Zufall wollte, daß sie in dieser Woche dienstags und freitagnachts eintraten. Am Dienstag hatte er die Sensation gemeldet, seine Vermutungen über den Zusammenhang zwischen Zeitsprung und Raum-Zeit-Stoßwellen angefügt und um Weisungen gebeten. Er hoffte, daß die Experten inzwischen Resultate vorzuweisen hatten. Am Freitag füllte sich nach nervenraubendem Justieren die Leuchtscheibe mit Textzeilen. Tatsächlich enthielt die Antwort die vermutete Anweisung: Rücksprung nach 2094 vorbereiten. Das Visier war auf Montag 3 Uhr eingestellt. Erwähnt würde die Aussetzung sämtlicher Zeitreisen bis auf weiteres. Es folgten Präzisierungen, andere hatte Rabirius anhand der Daten über den Fremden selbst vorzunehmen. Die Zeit drängte.
Er bestätigte den Eingang, chronographierte etliche Ergebnisse eigener Untersuchungen durch, zuletzt sein Einverständnis, zum genannten Termin den Rücksprung einzuleiten.
Nun galt es, alles zu durchdenken. Aus zweitausend Jahren Distanz befahl man leicht. Die Lokalkenntnisse besaß er, und er trug die Last des Risikos. Immerhin war viel vorbereitet.
Ein Stück unterhalb der Quelle führte eine gebüschverwachsene Kluft zu einem Naturtalkessel, zehn Schritt im Durchmesser. Niemand konnte ihn einsehen, keiner kam hierher; darum zielte das Visier der Zeitmaschine dorthin. Rabirius hatte seine Geräte in Felsspalten versteckt und gegen Diebstahl gesichert. Die Apparate würden sich im Zielradius befinden.
Vorhin hatte er den geheimen Stützpunkt inspiziert. Wie erwartet war alles unberührt. Nur kein Risiko! Über die Folgen von Manipulationen am Zeitablauf gab es zwanzig Jahre nach der Erfindung der Zeitmaschine so viele Theorien wie Theoretiker. Nur Salmos Katastrophe hatte niemand vorausgesehen. Einig war man sich in einem: Nach Möglichkeit nicht eingreifen! Das hieß fürs erste das Erscheinen und Verschwinden der Reisenden zu maskieren. Beides geschah längst routiniert. Er
selbst war in einem öden Alpental in die Vergangenheit gekommen, nahe der Stelle, wo ein Steinschlag den richtigen Rabirius getötet hatte. Er nahm alle Dokumente an sich und begrub den Toten, wie das Grab es befahl. Falls der Verfasser der Bauinschrift ein Hochstapler war, der nun nicht zum Zug kam, korrigierte man die Geschichte zwar, aber nur ein wenig. Die Majorität der Historiker meinte indes, die Alban-Mission sei gerade wegen des Widerspruchs eine chronologische Notwendigkeit und bereits historisch belegt und jene Inschrift das Zeugnis des Erfolgs. Das schon geplante Verschwinden in knapp drei Monaten sollte wie der erpresserische Überfall einer Baskenbande aussehen. Fingierte Lösegeldforderungen an die Provinzialverwaltung in Tarraco lagen bereit; da die nie zahlen würde, mußte jedermann glauben, Servius Rabirius sei tot.
Nach dem Urteil der weitbesten Simulationscomputer reichte die Maßnahme aus. Analoge Aktionen in späteren Epochen waren erfolgreich verlaufen; kein Beweis zwar, doch ein Indiz.
Der ausgeklügelte Plan war wertlos geworden. Das konnte einem die Laune verderben. Für ihn bestand zwar keine Gefahr, schlimmstenfalls konnte er den Notsprung auslösen. Wer aber vollendete dann den Aquädukt, welche Folgen hatte das für die Geschichte? Wie überhaupt sein und Salmos Verschwinden maskieren? Die Experten überließen es angesichts der unübersichtlichen Situation ihm.
Die entscheidende Inschrift war, obgleich verfrüht, gestern angebracht worden. Die Spötteleien ließen ihn kalt; abmontieren würde man die Tafel nicht. Die eigentliche Aktion bereitete Rabirius hundertfach schlimmere Sorgen.
Er mußte hierher. Mit welcher Ausrede gelangte er nachts gemeinsam mit Salmo unbewacht an den Oberlauf des Aquädukts? Nach Sonnenuntergang hatte der Sklave im Lager zu sein. Es gab nur eine Lösung, und die war schlecht: spätnachmittags mit dem Fremden und einem Legionär die Strecke
inspizieren, den Soldaten betäuben und sich mit Salmo in der Kluft verstecken. Präparate, die die losgelassenen Bluthunde täuschten, besaß er; ohne die aber fand sie niemand. Wenn er zugleich den Erpresserbrief absandte, würde Crusius an den Handstreich eines kühnen Räuberhauptmanns glauben und, zumal für Rabirius, wenig Mühe aufwenden. Die Suche setzte morgens ein, und da war der Talkessel schon leer.
Der Legionär würde sich und den anderen einreden, unversehens niedergeschlagen worden zu sein was wußte der von Hypnolan! Immerhin brauchbar! Doch Lydia und Astris? Ihretwegen galt es nachzudenken. Jose Alban brachte es nicht über sich, sich zweier Menschen zu bedienen wie eines Eßbestecks. Irgend etwas mußte ihm einfallen. Derweiclass="underline" Beschlossen!
Er erhob sich und folgte der Wasserleitung bergab. Zunächst war sie ein in den Felsen gehackter Grabentunnel, wurde zu einem Kanal und führte als Brücke über ein Quertal. Der Wasserlauf senkte sich dann, eine Kuppe umfassend, ins Tal von Äliacum.
Bald erreichte Rabirius die Baustelle, benutzte das nächstbeste Gerüst und stieg hinab.
Als erster begegnete ihm Quintus Corellius. Der Centurio schien ihn erwartet zu haben, seine Miene kündete Unannehmlichkeiten an.
»Ein Unfall?« fragte Rabirius. Hatte er die ihm Anvertrauten über den Privatsorgen vergessen?
»Ein Fluchtversuch, Herr. Wir haben den Sklaven verletzt eingefangen. Leider... Es ist dein Schützling, Salmo.«
»Nein!« Kreideweiß im Gesicht, klammerte sich der Architekt an einen Balken.
Corellius senkte den Blick. Man sah, der Baumeister konnte es nicht glauben. Hatte er selbst es denn anfangs geglaubt? »Es
ist nur zu wahr, Herr. Marcus mußte ihm einen Speer ins Bein werfen.«
»Wie geht es ihm?«
Als wenn das jetzt noch von Bedeutung war! Mit dürren Worten erklärte der Centurio: Salmo hatte Faustus niedergeschlagen und war davongerannt der Tatbestand des gewaltsamen Fluchtversuchs, gewaltsam erst vereitelt.
Die Antwort des Baumeisters verstand er nicht. Dem Klang der Worte nach war sie ein saftiger Fluch anscheinend griechisch, aber das hatte ihn niemand gelehrt. Rabirius’ Verdruß war begreiflich. Die Tat des Schützlings fiel auf ihn zurück. Es war so, als wenn Marcus desertiert wäre um seine Karriere stände es dann schlecht.
»Wann soll er gekreuzigt werden?« fragte der Baumeister und bewies damit seine Gesetzeskenntnis. Seine Stimme klang wie ein Hammer, der auf Holz schlägt.
»Tribun Crusius inspiziert heute außerhalb der Stadt. Er wird kaum vor Sonnenuntergang wiederkommen, und bei Nacht werden Urteile weder gefällt noch vollstreckt.«
»Wer hat derweil das Kommando?«
»Der Centurio bin ich.«
»Klar. Dann... Aber da kommt jemand, der uns nicht zuzuhören braucht. Würdest du nachmittags mein Haus aufsuchen? Da sprechen wir in Ruhe miteinander.«
»Wie du wünschst, Herr, gleich nach dem Appell.« Corellius dämpfte die Stimme. »Gewiß wird dir eine weise Lösung einfallen.«
Faustus kam geradewegs auf sie zu. »Ich grüße dich, Baumeister!« rief er theatralisch. »Gewiß weißt du schon von der unglaublichen Tat.«
Das Gesicht des Architekten verschloß sich. »Von welcher?«
»Du fragst? Der Überfall auf mich!«
»Tatsächlich unglaublich. Ich dachte, du meintest... Jemand aus Äliacum berichtete mir gestern Einzelheiten über das geheimnisvolle Verschwinden von Baumaterial. Darunter etliches Beweisbares. Ich riet ihm, den Duumvim einen Schriftsatz zuzustellen, ein Duplikat nach Tarraco, damit die Untersuchung ihren Gang nimmt.« Er tat, als sähe er Faustus’ Erbleichen nicht. »In Rom gibt es ein Sprichwort: Wer im Senat den Kläger vertritt, braucht eine blütenweiße Toga, oder ihm und seiner Klage geht es schlecht.« Er wandte sich ab und verschwand in der Baubaracke.
Corellius runzelte die Stirn. Gab es da einen Zusammenhang? Hatte Faustus etwa nur so getan, als ob... Eine falsche Beschuldigung? Warum? Bei der üblichen Folter sollte Salmo Rabirius irgendwie belasten. Schurkerei! Hatte Salmo etwa herausgefunden, wo das Gestohlene verblieben war? Das betraf Faustus! Das gehetzte Umherblicken hatte ihn verraten. Das gab den Dingen eine andere Farbe.