»Haut ab!«, brüllte Bothari, und die Wachen zogen sich von der Tür zurück. Cordelia packte Droushnakovi am Arm und sie stiegen über Kareens Körper. Ihre elfenbeinernen Glieder lagen übereinander in dem roten Stoff, abstrakt schöne Formen selbst noch im Tod. Die Frauen hielten Bothari und Vordarian zwischen sich und Vordarians Leuten und zogen sich den Korridor hinab zurück.
»Ziehen Sie diesen Plasmabogen aus meinem Halfter und fangen Sie zu feuern an«, instruiertes Bothari Cordelia grimmig. Ja, Bothari war es gelungen, diese Waffe in dem Durcheinander wiederzufinden, vielleicht war deshalb die Zahl seiner Opfer nicht höher.
»Sie können doch nicht die Residenz in Brand stecken«, keuchte Drou erschrocken.
Ein Vermögen an Antiquitäten und historischen barrayaranischen Kunstwerken war ohne Zweifel allein schon in diesem Flügel untergebracht. Cordelia grinste wild, packte die Waffe und feuerte zurück in den Korridor. Holzmöbel, Holzparkett und altersdürre Tapisserien explodierten in einer Flammenhölle, als die sengenden Finger des Plasmastrahls sie berührten.
Brenne nur. Brenne für Kareen. Häufe ein Totenopfer auf, das ihrem Mut und ihrer Qual entspricht, lodere immer höher und höher empor … Als sie die Tür zum Schlafzimmer des alten Kaisers erreichten, feuerte sie sicherheitshalber auch noch in die andere Richtung des Korridors. DAS ist für das, was du mir angetan hast, und meinem Jungen … Die Flammen sollten die Verfolgung für ein paar Minuten aufhalten. Es kam ihr vor, als schwebte ihr Körper, leicht wie Luft.
Ist es das, was Bothari empfindet, wenn er tötet?
Droushnakovi ging zur der Wand, um die Täfelung zur geheimen Leiter zu öffnen. Sie funktionierte jetzt ganz ruhig, als gehörten ihre Hände zu einem anderen Körper als ihr tränenverschmiertes Gesicht. Cordelia ließ das Schwert auf das Bett fallen und rannte direkt auf den riesigen alten geschnitzten eichernen Kleiderschrank zu, der an der vorderen Wand stand und riß seine Türen auf. Grüne und gelbe Lichter glühten in der düsteren Nische des mittleren Bords. Gott, laß nicht zu, daß das auch nur ein Köder ist … Cordelia schlang ihre Arme um den Kanister und hob ihn heraus ins Licht. Das richtige Gewicht, diesmal, schwer mit den Nährlösungen, die richtigen Anzeigen, die richtigen Nummern. Der richtige Replikator!
Dank dir, Kareen. Ich hatte nicht vor, dich zu töten. Sicherlich war sie verrückt. Sie fühlte gar nichts, keinen Kummer, kein Bedauern, obwohl ihr Herz jagte und ihr Atem keuchend ging. Eine heftige Kampfesstimmung, eine Art Euphorie, dieser unsterbliche Impuls, der Menschen gegen Maschinengewehre anstürmen läßt. Das war es also, hinter was die Kriegssüchtigen her waren.
Vordarian sträubte sich noch gegen Botharis Griff und fluchte entsetzlich. »Ihr werdet nicht entkommen!« Dann unterbrach er sein Bocken und suchte Cordelias Blick. Er holte tief Atem. »Bedenken Sie, Lady Vorkosigan. Sie werden es nie schaffen. Sie müssen mich als Schild haben, aber Sie können mich nicht tragen, wenn ich betäubt bin. Solange ich bei Bewußtsein bin, werde ich jeden Meter des Weges gegen euch kämpfen. Meine Männer werden überall um euch herum sein, dort draußen.« Sein Kopf ruckte in Richtung auf das Fenster. »Sie werden uns alle betäuben und euch als Gefangene nehmen.«
Seine Stimme nahm den Ton des Überredens an. »Ergebt euch jetzt, und ich werde euer Leben retten. Auch dessen Leben, wenn es Ihnen so viel bedeutet«, er nickte dem Replikator zu, den Cordelia in ihren Armen hielt. Ihre Schritte waren jetzt schwerer als die von Alys Vorpatril.
»Ich gab nie diesem Narren Vorhalas Befehle, Vorkosigans Erben zu töten«, fuhr Vordarian verzweifelt in ihr Schweigen hinein fort. Blut tröpfelte ständig von seinen Fingern. »Es ging nur um seinen Vater mit seiner fatalen progressiven Politik, die Barrayar bedrohte. Ihr Sohn hätte mit meiner Zustimmung die Grafschaft von Piotr erben können. Piotr hätte nie von der Partei seiner wahren Loyalität getrennt werden sollen. Es ist ein Verbrechen, was Lord Aral Piotr zugefügt hat!«
So. Du warst es also. Sogar ganz am Beginn. Blutverlust und Schock machten aus Vordarians üblicher gewandter Darlegung politischer Argumente eine alberne Parodie. Es war, als empfinde er, er könnte sich auf seine Weise aus der Vergeltung herausreden, wenn er nur die richtigen Stichwörter traf. Irgendwie bezweifelte Cordelia aber, daß er sie treffen würde. Vordarian war nicht auf pompöse Weise böse, wie Vorrutyer es gewesen war, nicht persönlich pervertiert wie Serg, doch nichtsdestoweniger war von ihm Böses ausgegangen, nicht von seinen Lastern, sondern von seinen Tugenden: dem Mut seiner konservativen Überzeugungen, seiner Leidenschaft für Kareen. Cordelias Kopf tat scheußlich weh.
»Wir haben nie bewiesen, daß Sie hinter Evon Vorhalas steckten«, sagte sie ruhig. »Danke für die Information.«
Das ließ ihn für einen Moment verstummen. Seine Augen wanderten unruhig zu der Tür, die bald nach innen bersten würde, entzündet von dem Inferno dahinter.
»Wenn ich tot bin, bin ich für Sie nicht mehr nützlich als Geisel«, sagte er und straffte sich würdevoll.
»Sie sind für mich überhaupt nicht mehr nützlich, Kaiser Vidal«, sagte Cordelia offen. »Bis jetzt hat es in diesem Krieg mindestens fünftausend Tote gegeben. Jetzt, da Kareen tot ist — wie lange wollen Sie noch weiterkämpfen?«
»Immer weiter«, knurrte er bleich. »Ich werde Kareen rächen — werde sie alle rächen …«
Die falsche Antwort, dachte Cordelia mit einer seltsam euphorischen Traurigkeit. »Bothari!« Er war sofort an ihrer Seite. »Heben Sie das Schwert auf!« Er tat es. Sie setzte den Replikator auf dem Boden ab und legte ihre Hand kurz auf seine, die das Heft des Schwertes umschlossen hielt. »Bothari, richten Sie diesen Mann für mich hin, bitte.« Der Ton ihrer Stimme klang in ihren eigenen Ohren auf unheimliche Weise heiter und gelassen, als hätte sie gerade Bothari gebeten, ihr die Butter zu reichen. Mord brauchte wirklich keine Hysterie.
»Jawohl, Mylady«, erwiderte Bothari und hob die Klinge. Seine Augen funkelten freudig.
»Was?«, kreischte Vordarian überrascht. »Sie sind eine Betanerin! Sie können das nicht …«
Der blitzende Schwertschlag schnitt seine Worte, seinen Kopf und sein Leben ab. Es war wirklich außerordentlich glatt und sauber gegangen, trotz der letzten Blutspritzer aus seinem Halsstumpf. Vorkosigan hätte Botharis Dienste an dem Tag in Anspruch nehmen sollen, als sie Carl Vorhalas hinrichteten. Diese ganze Kraft des Oberkörpers, verbunden mit diesem außerordentlichen Stahl … sie schreckte aus diesen Wendungen ihrer Gedanken wieder in die Realität, als Bothari neben Vordarians Leichnam auf die Knie fiel, das Schwert fallen ließ und sich an den Kopf faßte. Er schrie. Es war, als käme Vordarians Todesschrei aus Botharis Mund.
Sie ließ sich neben ihm nieder und hatte plötzlich wieder Angst, obwohl sie unempfindlich gegenüber Furcht gewesen war, seit Kareen nach dem Nervendisruptor gegriffen und dieses ganze Chaos ausgelöst hatte. Von ähnlichen Stimuli erregt, hatte Bothari die verbotene Rückerinnerung, vermutete Cordelia, an jene aufrührerischen Enthauptungen, über die das barrayaranische Oberkommando entschieden hatte, daß er sie vergessen müßte. Sie verwünschte sich selbst dafür, daß sie diese Möglichkeit nicht vorhergesehen hatte. Würde ihn das umbringen?
»Diese Tür ist schon höllisch heiß«, berichtete Droushnakovi, die bleich und zitternd neben dem Eingang stand. »Mylady, wir müssen von hier jetzt verschwinden.«
Bothari keuchte heftig und preßte noch seine Hände gegen seinen Kopf, aber noch während sie ihn beobachtete, wurde sein Atem etwas ruhiger. Sie verließ ihn und kroch blind auf dem Boden umher. Sie brauchte etwas, etwas Wasserfestes … Da, am Boden des Kleiderschranks, lag ein robuster Plastikbeutel, der einige Paare von Kareens Schuhen enthielt, die zweifellos hastig von einer Dienerin hierhergebracht worden waren, als Vordarian angeordnet hatte, daß Kareen in seine Gemächer ziehen sollte.