»Wenn du es sagst, Herr... Und dazu hast du eben die Sterne befragt, so wie es nachts ein Kapitän tut?«
Rabirius schmunzelte. »Du bist klug. Ich breche seinetwegen kein Gesetz. Ich überlasse ihn den Göttern. Heute nacht werden sie reden.«
Der Centurio vergaß das Essen. Lydia, inzwischen mit dem Wein zurückgekehrt, stand starr; ihr Blick wanderte angstvoll umher.
»Wie lautet deine Entscheidung? Hilfst du mir?«
Corellius fühlte sich sicherer. Von ihm wurden Lappalien verlangt. Ein Gespräch mit dem Gefangenen bah! Ihn nachts auf dem hoch ummauerten Hof zu lassen lächerlich risikolos! »Wann wünschst du mit Salmo zu sprechen?«
»So rasch es geht.«
»Gestatte, daß ich alles arrangiere, Herr.« Corellius erhob sich und rief den wartenden Marcus herein. »Du führst den Herrn Baumeister zu Salmo und sorgst dafür, daß sie ungestört miteinander reden können. Daß mir keine Klagen kommen! Dein voreiliger Speerwurf hat genug Unheil angerichtet.«
Marcus stammelte eine Entschuldigung.
»Abtreten! Ich darf mich jetzt entfernen, Herr Baumeister!«
Rabirius begleitete den Gast hinaus, erteilte seinen Sklavinnen einige Anweisungen, dann ging auch er. Vor der Villa schloß sich ihm der Legionär an.
Unterwegs versuchte Marcus, den Speerwurf zu rechtfertigen, denn der Architekt war offenkundig zornig auf ihn. Er hatte doch seine Pflicht getan! Faustus am Boden, stöhnend Salmo davonrennend wenn das kein Fluchtversuch war! Der Schlag mußte so stark gewesen sein, daß der Sekretär erst um Hilfe zu schreien vermochte, als der Flüchtling schon weit weg lief. Zum Glück war er, Marcus, ein ausgezeichneter Speerwerfer. -
Die Erklärung verhallte ungehört. In verdrossenem Schweigen erreichten sie Äliacum.
Ein massives Haus am Ortsrand beherbergte das Wachkommando, solange die Sklaven am Aquädukt bauten. Sein Keller diente im Bedarfsfall als Gefängnis.
Marcus richtete den Befehl aus. Der Wächter grüßte den Architekten und führte ihn die Stufen hinab. Er putzte die blakende Lampe und entriegelte die Tür. »Wir sitzen am Haustor, Herr«, sagte er. »Rufe uns notfalls.«
Rabirius würdigte ihn keines Blicks. »Wie geht es dir, Salmo?« fragte er ins Halbdunkel des Kerkers.
»Schlecht«, lautete die Antwort. Ein Stöhnen folgte. »Unser Plan wird wohl kein gutes Ende finden.«
»Vor der Niederlage aufgeben? Zunächst: Ich habe besseres Verbandmaterial als die Binde da! Kümmere dich selbst darum, denn ich muß dir einiges erklären, und unsere Zeit ist knapp.«
»Das ist sie«, bestätigte Salmo bitter.
»Anders als du meinst. Die Nacht wirst du im Freien verbringen. Um das zu erreichen, habe ich den Leuten einigen Unfug erzählt. Den wahren Grund konnte ich ihnen nicht nennen. Laß dich ruhig hinausbringen und erwarte die Dunkelheit. Wir haben einen Viertelmond und obendrein Nebel. Warte, bis du kaum die Hand vor Augen siehst.«
»Und dann?«
»Dann drücke auf diesen roten Knopf!« Aus dem Gewand zog er einen faustgroßen, wie Bronze und Silber schimmernden Zylinder und reichte ihn dem Gefangenen. »Keiner darf das bei dir sehen. Sollte jemand auf die Idee kommen, dich vorher zu durchsuchen, mußt du es gleich tun. Aber nur dann!«
Salmo ließ den Verband sinken, den er um den Oberschenkel wand. »Was ist das?«
»Mein Notsprunggeber. Du kannst dir ja denken, daß unsereins nicht schutzlos in die Vergangenheit reist. Zwar sehen unsere Pläne ein unbemerktes Betreten und Verlassen der Fremdzeit vor, aber es könnte ja etwas Unvorhergesehenes geschehen daß man uns foltern will, beispielsweise. Dann drückt man die Taste. Das Zeitfeld implodiert, alles im Umkreis von zehn Fuß wird ins Jahr 2094 gesaugt. Das darf nur in einer Notsituation geschehen. Die Menschen der Vergangenheit würden aus dem jähen Verschwinden und den zurückgelassenen Geräten Schlüsse ziehen, die den Zeitablauf verändern. Das ist chronologisch riskant, weshalb der Notsprung nur für den schlimmsten Fall reserviert ist. Für dich geht es ums Leben, das ist der schlimmste Fall.«
»Und du?« Salmo schob das Gerät von sich.
»Ich warte bis Montag, exakt drei Uhr, und reise gemäß Plan heim«, sagte Rabirius gelassen. »Ich muß lediglich zwei Tage ohne diese Absicherung auskommen. Ein geringes Risiko.«
In Wirklichkeit war es groß. Aber das würde er dem Fremden nicht sagen. Wie, wenn Salmos Notrücksprung Spuren in die Zeit grub? Die Nebelnacht kaschierte den Effekt zwar... Die unumgängliche Neujustierung des Zeitmaschinenvisiers dauerte lange, erforderte mehrere Chronographien und würde weitere Raum-Zeit-Wellen im All auslösen. Rabirius hielt es für ausgemacht, daß er noch lange im Altertum verbleiben müsse. Wochen, Monate Jahre?
Aber er kam mit der Epoche zu Rande, und soweit es Lydia und Astris betraf, war er sogar zufrieden. Doch Salmo mußte gerettet werden! Das war er ihm schuldig. Zweimal war Salmo durch ihn in Lebensgefahr geraten: erst der Unfall im All, dann der Zwist mit Faustus...
»Sagst du auch die Wahrheit?«
»Du begrenzt mein Wagnis, wenn du den Sprung wirklich ohne Zeugen auslöst. Dann bleibt die Geschichte unberührt.
Zwar werden die Wachen tagelang rätseln, aktenkundig wird eine Blamage niemand machen wollen. Verschwändest du hier im Keller, bliebe der absoluten Unmöglichkeit wegen ein Vermerk in den Annalen und fortan liefe die menschliche Geschichte ein klein wenig anders. Die Folgen wären unabsehbar, Weißt du, was eine Lawine ist? Daß sie mit einem rollenden Kieselstein beginnt? Hältst du bis in die Nacht durch?«
»Ich glaube schon.«
»In meiner Zeit kannst du berichten... und bald sehen wir uns wieder, Salmo.« Er bemühte sich um einen leichten Ton.
Salmo war zuwenig vertraut mit der menschlichen Sprache, um es zu bemerken. Er verbarg den Zylinder in der Mullbinde.
»Bis... später, Pilot!«
Daß sich der Architekt bei Appius Älius, dem einen Duumvir von Äliacum, zu einem Nachtmahl eingeladen hatte, konnte nur den verwundern, der Rabirius genau kannte. Der Beamte ging gern darauf ein, eingedenk der Bedeutung des Römers; er lud der höheren Ehre halber noch den Amtskollegen Caninius dazu und hinterließ bei Oberst Crusius, auch er sei, zurückgekommen, gern gesehen.
Wie hätte er ahnen können, daß der Gast lediglich Zeugen von Gewicht suchte? Würden nur seine Sklavinnen bestätigt haben, daß er die Nacht daheim verbrachte, es gälte wie das Geschwätz gezähmter Elstern. Daß es dem Architekten auch darum ging, Lydia und Astris abzusichern, verstände niemand. Nun aber konnten vornehme Herrschaften bescheinigen, daß die beiden ihren Herrn begleitet und im Sklaventrakt erwartet hatten.
Das Gespräch gewann durch Crusius’ Abwesenheit. Er befand sich noch auf seiner Inspektion und würde anschließend
wohl eher sein Wachgebäude aufsuchen als die zivilen Duumvirn.
Man erörterte die wirtschaftlichen Auswirkungen des entstehenden Aquädukts, das leitete zu den allgemeinen Problemen Hispaniens über. Die Ehefrauen klagten bald über Langeweile und widmeten sich dem süßen Gebäck. Nur Caninius’ Tochter, zurechtgemacht und instruiert, den Architekten zu fesseln, blieb bei den Männern und folgte der Unterhaltung mit großen, verständnisarmen Augen. Ihre Versuche, Rabirius auf ihren gutgewachsenen Körper aufmerksam zu machen, blieben indes erfolglos.
Älius wechselte einen Blick mit seinem Kollegen. »Wir beabsichtigen, eine Brücke über einen Wildbach anderthalb Stunden unterhalb Äliacums zu schlagen. Der Bau wurde von verschiedenen Seiten seit langem gefordert, der technischen Schwierigkeiten wegen aber immer zurückgestellt. Eine Subvention der Provinzialverwaltung ist bewilligt. Würdest du die Leitung übernehmen?«
»Oder befiehlt man dich rasch nach Rom zurück?«
»Meine Versetzung enthält keinen bindenden Termin, Herr Caninius. Wollt ihr nicht lieber Tribun Crusius beauftragen?«