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Sie machten auf der anderen Straßenseite eine Pause, um sicher zu sein, daß das Haus, dem sie zustrebten, schon für den Morgen geöffnet war. Es war ein vielstöckiges Gebäude in dem zweckmäßigen Stil des Baubooms, der im Gefolge von Ezar Vorbarras Machtergreifung und der damit verbundenen Stabilität vor etwas mehr als dreißig Jahren ausgebrochen war. Es war ein Geschäftsgebäude, keine Regierungseinrichtung, sie durchquerten die Lobby, betraten die Liftröhre und fuhren ungehindert hinab.

Drou blickte wachsam über die Schulter, als sie das Subbasement erreichten. »Jetzt erscheinen wir fehl am Platze.« Bothari hielt Wache, als sie sich bückte und ein Schloß zu einem Versorgungstunnel aufbrach. Der Gang wurde offensichtlich oft benutzt, da die Lichter anblieben. Cordelia spitzte ihre Ohren nach anderen Schritten als den ihren.

Ein Einstiegsdeckel war an den Boden geschraubt. Droushnakovi lockerte ihn schnell. »Laßt euch hängen und fallen. Es ist nicht viel mehr als zwei Meter, Es wird wahrscheinlich naß sein.«

Cordelia glitt in den dunklen Kreis und landete mit einem Platschen. Sie schaltete ihr Handlicht an. Das Wasser reichte in dem Rohr aus Synthabeton bis zu den Knöcheln ihrer Stiefel, glitschig, schwarz und schimmernd. Es war eiskalt. Bothari folgte. Drou kniete sich auf seine Schultern, um den Deckel wieder an seinen Platz zu rücken und kam dann platschend neben Cordelia herab. »Dieser Abwasserkanal für Gewitterregen ist ungefähr einen halben Kilometer lang. Kommt weiter!«, flüsterte sie. So nah an ihrem Ziel mußte Cordelia niemand zur Eile drängen.

Nach dem halben Kilometer kletterten sie in eine dunkle Öffnung, hoch an der gewölbten Wand, und kamen zu einem viel älteren und kleineren Tunnel aus Backsteinen, die das Alter geschwärzt hatte. Knie und Rücken gebeugt, schlurften sie dahin. Das mußte für Bothari besonders schmerzvoll sein, überlegte Cordelia. Drou wurde langsamer und begann mit der Stahlzwinge von Koudelkas Stock an das Tunneldach zu klopfen.

Als aus dem ›Tick, tick‹ ein hohles ›Tock, tock‹ wurde, hielt sie an.

»Hier. Es geht nach unten auf. Achtung!« Sie zog das Schwert aus der Scheide und schob die Klinge sorgfältig zwischen eine Reihe von glitschigen Ziegeln. Es gab ein Klicken und das mit falschen Ziegeln besetzte Paneel klappte nach unten und krachte fast auf ihren Kopf. Sie steckte das Schwert wieder in seine Hülle. »Hinauf!« Sie zog sich selber hindurch.

Sie folgten und fanden sich in einem weiteren Abwasserkanal, der noch enger war. Er führte ziemlich steil nach oben. Sie gingen geduckt voran und streiften mit ihrer Kleidung an den Seitenwänden. Drou erhob sich plötzlich und kletterte über einen Haufen zerbrochener Ziegel in einen dunklen, mit Säulen versehenen Raum.

»Was ist das?«, flüsterte Cordelia. »Zu groß für einen Tunnel …«

»Die alten Ställe«, flüsterte Drou zurück. »Wir sind jetzt unter dem Boden der Residenz.«

»Das klingt für mich nicht so geheim. Sicherlich müssen sie auf alten Zeichnungen und Aufrissen erscheinen. Leute — der Sicherheitsdienst — müssen wissen, daß es das hier gibt.« Cordelia blickte in die düsteren, modrigen Nischen, vorbei an bleichen Bögen, die von ihren flackernden Handlichtern hervorgehoben wurden.

»Ja, aber das ist der Keller der alten alten Ställe. Nicht die von Dorca, sondern von Dorcas Großonkel. Er hielt über dreihundert Pferde. Die Ställe brannten von etwa zweihundert Jahren in einem spektakulären Feuer ab, und anstatt sie an dieser Stelle wieder aufzubauen, ebnete man sie ein und errichtete die neuen alten Ställe auf der Ostseite, auf der dem Wind abgekehrten Seite. Die wurden dann in Dorcas Tagen zu Bedienstetenwohnungen umgewandelt. Die meisten der Geiseln werden jetzt dort gefangen gehalten.« Drou schritt entschlossen voran, als befinde sie sich jetzt auf ihrem eigenen Territorium. »Wir sind jetzt im Norden des Hauptgebäudes der Residenz, unter den von Ezar entworfenen Gärten.

Ezar fand anscheinend diesen alten Keller und richtete diesen Gang vor dreißig Jahren mit Negri ein. Ein Schlupfloch, von dem selbst ihr eigener Sicherheitsdienst nichts wußte. Das ist Vertrauen, was?«

»Danke, Ezar«, murmelte Cordelia sarkastisch.

»Sobald wir aus Ezars Geheimgang heraus sind, wird es wirklich riskant«, erklärte das Mädchen.

Ja, jetzt konnten sie noch aus der Sache aussteigen, ihren eigenen Spuren zurück folgen, und dann wären sie nicht klüger als zuvor. Warum haben diese Leute so unbekümmert mir das Recht übertragen, ihr Leben zu riskieren? Gott, ich hasse es, zu befehlen. Irgend etwas hüpfte in der Dunkelheit, und irgendwo tropfte Wasser.

»Hier«, sagte Droushnakovi und richtete ihr Licht auf einen Stapel Kisten, »Ezars Geheimlager. Kleider, Waffen, Geld — Oberst Negri hatte mich gerade im letzten Jahr auch ein paar Frauen- und Kinderkleider dazugeben lassen, zur Zeit der Invasion in Escobar. Er war damals nervös wegen der Konflikte, die damit verbunden waren, aber die Unruhen kamen nicht bis hierher. Meine Kleider dürften allerdings ein bißchen groß für Sie sein.«

Sie legten ihre schlammverschmierten Straßenkleider ab. Droushnakovi holte saubere Kleider heraus, die für weibliche Bedienstete der Residenz taugten, deren Rang für die Uniformen des niederen Personals zu hoch war, sie selbst hatte sie bei genau diesem Dienst getragen. Bothari packte seine schwarze Arbeitsuniform wieder aus dem Ranzen, legte sie an und fügte die korrekten Abzeichen des Kaiserlichen Sicherheitsdienstes hinzu.

Aus der Entfernung wirkte er wie ein echter Wachmann, obwohl er vielleicht etwas zu zerknittert war, um eine Inspektion aus der Nähe zu bestehen. Wie Drou versprochen hatte, lag eine komplette Auswahl von Waffen voll geladen in versiegelten Kästen. Cordelia wählte einen frischen Betäuber, ebenso Drou. Ihre Blicke begegneten sich. »Kein Zögern diesmal, ja?«, murmelte Cordelia. Drou nickte grimmig. Bothari nahm von jeder Waffenart ein Exemplar, Betäuber, Nervendisruptor und Plasmabogen. Cordelia hoffte, er würde nicht klappern, wenn er ging.

»Sie können das Ding aber nicht innerhalb des Gebäudes abfeuern«, protestierte Droushnakovi mit Blick auf den Plasmabogen.

»Man weiß nie«, sagte Bothari mit einem Achselzucken.

Nach einem Augenblick der Überlegung fügte Cordelia den Stockdegen hinzu und befestigte seinen Griff an einer Schlaufe ihres Gürtels. Er war keine ernsthafte Waffe, aber es hatte sich als unerwartet nützliches Gerät auf dieser Reise erwiesen. Ein Glücksbringer! Dann holte Cordelia aus den letzten Tiefen des Ranzens das, was sie für die mächtigste Waffe von allen hielt.

»Ein Schuh?«, sagte Droushnakovi verständnislos.

»Gregors Schuh. Für den Fall, daß wir Kareen begegnen. Ich nehme an, daß sie den anderen noch hat.« Cordelia versteckte ihn tief in der inneren Tasche eines von Drous Boleros mit dem Wappen der Vorbarras, den sie über ihren Kleidern trug, um so das Bild einer Bediensteten der inneren Residenz zu vervollständigen.

Als sie ihre Vorbereitungen so weit wie möglich abgeschlossen hatten, führte Drou sie wieder in die dunkle Enge. »Jetzt sind wir direkt unter der Residenz«, flüsterte sie und wandte sich seitwärts. »Wir steigen diese Leiter zwischen den Wänden hoch. Sie wurde erst später hinzugefügt, und deshalb ist hier nicht viel Platz.«

Dies stellte sich als Untertreibung heraus. Cordelia holte Atem und kletterte hinter Drou her, flach eingeklemmt zwischen zwei Wänden, und bemühte sich, nicht anzustoßen oder dagegenzubumsen. Die Leiter war natürlich aus Holz gemacht. In ihrem Kopf pochte es vor Erschöpfung und Adrenalin. In Gedanken maß sie die Breite des Schachtes. Mit dem Uterusreplikator diese Leiter wieder hinabzuklettern würde eine heikle Sache werden. Sie ermahnte sich selbst hartnäckig, positiv zu denken, dann entschied sie, daß dies positiv war. Warum tue ich das? Ich könnte genau jetzt auf Basis Tannery bei Aral sein und es diesen Barrayaranern überlassen, sich den ganzen Tag lang gegenseitig umzubringen, wenn ihnen das Vergnügen bereitet …