»Wußten sie schon davon?« Cordelia hielt den Beutel hoch.
»Ich glaube nicht, Mylady. Sie haben gerade alles verändert.« Er grinste grimmig, und seine ungleichen Schritte wurden länger.
»Ich nehme an, daß dieses Kommandounternehmen noch notwendig ist«, seufzte Cordelia. »Selbst im Zusammenbruch ist Vordarians Seite noch gefährlich. Vielleicht noch gefährlicher, in ihrer Verzweiflung.« Sie dachte an jenes Hotel im Zentrum von Vorbarr Sultana, wo Botharis kleine Tochter Elena immer noch, soweit sie wußte, untergebracht war.
Geringere Geiseln. Konnte sie Aral dazu überreden, für geringere Geiseln noch etwas mehr Kräfte einzuteilen? Leider hatte sie wahrscheinlich noch nicht einmal jetzt all die Soldaten arbeitslos gemacht. Ich habe es versucht. Mein Gott, ich habe es versucht.
Sie gingen hinab und immer weiter hinab, ins Nervenzentrum von Basis Tanery. Sie kamen zu einem hochgesicherten Konferenzraum, davor stand eine bis zu den Zähnen bewaffnete Gruppe Soldaten kerzengerade Wache.
Koudelka hieß sie zur Seite treten. Die Türen glitten auf und schlossen sich wieder hinter ihnen.
Cordelia nahm die Szene in sich auf, wo jeder innehielt, um von dem polierten Tisch zu ihr aufzuschauen. Aral war in der Mitte, natürlich.
Illyan und Graf Piotr flankierten ihn auf beiden Seiten. Premierminister Vortala war da und Kanzian und ein paar andere hohe Stabsoffiziere, alle in der formellen grünen Uniform. Die beiden Doppelspieler mit ihren Adjutanten saßen auf der Gegenseite. Ganze Rudel von Zeugen. Sie wollte mit Aral allein sein, ohne die ganze verdammte Bande. Bald.
Arals Blicke trafen die ihren in schweigendem Schmerz. Seine Lippen kräuselten sich zu einem äußerst ironischen Lächeln. Das war alles, und doch wurde es ihr wieder innerlich warm vor Zuversicht, sie war sich seiner sicher. Kein Frost. Es würde alles gut sein. Sie waren wieder im Gleichschritt, und selbst eine Sturzflut von Worten und heftigen Umarmungen hätte das nicht besser mitteilen können. Umarmungen würden jedoch kommen, das versprachen die grauen Augen. Ihre eigenen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, zum erstenmal seit — wann?
Graf Piotrs Hand schlug hart auf den Tisch. »Guter Gott, Frau, wo bist du gewesen?«, schrie er zornig.
Eine morbide Verrücktheit ergriff von ihr Besitz. Sie lächelte ihn grimmig an und hielt den Beutel hoch. »Einkaufen.«
Eine Sekunde lang glaubte ihr der alte Mann fast, widerstreitende Gefühle zeichneten sich auf seinem Gesicht ab: Erstaunen, Zweifel, dann Ärger, als ihm klar wurde, daß er auf den Arm genommen wurde.
»Willst du sehen, was ich gekauft habe?«, fuhr Cordelia fort, die sich immer noch treiben ließ. Sie riß den Beutel auf und rollte Vordarians Kopf heraus, über den Tisch. Glücklicherweise hatte er schon vor ein paar Stunden aufgehört zu bluten. Er kam mit dem Gesicht nach oben vor Piotr zum Halt, mit grinsenden Lippen und starren, austrocknenden Augen.
Piotr blieb der Mund offen stehen, Kanzian sprang auf, die Stabsoffiziere fluchten, und einer von Vordarians Verrätern schreckte so sehr zurück, daß er von seinem Stuhl fiel. Vortala schürzte die Lippen und hob die Augenbrauen. Koudelka, der grimmigen Stolz empfand ob seiner Schlüsselrolle in der Inszenierung dieser historischen Vorführung der Kunst, den anderen immer voraus zu sein, legte den Stockdegen als weiteres Beweisstück auf den Tisch. Illyan schnaufte vernehmlich, dann wich seine Überraschung einem triumphierenden Grinsen.
Aral war perfekt. Seine Augen weiteten sich nur für einen Moment, dann stützte er sein Kinn in die Hände und blickte über die Schultern seines Vaters mit einem Ausdruck kühlen Interesses. »Aber natürlich«, sagte er leise, »jede Vor-Lady geht in die Hauptstadt zum Einkaufen.«
»Ich habe aber zu viel dafür bezahlt«, gestand Cordelia.
»Auch das entspricht der Tradition.« Ein sardonisches Lächeln verzog seine Lippen.
»Kareen ist tot. In dem Handgemenge erschossen. Ich konnte sie nicht retten.«
Aral öffnete seine Hand, als ob er den aufkeimenden schwarzen Humor durch seine Finger fallen ließe. »Ich verstehe.« Er hob wieder seinen Blick zu ihr, als fragte er: Bist du heil davongekommen? und fand anscheinend die Antwort: Nein.
»Meine Herren. Würden Sie sich bitte eine paar Minuten nach draußen begeben? Ich möchte mit meiner Frau allein sein.«
In dem Durcheinander von Stühlerücken und Aufstehen hörte Cordelia jemanden murmeln: »Tapferer Mann …«
Sie faßte Vordarians Männer fest ins Auge, als sie vom Tisch zurücktraten. »Meine Herren Offiziere, ich empfehle Ihnen, daß Sie sich, sobald diese Konferenz fortgesetzt wird, bedingungslos der Gnade von Lord Vorkosigan ergeben. Vielleicht hat er sie noch.« Ich sicherlich nicht mehr, war die unausgesprochene Botschaft. »Ich bin Ihres dummen Krieges müde. Beenden Sie ihn.«
Piotr schob sich an ihr vorbei. Sie lächelte ihn bitter an. Er verzog verlegen das Gesicht. »Es scheint, als hätte ich dich unterschätzt«, murmelte er.
»Komm mir niemals mehr … in die Quere. Und halte dich von meinem Sohn fern.«
Ein Blick von Vorkosigan hielt sie davon ab, ihren Zorn über ihn zu ergießen. Sie und Piotr nickten sich vorsichtig zu, es war, als tauschten zwei Duellanten rudimentäre Verbeugungen aus.
»Kou«, sagte Vorkosigan und blickte nachdenklich auf das gräßliche Objekt, das neben seinem Ellbogen lag, »sorgen Sie bitte dafür, daß dieses Ding in die Leichenhalle der Basis gebracht wird. Ich schätze es nicht als Tischdekoration. Es muß aufbewahrt werden, bis es mit dem Rest von ihm bestattet werden kann. Wo immer das auch sein mag.«
»Sind Sie sicher, daß Sie es nicht hierlassen wollen, um Vordarians Offiziere zu inspirieren, endlich mit uns einig zu werden?«, sagte Kou.
»Nein«, sagte Vorkosigan bestimmt. »Es hatte schon einen ausreichend heilsamen Effekt.«
Kou nahm vorsichtig den Beutel von Cordelia und benutzte ihn, um Vordarians Kopf an sich zu nehmen, ohne ihn tatsächlich zu berühren.
Aral betrachtete ihr müdes Team, Droushnakovis Kummer, Botharis zwanghaftes Zucken. »Drou, Sergeant. Sie können gehen, um sich zu waschen und zu essen. Berichten Sie mir später in meinem Quartier, wenn wir hier fertig sind.«
Droushnakovi nickte, der Sergeant salutierte, und sie folgten Koudelka nach draußen.
Cordelia fiel in Arals Arme, als sich die Tür seufzend schloß, in seinen Schoß, als sie ihn umfing, wie er gerade für sie aufstand. Sie beide landeten mit soviel Wucht, daß beinahe der Stuhl umgekippt wäre. Sie umarmten sich so fest, daß sie wieder ein Schritt zurücktreten mußten, um einen Kuß fertigzubringen.
»Mach nie wieder«, sagte er mit heiserer Stimme, »einen solchen Trick.«
»Laß ihn nie wieder notwendig werden.«
»Einverstanden.«
Er hielt ihr Gesicht ein Stück weg, zwischen seinen Händen, und verschlang sie mit den Augen. »Ich hatte solche Angst um dich, daß ich vergaß, Angst für deine Feinde zu haben. Ich hätte mich erinnern sollen, lieber Captain.«
»Allein hätte ich überhaupt nichts fertiggebracht. Drou war mein Auge, Bothari mein rechter Arm, Koudelka unser Fuß. Du mußt Kou verzeihen, daß er sich unerlaubt von Dienst entfernt hat. Wir haben ihn praktisch gekidnappt.«
»Das habe ich schon gehört.«
»Hat er dir von deinem Cousin Padma erzählt?«
»Ja«, antwortete Aral mit einem traurigen Seufzer. Er starrte in die Vergangenheit. »Padma und ich haben als einzige von Prinz Xavs Nachkommen das Massaker von Yuri dem Wahnsinnigen an jenem Tag überlebt. Ich war elf jähre alt, Padma war ein einjähriges Baby … Ich habe seitdem von ihm immer als dem Baby gedacht. Versuchte, auf ihn aufzupassen … Nun bin ich der einzige, der übrig ist. Yuris Werk ist fast vollendet.«