordelia versuchte nicht zu denken: Wie die Gesichter von Toten.

Lady Vorpatril, gewaschen, gesättigt und ein paar Stunden ausgeruht, war zwar noch nicht allzu fest auf den Beinen, aber sie konnte alleine laufen.

Die Hausdame hatte ein paar überraschend unauffällige Kleider für sie beigesteuert, einen knöchellangen grauen Rock und ein paar Pullover gegen die Kälte. Koudelka hatte alle seine Militärsachen gegen eine weite Hose, alte Schuhe und eine Jacke ausgetauscht, letztere war der Ersatz für die Jacke, die durch ihren geburtshilflichen Einsatz unbrauchbar geworden war. Er trug das Baby, Lord Ivan, das jetzt mit provisorischen Windeln ausgestattet und warm eingepackt war und so das Bild einer scheuen kleinen Familie abrundete, die versuchte, sich aus der Stadt davonzumachen zu den Eltern der Frau auf dem Lande, bevor die Kämpfe begannen. Cordelia hatte Hunderte von Flüchtlingen genau wie sie vorüberziehen sehen, als sie nach Vorbarr Sultana unterwegs gewesen war.

Koudelka inspizierte seine kleine Gruppe und warf zuletzt einen kritischen Blick auf den Stockdegen in seiner Hand. Selbst wenn der nur als bloßer Gehstock gesehen wurde, dann sahen das Satinholz, die Stockzwinge aus poliertem Stahl und der mit Einlegearbeiten verzierte Griff nicht sehr nach Mittelklasse aus. Koudelka seufzte. »Drou, kannst du ihn irgendwie verstecken? Er ist höllisch auffällig bei dieser Verkleidung, und außerdem mehr Hindernis als Hilfe, wenn ich versuche, dieses Baby zu tragen.«

Droushnakovi nickte, kniete nieder und wickelte den Stock in ein Hemd und stopfte ihn in den Ranzen. Cordelia erinnerte sich daran, was das letztemal geschehen war, als Kou diesen Stock in die Karawanserei gebracht hatte, und sie blickte nervös in die Schatten. »Wie wahrscheinlich ist es, daß wir um diese Zeit von jemandem überfallen werden? Wir sehen sicherlich nicht reich aus.«

»Einige Leute würden Sie schon wegen Ihrer Kleider umbringen«, sagte Bothari düster, »wenn jetzt der Winter naht. Aber es ist sicherer als gewöhnlich. Vordarians Truppen haben dieses Viertel nach ›Freiwilligen‹ durchkämmt, die helfen sollen, diese Bombenunterstände in den Stadtparks zu graben.«

»Ich hätte nie gedacht, daß ich einmal Sklavenarbeit gutheißen würde«, stöhnte Cordelia.

»Es sowieso Unsinn«, sagte Koudelka, »die Parks aufzureißen. Selbst wenn diese Arbeiten fertiggestellt würden, könnten da nicht genügend Menschen Schutz finden. Aber es sieht eindrucksvoll aus, und es prägt Lord Vorkosigan als Bedrohung in das Bewußtsein der Leute ein.«

»Außerdem«, Bothari hob seine Jacke, um das silberne Schimmern seines Nervendisruptors zu zeigen, »diesmal habe ich die richtige Waffe dabei.«

Das war’s dann. Cordelia umarmte Alys Vorpatril, die diese Umarmung erwiderte und murmelte: »Gott helfe dir, Cordelia. Und Gott lasse Vidal Vordarian in der Hölle schmoren.«

»Gute Reise. Ich sehe dich dann wieder auf Basis Ta-nery nicht wahr?« Cordelia blickte auf Koudelka. »Lebendig, und, zum Teufel, mit unseren Feinden.«

»Wir werden ver… wir werden es schaffen, Mylady«, sagte Koudelka. Ernst salutierte er vor Droushnakovi.

Es war keine Ironie in dieser militärischen Höflichkeitsbezeugung, jedoch vielleicht ein letzter Hauch von Neid. Sie erwiderte seinen Gruß mit einem langsamen, verständnisvollen Nicken. Keiner von beiden wollte den Augenblick durch weitere Worte stören. Die beiden Gruppen trennten sich in der feuchtkalten Finsternis. Drou beobachtete über ihre Schulter Koudelka und Lady Vorpatril, bis beide außer Sicht waren, dann setzte sie sich in Bewegung.

Sie kamen von dunklen Gassen in beleuchtete Straßen, von menschenleerer Dunkelheit zu gelegentlichen Gestalten anderer Menschen, die eilig ihren Geschäften an einem frühen Wintermorgen zustrebten. Jeder schien die Straßen zu überqueren, um jedem anderen aus dem Weg zu gehen, und Cordelia kam sich ein bißchen weniger auffällig vor. Sie erstarrte innerlich, als ein Bodenwagen der Stadtwache langsam an ihnen vorbeifuhr, aber er hielt nicht an.