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Chefpilot Pohlmann wandte den Kopf zu ihr und nickte ebenfalls. Er war das Gegenteil des immer fröhlichen und oft frivolen Andresen, ein ernster, sachlicher, manchmal kalter Mensch, der nur sein Flugzeug kannte und als Pilot den besten Ruf genoß. Er war Ende der Vierzig, der nur sein Flugzeug kannte und als Pilot den besten Ruf genoß. Er war Ende der Vierzig, hatte ergraute Schläfen und blaue, fast graue Augen, die selten aus einer Freude heraus leuchteten, sondern immer blickten, als spähten sie durch ein Zielfernrohr.

«Etwas Neues?«fragte er und wandte sich dann sofort wieder den Instrumenten zu. Noch flogen sie auf dem Radarstrahl, aber das Unwetter draußen hatte zugenommen, die Maschine schwankte stärker, und wenn Andresen das Barometer ansah, blickte er gleich wieder weg, um sich nicht zu beunruhigen. So dusselig konnte kein Wetter sein, wie das Instrument es anzeigte.

«Nichts. Sie schlafen alle. Bis auf einen Inder. «Bettina setzte sich auf den Klappsitz und strich die kurzen, mittelblonden Haare aus der Stirn.»Der Mann macht mich nervös.«

«Ein Inder?«Andresen lachte.»Das ist was Neues. Inder sind sonst geborene Gentlemen. Was hat er getan, Süßerli? Dir in den Popo gekniffen?«

«Du bist unmöglich, Paul. «Chefpilot Pohlmann korrigierte die Flugbahn. Andresen verzog das Gesicht. Der steife Werner, dachte er. Wo andere lachen, säuft er Essig. Und dabei hat er, wenn man's glauben darf, drei Kinder zu Hause in Hamburg. Es wird ein ewiges Rätsel bleiben, wie er das fertiggebracht hat bei seiner Sturheit.

«Also nicht Popo«, lachte Andresen.»Was sonst?«

«Er sagt, ich solle beten.«

«O Himmel! Ist er von 'ner Sekte?«

«Er sagt, heute sei der 19. Mai, und wir liegen auf der Handflä-che des Schicksals.«

«Ein lieber kleiner Somnambule! Der Mann hat schlecht geträumt. Zuviel gegessen, voller Magen, keine Verdauung. Ich kenne das. Du, da habe ich einmal geträumt, ich liege auf einer Wiese, habe nichts an, gar nichts, verdammt, schlafe ein, und da kommt doch eine Kuh über die Wiese und.«

«Halt endlich den Mund!«sagte Chefpilot Pohlmann hart. Er drehte sich nach Bettina um, die wie ein verschüchtertes Hündchen auf dem Klappsitz hockte, die gefalteten Hände im Schoß. In ihren Augen erkannte er die leise Angst, die sie in sich bezwang und nicht wahrhaben wollte.»Was hat er noch gesagt, der Inder?«

«Wir entgingen dem Schicksal nicht.«

«Sag ich doch… keine Verdauung!«rief Andresen.

«Kümmere dich um die Flugeinweisung!«Chefpilot Pohlmann erhob sich von seinem Sitz und legte den Arm um Bettina. Er spürte, wie sie zitterte, und nickte ihr ermutigend zu.»Ich werde mich mit dem Knaben mal unterhalten«, sagte er.»Ich habe da schon die tollsten Dinge erlebt. Bleib solange bei Paul, Betti. Und wenn er schweinigelt, hau ihm eine runter!«

Werner Pohlmann kam bis zur eisernen Tür der Kanzel, da geschah es.

Nur ein Schlag war es, ein helles Krachen, das den Motorenlärm übertönte. Die Maschine schüttelte sich wie ein Hund, der aus dem Wasser kommt. Die Metallwände schienen zu singen, sekundenlang nur, mit einer hellen, durchdringenden Falsettstimme; wie ein Frieren war es, das über den langen stählernen Leib glitt. Und wenn es möglich gewesen wäre — das Flugzeug hätte eine Gänsehaut bekommen. Dann war alles wieder vorbei, die Motoren brummten, das Flugzeug lag gerade in der Luft, die Düsen arbeiteten normal… nur die Instrumente versagten: Alle Zeiger, mit Ausnahme des verrückten Barometers, klappten auf Null, das Licht verlosch, um sie herum war es so finster wie draußen in der stürmischen, tobenden Nacht. Und nun, in der völligen Dunkelheit, sahen sie auch das zuckende Leuchten über und unter ihnen, die phosphoreszierenden

Streifen, die aufblitzten und wieder verlöschten.

«O Scheiße!«sagte Andresen in die Dunkelheit hinein. Man hörte ihn hantieren und an Hebeln knacken.»Die gesamte innerelektrische Anlage ist im Eimer! Das war ein Blitzschlag, Werner! Die Funkanlage ist stumm! Und auch das Notaggregat hat's erwischt. Betti, mein Süßes, du mußt deinen Gästen klarmachen, daß es zum Frühstück nur Saft gibt.«

Werner Pohlmann stand vor den dunklen, toten Armaturen und hatte die Lippen zusammengepreßt. Auch der Radarschirm war ausgefallen. Der zuckende, glitzernde Finger war weg. Richtungslos, ohne Orientierung in der Nacht, flog die große Maschine durch die Gewitterfront.

«Was nun?«fragte Bettina leise hinter ihm.»Was passiert nun, Werner?«

Andresen tastete sich näher.»Radar auch weg!«stellte er fest.»O verfluchter Mist! Jetzt schwimmen wir in den Wolken wie ein Paddelboot im Ozean! Willst du runter, Werner?«

Pohlmann schüttelte den Kopf und setzte sich wieder in seinen Pilotensessel. Er nahm das Steuer in beide Hände und starrte hinaus in die zuckenden Blitze.»Ich gehe auf Höhe«, sagte er gepreßt, und schwenkte ab nach Nordosten.»Ich muß nach Gefühl fliegen. Wohin wir auch kommen, das ist gleichgültig. Sobald es hell wird, kann ich auf Sicht gehen. Ob Elbrus oder Kaukasus oder Wüste — irgendwo wird eine Landung möglich sein! Nur in der Nacht nicht! Bettina.«

«Werner.?«Ihre Stimme klang ganz klein, fast kindlich.

«Sieh nach, ob die Passagiere was gemerkt haben. Beruhige sie. Paul wird unterdessen versuchen, die elektrische Anlage in Gang zu bringen.«

«Du Optimist! Wenn ein Blitz dir den Hintern aufreißt, hilft kein Chirurg mehr! Aber versuchen wir es.«

Mit etwas steifen Beinen verließ Bettina die Kanzel und betrat den langen Passagierraum.

Niemand hatte den Blitzschlag bemerkt. Die dreiundvierzig Rei-senden schliefen. Nur der Inder ganz hinten machte sich bemerkbar, als Bettina an ihm vorbeiging. Durch den Stromausfall war auch seine Leselampe erloschen.

«Haben Sie Angst, Miß Bettina?«fragte er leise.

«Nein, Sir. Warum? Ein kleiner plötzlicher Stromausfall. Er ist gleich repariert.«

«Ich weiß. «Bettina wußte, daß der Inder jetzt wieder lächelte. Sein Gesicht lag in der Schwärze der Dunkelheit.»Es ist gut, daß Sie keine Angst haben. Die ängstlichen Menschen sterben schrecklich. Dabei ist Sterben so leicht.«

Bettina wandte sich ab und rannte in ihre Koje. Und plötzlich hatte sie Angst, wahnsinnige Angst. Sie faltete die Hände und lehnte den Kopf an die glatte Kunststoffwand der eingebauten Küche.

Mutter, dachte sie. O Mutter, wenn mir etwas passiert. Immer warst du dagegen, daß ich Stewardeß werde, und bei jedem Absturz irgendwo in der Welt hast du mich angefleht, wegzugehen und einen anderen Beruf anzunehmen.

Ist es nun soweit? Ist das unser letzter Flug? Stürzen wir ab? Zerbrechen wir irgendwo dort unten bei einer Notlandung? Zerschellen wir an einem Felsen, der plötzlich vor uns auftaucht aus der Nacht?

O Mutter! Ich habe Angst!

Sie wurde auf ihrem Stuhl zurückgedrückt, schwankte und klammerte sich an der Tischkante fest.

Chefpilot Pohlmann zog die Maschine steil nach oben. In achttausend Meter Höhe durchbrach er das Gewitter, und plötzlich war ein Sternenhimmel über ihnen, so ruhig und herrlich, daß sich Ergriffenheit wie ein Ring um das zuckende Herz legte.

Wir fliegen in den Himmel, dachte Bettina. Noch einmal sehen wir die Wunder Gottes, und dann… dann.

Der 19. Mai.

Wie sagte der geheimnisvolle Inder: Man kann seinem Schicksal nicht davonrennen. Es läuft einem nach.

Wladimir Mironowitsch Bubnow saß in seinem Radarkontrollturm und kaute Sonnenblumenkerne. Ein langweiliger Dienst war's, so herumzusitzen, auf die flimmernden Radarfinger zu sehen und zu kontrollieren, wer da in der nächtlichen Luft herumschwirrte und die Nachtruhe des guten, sanften Bubnow belästigte. Er hatte eine Liste der anfliegenden Verkehrsmaschinen vor sich, war über ein Sprechfunkgerät und sechs Telefone mit allen anderen Kontrollstellen verbunden, vor allem mit der Flugleitung- mit diesen vornehmen Genossen, die nur das Allernötigste sprachen und so taten, als sei der liebe Bubnow ein Stückchen vertrockneter Mist.