Über ihr trat Drou zur Seite auf eine Art kleinen Sims, ein bloßes Brett. Als Cordelia neben ihr heraufkam, machte sie eine Geste ›Halt!‹ und löschte ihr Handlicht aus. Drou berührte einen lautlosen Schnappschloßmechanismus, und ein Wandpaneel schwang vor ihnen nach außen. Offensichtlich war alles bis zu Ezars Tod gut geölt gehalten worden.
Sie blickten hinaus in das Schlafzimmer des alten Kaisers. Sie hatten erwartet, daß es leer wäre. Drous Mund öffnete sich in einem stimmlosen O der Bestürzung und des Schreckens.
Ezars riesiges altes geschnitztes Holzbett, dasselbe, in dem er — um Gottes willen! — gestorben war, war belegt. Ein abgeschirmtes Licht, zu einem gelben Glühen gedämpft, warf Licht und Schatten über zwei nackte schlafende Gestalten. Selbst aus dieser perspektivisch verzerrten Sicht erkannte Cordelia sofort das Tellergesicht und den Schnurrbart von Vidal Vordarian. Er lag ausgebreitet über vier Fünfteln des Bettes, sein schwerer Arm lag besitzergreifend auf Prinzessin Kareen. Ihr schwarzes Haar floß über das Kissen. Sie schlief zu einer kleinen, festen Kugel zusammengerollt in der oberen Ecke des Bettes, mit dem Gesicht nach außen und den weißen Armen vor der Brust zusammengezogen, und es sah fast so aus, als würde sie im nächsten Augenblick aus dem Bett fallen.
Nun gut, wir haben Kareen erreicht. Aber die Sache hat einen Haken.
Cordelia zitterte in dem Impuls, Vordarian im Schlaf zu erschießen. Aber die Energieentladung würde Alarm auslösen. Solange sie nicht Miles’ Replikator in der Hand hatte, war sie nicht bereit, wegzulaufen. Sie bedeutete mit einer Bewegung Drou, die Geheimtür wieder zu schließen und hauchte »Hinunter!« zu Bothari, der unter ihr wartete. Sie wiederholten ihre anstrengende Kletterei über vier Stockwerke in umgekehrter Richtung. Wieder im Tunnel drehte sich Cordelia um und blickte das Mädchen an, das still weinte.
»Sie hat sich an ihn verkauft«, flüsterte Droushnakovi, und dabei zitterte ihre Stimme vor Kummer und Widerwillen.
»Wenn Sie mir erklären, welche Machtbasis sie Ihrer Vorstellung nach hat, um diesem Mann gerade jetzt zu widerstehen, dann wäre ich interessiert, davon zu hören«, sagte Cordelia schroff. »Was erwarten Sie von ihr? Daß sie sich zum Fenster hinausstürzt, um einem Schicksal zu entgehen, das angeblich schlimmer als der Tod ist? Sie hatte mit Serg ein Schicksal, das schlimmer war als der Tod, und ich glaube, so etwas weckt keine Emotionen mehr in ihr.«
»Aber wenn wir nur eher hierhergekommen wären, dann hätte ich — hätten wir sie vielleicht noch gerettet.«
»Wir könnten es immer noch.«
»Aber sie hat sich an ihn verkauft.«
»Lügen Leute in ihrem Schlaf?«, fragte Cordelia. Auf Drous verwirrten Blick erklärte sie: »Sie sah für mich nicht wie eine Liebende aus. Sie lag da wie eine Gefangene. Ich habe versprochen, wir würden uns für sie einsetzen, und das werden wir auch.« Die Zeit! »Aber wir bemühen uns zuerst um Miles. Versuchen wir den zweiten Ausgang.«
.»Wir werden durch mehr überwachte Korridore gehen müssen«, warnte Droushnakovi.
»Das können wir nicht ändern. Wenn wir warten, dann wird dieses Haus aufwachen und wir werden auf noch mehr Leute stoßen.«
»Sie kommen gerade jetzt zum Dienst in die Küchen«, seufzte Droushnakovi. »An manchen Tagen bin ich dort zu Kaffee und heißen Pasteten eingekehrt.«
Aber leider konnte man ein Kommandounternehmen nicht für eine Frühstückspause unterbrechen. Das war es. Loslegen oder nicht loslegen? War es Mut oder Dummheit, was sie vorantrieb? Es konnte nicht Mut sein, ihr war übel vor Furcht, der gleiche heiße saure Ekel, wie sie ihn kurz vor den Kämpfen im Krieg um Escobar empfunden hatte. Die Vertrautheit mit dieser Empfindung half ihr nicht. Wenn ich nicht handle, wird mein Kind sterben. Sie mußte einfach ohne Mut auskommen.
»Jetzt«, entschied Cordelia. »Es wird keine bessere Chance geben.«
Wieder die Leiter hinauf. Das zweite Paneel öffnete sich im Privatbüro des alten Kaisers. Zu Cordelias Erleichterung blieb es noch dunkel, unbenutzt und unberührt, seit es nach Ezars Tod im letzten Frühling aufgeräumt und abgesperrt worden war. Das Schaltpult seiner Kommunikationskonsole mit all ihren Sicherheitsvorkehrungen, war abgehängt, der Geheimnisse entleert, tot wie sein Besitzer. Die Fenster waren noch dunkel an diesem trägen Wintermorgen.
Kous Stock stieß gegen Cordelias Knöchel, als sie durch den Raum schritt. Er sah seltsam aus: er war an ihrer Taille zu offensichtlich wie ein Schwert befestigt. Auf einer Kommode befand sich ein breites, altes Tablett mit einer flachen Keramikschale, typisch für die Nippsachen, die überall in der Residenz herumstanden. Cordelia legte den Stock auf das Tablett und hob es feierlich hoch, nach Art einer Dienerin.
Droushnakovi nickte zustimmend. »Tragen Sie es auf halber Höhe zwischen Ihrer Taille und Ihrer Brust«, flüsterte sie, »und halten Sie Ihr Rückgrat gerade, wie man es mir immer gesagt hat.«
Cordelia nickte. Sie schlossen die Wandtäfelung, richteten sich auf und betraten den unteren Korridor des Nordflügels.
Zwei weibliche Bedienstete der Residenz und ein Sicherheitsmann. Auf den ersten Blick sahen sie in diesem Aufzug völlig natürlich aus, sogar in diesen unruhigen Zeiten. Ein Korporal, der am Fuß der Kleinen Treppe am Westende des Korridors Wache stand, nahm Haltung an, als er Botharis Sicherheits- und Rangabzeichen sah, sie salutierten voreinander. Die drei entfernten sich schon aus seinem Gesichtskreis, die Treppenbiegung hinauf, als er noch einmal genauer hinschaute. Cordelia zwang sich, nicht panisch loszurennen. Ein subtiler Fall von Irreführung: die beiden Frauen konnten keine Bedrohung bedeuten, denn sie wurden ja schon bewacht.
Daß ihr Wächter eine Bedrohung darstellen könnte, mochte dem Korporal noch für Minuten entgehen.
Sie bogen in den oberen Korridor ein. Da. Hinter dieser Tür, bewahrte Vordarian nach den Berichten der Loyalisten den erbeuteten Replikator auf. Direkt unter seinen Augen. Vielleicht als einen menschlichen Schild: jede Bombe, die auf Vordarians Quartier geworfen wurde, müßte ebenso den winzigen Miles töten. Hielt der Barrayaraner ihr geschädigtes Kind überhaupt für einen Menschen?
Ein weiterer Wächter stand vor dieser Tür. Er betrachtete sie mißtrauisch, seine Hand berührte seine Seitenwaffe. Cordelia und Droushnakovi gingen an ihm vorbei, ohne den Kopf zu wenden. Botharis militärischer Gruß ging fließend in einen Schlag gegen das Kinn des Mannes über, und dessen Kopf knallte gegen die Wand. Bothari fing den Wächter auf, bevor er zu Boden fiel. Sie rissen die Tür auf und schleiften den Mann nach drinnen, Bothari nahm seinen Platz auf dem Korridor ein. Drou schloß schweigend die Tür.
Cordelia bückte gehetzt in dem kleinen Raum umher und suchte nach automatischen Monitoren. Hier war früher vielleicht ein Schlafzimmer gewesen von der Art, wo die Leibdiener schliefen, um ihren Vor-Herren nahe zu sein, oder vielleicht eine ungewöhnlich große Garderobe, es gab nicht einmal ein Fenster, von dem aus man in irgendeinen langweiligen Innenhof hätte schauen können. Der tragbare Uterusreplikator stand auf einem tuchbedeckten Tisch genau in der Mitte des Raums. Seine Lichter glühten noch in beruhigendem Grün und Gelb. Noch kein alarmierendes Rot, das vor einer Fehlfunktion warnte. Als Cordelia das Gerät sah, entrang sich ihr ein Seufzer, halb aus Qual, halb aus Erleichterung.