Erst kürzlich hatten beide darüber gesprochen. Hundert Möglichkeiten waren erörtert und verworfen worden; denn trotz aller Mißgunst wußten Crusius und Faustus, daß Rabirius nicht zu stehlen brauchte.
»Und wo?«
»In einer Menge höchst überflüssiger Sicherungen.« Faustus erläuterte, was der Oberst bereits wußte.
»Das soll solch ein Manko erklären?«
Der Sekretär zuckte die Achseln. »Ein gut Teil.« Er würde sich hüten, die Wahrheit zu verraten. Diebstahl kaiserlichen Eigentums wurde schwer bestraft aber wie sonst sollte er sein Einkommen aufbessem? Wer billig zu Balken, Bausteinen und Holz kommen wollte, mußte Schmiergeld zahlen. Doch solch ein Geschäft mußte man tarnen. Wer eignete sich dazu besser als ein ungeeigneter Lagerverwalter?
»Er ist zu nachsichtig mit dem Sklavengesindel«, sagte Faustus. »Jetzt hat er noch einen Drückeberger ins Lager gestellt. Warum bloß?«
Beide wußten, wer »er« war.
Crusius blickte den Sekretär finster an. Wieder einmal hatte er das Gefühl, daß Faustus etwas verbarg und ganz andere Ziele verfolgte als er.
»Wenn man von Üblem spricht, ist es nah. Dort!«
Rabirius, von zwei Vorarbeitern begleitet, schritt über das Baugelände. Sie besprachen den Arbeitsablauf, bis der eine den Architekten anstieß.
»Meinen Gruß, Tribun!« sagte Rabirius, nähertretend, und verabschiedete die beiden mit einer Geste. »Du willst sicher nach uns schauen. Keine Probleme.« Den Sekretär übersah er, als wäre Faustus ein Sklave. »Vorhin habe ich in deinem Amtszimmer die Überstellung der fünf Bausklaven abgezeichnet, damit alles seine Ordnung hat.«
»Hoffentlich läßt du sie arbeiten!«
»Gewiß, jeden exakt nach seinem Vermögen. Das ist optimal. Dummköpfe an wichtigen Stellen furchtbar!« Wie zufällig fiel sein Blick auf Faustus.
»Ich hörte, einer wird dem blöden Gembala beim Faulenzen helfen. Hältst du das nicht für Verschwendung?«
»Jener Sklave kann kaum etwas anderes tun.«
»Ein fauler Sack also.«
»Ein Ungeeigneter«, verbesserte Rabirius rasch und verbreitete sich über Salmos körperliche Mängel, »...weil die Abrechnungen alleweil fehlerhaft sind«, schloß er, »muß ein gebildeter Mann an diese Stelle. Gembala war von Anfang an überfordert. Du willst doch auch, daß die Minusbestände endlich verhindert werden, Herr Tribun.«
»Wer seinen Aufgaben nicht nachkommt, hat Zeit zum Müßiggang«, verkündete Crusius. »Vorläufig gut. Doch sobald hier eine andere Arbeit anliegt, wird einer der beiden abgezogen. Faulpelze dulde ich nirgends.«
Faustus verzog das Gesicht. Noch zwei Augen, die ihn entlarven konnten!
»Einverstanden, Oberst. Im übrigen bitte ich dich«, fügte der Architekt hinzu, »zwischen den Pfeilern elf und zwölf die Nivellierung der Leitung zu kontrollieren und gegenzuzeichnen. Eine Formsache. Der Kolonnenführer meldete mir heute früh den Vollzug, und ich habe es soeben überprüft. Sämtliche Steine sind verfugt.«
Crusius murmelte etwas wie »Wird auch Zeit!«. In Wirklichkeit ging die Arbeit überraschend reibungslos. Ein Bogen nach dem anderen wurde gerundet. Sofern es keine Rückschläge gab, wurde übers Jahr Wasser durch den Aquädukt strömen. Die Verteilung im Ort ging weder Rabirius noch die Verwaltung Gesamthispaniens etwas an. Darum kümmerten sich lokale Behörden, und dann herrschte er, Septimus Crusius, wieder allein.
Den Römer loben? Der Oberst erwog es keinen Atemzug lang. »Nirgendwo darf Stillstand herrschen. Hier sehe ich Leute faulenzen. Den Anfängen wehren! Die Ordnung auf der Baustelle läßt zu wünschen übrig, Herr Architekt.«
Rabirius versagte sich eine Antwort. Warum leeres Stroh dreschen? Den verdrossenen Faustus ignorierend, grüßte er den
Tribun. »Ich begebe mich jetzt zum Mittagessen und wünsche auch dir einen gesegneten Appetit.«
»Der Dienst geht allemal vor«, knurrte Crusius. Der Baumeister hörte es nicht mehr.
»Wie ein Aal, nicht zu packen«, sagte Faustus und fügte wie von ungefähr hinzu: »Gleich und gleich klebt zusammen. Kriegt man den einen nicht... Herr Oberst, schau dir den angeblich kranken Sklaven mal an.«
Marcus hatte den Sklavinnen beim Kochen im Wege gestanden. Sie nahmen ihn hin als eine Unvermeidlichkeit und gaben ihm eine reichliche Extraportion. Wundervoll! Astris war eine begabte Köchin. Sicherlich kannte Crusius solche Speisen nicht einmal, von den schlecht verpflegten Kameraden ganz zu schweigen. Bei der Arbeit scherzten die Mädchen. Mancher Witz über die Legionen war ihnen gewiß verboten, aber Marcus war der letzte, sie deshalb anzuschwärzen. Er lachte viel zu gern. Sie verehrten nicht Mithras wie er, die eine betete zu einem illyrischen Gott, die andere zu einem hispanischen. Doch was tat das schon! Götter gab es viele.
Nur eins hinterließ einen Stacheclass="underline" Die beiden waren so unzugänglich wie jenes versiegelte Wandfach beim Tribun, worin die Geheimbefehle lagerten. Warum das? Marcus wußte sich jung und gutaussehend. Hegten Lydia und Astris törichte Hoffnungen in bezug auf den Baumeister? Man heiratete keine Sklavin. In allem schienen sie sonst so vernünftig.
Marcus hätte den festen Vorsatz, ein andermal mehr zu erlangen.
Jetzt sah er Rabirius kommen. Hinter ihm trottete der neue Schreibsklave einher. Fein eingekratzt hatte sich der Drückeberger! Dem Kerl wollte er die Meinung sagen. Er verabschiedete sich und ging aus der Hintertür, als vom schon der Vorhang raschelte.
Astris trat dem Hausherrn entgegen, um nach Befehlen zu fragen. »Lydia und ich danken dir sehr für die Armreifen«, sagte sie leise.
»Schon gut. Tragt auf! Salmo wird hier essen.«
Erstaunt strich sie das Haar zurück. Der? Hier? Mit solch einem Scheusal in einem Raum speisen? Der Gebieter übertrieb seine Güte.
Demütig neigte sie den Kopf. »Wie du befiehlst, Herr.«
Lydia brachte schon die Vorspeise, scharf gewürzte Forellen aus den Pyrenäenbächen.
Bis auf Fragen nach Herkunft und Zusammensetzung von Gerichten wurde das Essen schweigend eingenommen. Rabirius war kein Plauderer. Außerdem kamen die Mädchen mehrmals herein, um Teller und Schüsseln zu wechseln.
Endlich war auch der letzte Gang abgeräumt. Ein Weinkrug stand auf dem Tisch, die Dienerinnen hatten sich zurückgezogen; aber immer noch grübelten beide.
Rabirius schenkte sich einen Becher voll, bot Salmo einen zweiten an und registrierte verständnisvoll die Ablehnung. »Die Sache ist nämlich so«, begann er übergangslos. »Ich kann dir helfen. Wirksamer, als du glaubst. Aber nicht rasch... Ich brauche Informationen und nochmals Informationen. Exakte Daten. Was ist geschehen?«
Salmos Augen flackerten. »Wenn ich das wüßte! Seit längerer Zeit treten in diesem Raumsektor bei den Transit-Sprüngen Störungen auf. Anfangs registrierten wir geringe Kursabweichungen. Als diese bedrohlich anwuchsen, stellten wir die Routineflüge im Quadranten ein. Der Effekt scheint sich radial auszuweiten. Meines Wissens führt man ihn auf nichtlineare Gravitationswellen zurück wohl ein Stern im Prä-NovaStadium.
Wir wollten dem dadurch abhelfen, daß die Navigation präzisiert wurde, also mittels eines Netzes von Leitsendern. Mein Schiff sollte einerseits den instabilen Stern identifizieren, andererseits die nächstliegenden Transit-Bojen durch verbesserte Modelle ersetzen!
Was dann geschah? Eine Stoßwelle traf uns und ließ das Hauptaggregat in einem Kurzschluß zerschmelzen. Unser Notsystem erlaubte nur den Schleichflug zu einem nahen Stern. Den Unterlagen zufolge ist dieser Planet der geeignetste die Atmosphäre und so weiter. Wir wissen ja von der noch primitiven Kultur hier. Doch die Konstellation war ungünstig; und als wir es trotzdem versuchten, versagte das Triebwerk beim Anflug.« Salmo schloß die Augen. Nach einigen Minuten sprach er weiter: »Der Automat katapultierte uns aus dem trudelnden Schiff, wenig später explodierte es. Hier nennt man das Resultat ein Erdbeben.«