»Gut, das wäre vorerst alles. Gembala, bring endlich Ordnung in die verfluchten Bauklammern. Ich habe keine Lust, deinetwegen angepöbelt zu werden. Du weißt wohl Bescheid. Du, Salmo, kommst mit in mein Büro, damit ich dich einweise.«
Unschlüssig erhob sich auch der Legionär. Als Adjutant...
Rabirius lachte. »Warte an der Haustür. Der Sklave wird schon nicht davonrennen.«
Wohin auch? dachte Marcus, legte die Hand aufs Schwert und ging wortlos hinaus.
Das Privatbüro des Baumeisters, ein nur mäßig großes, schmuckloses Zimmer, lag am anderen Ende des Flurs. Die beiden Fenster wiesen auf das Gerüst am Pfeiler zwanzig. Um die Ordnung im Raum war es freilich schlecht bestellt. Überall lagen Planrollen und Täfelchen verstreut. Staub hätte schon mehrmals gewischt werden können.
Rabirius warf einen Blick in den Nebel und setzte sich auf ein Fensterbrett. »Zu uns! Woher bist du, Salmo?«
Der Sklave zögerte. Eigentlich war bereits das ein Vergehen, doch der Baumeister übersah es. Er betrachtete das Aufhellen der extrem dunklen Augen des Gefangenen und beobachtete auch, wie sich dessen Gesicht verzerrte.
Rabirius lächelte, aber es war etwas Gespanntes in seinem Wesen. »Nun?«
»Ich heiße Salmo und wurde bei Olisipo gefangengenommen.«
»Weiß ich. Von wo kamst du nach Olisipo?«
»Ich bin ein Schiffbrüchiger... von jenseits des Ozeans«, lautete die zögernd gegebene Antwort.
Rabirius schmunzelte. »Erzähle das einem Germanen vom Ostufer des Rheins, wo sie nur bis fünf zählen können! Nirgends auf der Welt leben Menschen wie du.«
»Jenseits des unbefahrbaren Meeres...«
». .. sind die Leute lediglich dunkelhäutiger als im Imperium; rotbraun, um es genau zu sagen. Stiehl mir nicht die Zeit. Was hat es mit dir auf sich?«
Deutlich nervös setzte Salmo zum Reden an, stockte, blickte dann entschlossen auf. »Ich muß wohl die Wahrheit sagen. Bloß, ob du sie verstehen kannst... Ich will dich damit nicht beleidigen, Herr, auch wenn... Ich bin schiffbrüchig, aber in einem ganz anderen Sinn. Das mit dem Ozean erzählte ich nur... Meine wirkliche Heimat ist nämlich unvorstellbar weit entfernt und auch woanders.«
»Du weißt ja wohl, wie lang ein Jahr ist. Wieviel Jähre braucht das Licht bis zu deiner Sonne?« fragte der Architekt, ohne seine Stimme zu heben.
Dem Sklaven verschlug es die Sprache. In seinem abartigen Gesicht stand unverkennbar Schrecken. »Herr! Woher weißt du...? Ich glaubte nicht, daß in diesem Land jemand von der Lichtgeschwindigkeit gehört hätte. Das ist doch unmöglich. Oder bist etwa auch du...?« Etwas wie ein Begreifen zuckte über die verzerrten Züge.
Der Baumeister nickte. »Erraten. Nur, daß alles anders zusammenhängt. Ganz anders. Aber so rasch kann ich dir das nicht erklären. Außerdem haben wir hier keine Ruhe. Ständig kommt man mit Anliegen zu mir. Darum kurz: Welche Hilfe brauchst du zuerst?«
Salmos Augen leuchteten auf wie eine rasch erblühende Blume. »Zu meiner Heimat kannst du mich sicher nicht bringen. Sonst: Eure Luft ist stickiger als die auf Zolkin. Trotzdem komme ich zurecht. Das Essen schmeckt abscheulich, scheint aber ungiftig zu sein. Jedenfalls habe ich noch keine Krankheit
an mir bemerkt. Vermutlich werde ich irgendwelche Mangelleiden bekommen. Ich bin Pilot und kein Arzt; ich kenne die Sternkonstellationen, die Gravitationsverhältnisse und meinen Navigationsrechner. Was weiß ich von der Biochemie einer anderen Welt?«
Das war keine Frage, auf die man antworten konnte.
»Ich habe zwar Medikamente für sämtliche kalkulierten Fälle bei mir«, überlegte Rabirius laut, »sonst wäre meine Mission unnötig riskant. Ob sie dir nützen können? Wohl kaum. Das Essen? Ich kann dich unter Vorwänden zu mir holen. Wir müssen sowieso eine Menge absprechen. Aber vielleicht sind die besseren Speisen für dich die gefährlicheren. Ein Notgelandeter aus einer anderen Welt! Wer konnte das voraussehen!« Er ging zur Tür. »Marcus!«
Der Soldat erschien. »Legionär Marcus wie befohlen zur Stelle.«
»Richte meinen Dienerinnen aus: Mittagessen für zwei. Was sie kochen, ist mir egal. Ich brauche dich nicht. Meinetwegen kannst du anschließend bis zum Wachwechsel dort bleiben. Dich darf bloß niemand sehen.«
»Zu Befehl.« Marcus strahlte. Einen halben Tag lang Ruhe! Für einen Legionär wog das so schwer wie eine Kanne Wein. Ein Happen mochte wohl für ihn abfallen, und falls er die Mädchen näher kennenlernte...
Er stiefelte vergnügt hinaus.
Die Natur hatte den Tribun Septimus Crusius, Militärkommandant des Distrikts Äliacum, benachteiligt. Trotz aller Bemühungen um eine soldatisch aufrechte Haltung wirkte der Dunkelhaarige ständig wie ein gereiztes, zum Sprung geducktes Raubtier. Sein verkniffenes Gesicht verschaffte ihm sowenig Freunde wie sein nörgelndes Wesen. Auch reich war er nicht
geworden Offiziere abseits der Kriegsgebiete bekamen kein allzuhohes Gehalt. Ferner galt solch ein Posten als eine Sackgasse. Bergauf ging es kaum mehr.
Wie die Legionäre genau wußten, eignete sich Crusius nicht zum Kommandeur; seine unbestrittene Stärke waren Planung und Organisation, er betrachtete sich zum Leiten berufen. Kein Wunder, daß es ihn reizte, wenn fremde Baumeister als Architekten für den Aquädukt verpflichtet wurden. Er hielt sich für besser. Faustus’ Intrigen taten ein übriges.
Sein täglicher Rundgang über den Bauplatz glich einer endlosen Fehlersuche. Die Legionäre verdrückten sich nach Möglichkeit. Wenn dieser Offizier ihre Unterkünfte visitierte, regnete es tausend Tadel und hundert Strafen gelobt hatte der Tribun selbst den Besten noch nie.
Auch heute lag ihm jegliches Lob fern. Gefolgt von zwei Soldaten schritt der Oberst die Arbeitsplätze ab. »Jupiters Blitz über dich! Wenn ich nur einen Spritzer auf meinen Sachen finde, kannst du etwas erleben!« schrie er, als aus einem hastig vorbeigetragenen Eimer Kalkbrühe schwappte. Dabei war das unvermeidbar. Wegen der endlosen, meist federnden Treppen rings um die Pfeiler konnte sich ein Schlepper glücklich schätzen, wenn er mit drei Viertel seiner Last oben ankam. Aber das lag außerhalb von Crusius’ Horizont.
Der Sklave beschleunigte seinen Schritt und entkam der gefährlichen Nähe. Crusius sandte ihm ein vernehmliches »Saukerl!« nach.
Daß die Bauarbeiten zügig vorangingen, mußte ein Fachkundiger sehen. Scheinbar unaufhaltsam wurden neue Fundamente ausgehoben und befestigt, wuchsen die Pfeiler, rankten sich Gerüste empor, schloß man die Bögen. Teils wurde schon die Wasserleitung sachgemäß ausgekleidet. Jede undichte Stelle konnte in den eisigen Winternächten zum Risiko werden. Rom kannte wenig Frost; hier aber fiel häufig Schnee, häufiger noch
war trockene Kälte. All das und mehr mußte ein Architekt bedenken.
Der ausgebildete Baufachmann Crusius hatte in Cäsaraugusta und Tarraco Bedeutendes geleistet, er wußte es. Doch er war neidisch. Darum ignorierte er die neuen Steinschichten, ihre sauberen Fluchten und Winkel. Es wurmte ihn, daß die Treppen für die Schleppersklaven stellenweise mit Leitseilen versehen waren. Welch eine Verschwendung!
Der Oberst wollte einen Bögen um die Baubaracke schlagen, da sah er Faustus. Der Mann mißfiel ihm und doch: ein Gleichgesinnter. Alles gegen Servius Rabirius!
Der Sekretär verneigte sich vor dem Tribun wie vor einem hohen Beamten des Kaisers. »Ich grüße dich, würdiger Septimus Crusius«, begann er. »Als geübter Soldat erträgst du den Nebel gewiß leichter.«
»Das Wetter könnte besser sein«, gab Crusius zu.
Im Laufe des Vormittags hatte sich der Dunst geringfügig gelichtet. Der Blick reichte jetzt hundert Schritte weit.
»Ich prüfte eben die Bestände...« Der Sekretär stockte, ein Lächeln des Bedauerns in den Mundwinkeln.
»Und?« fuhr der Oberst auf.
»Es gibt Abweichungen. Das ist üblich und verzeihlich, obwohl wer sonst so präzis redet, sollte auch in seinen Taten präzis sein. Nun«, fügte Faustus beflissen hinzu, »ich habe festgestellt, wo ein Großteil der verschwundenen Bretter, Bohlen und Nägel geblieben sind.«