Grant ließ den Kopf hängen und schwieg.
McAllister schien keinerlei Notiz davon zu nehmen. »Kein Grund für Selbstmitleid«, höhnte er. »Gäbe es Ihre Extravaganzen nicht, wären wir Ihnen wohl nie auf die Spur gekommen. Eine Villa in Hyannis Port, Segeljacht, Sammlung sündhaft teurer chinesischer Vasen, um nur einige Besitztümer aus Ihrem reichhaltigen Fundus zu nennen. Schreit geradezu nach Observierung, finden Sie nicht auch? Dazu Ihre … Ihre abartigen Neigungen, Deputy Director – irgendwann ist das Maß voll.«
»Was wollen Sie?«
»Namen, Sie Landesverräter, Namen.« Zum ersten Mal während des Gespräches wandte sich der CIA-Agent seinem am Boden zerstörten Gesprächspartner zu. Rote Locken, Sommersprossen, hellhäutig!, fuhr es Letzterem durch den Sinn, als sich ihre Blicke trafen. So und nicht anders stellt man sich einen Bullen mit irischer Abstammung vor. »Für wen arbeiten Sie, Mister Grant?«
»Für den gleichen Laden wie Sie.«
»Mir ist nicht nach Scherzen zumute, du dreckiger Arschficker!«, presste McAllister wutentbrannt hervor. »Zum letzten Mal, Grant: Für wen arbeiten Sie?«
Auf dem besten Weg, seinem Nebenmann an die Gurgel zu gehen, holte Grant mit der Linken aus. Aber ein Blick auf die beiden CIA-Männer, bei denen es sich offenbar um seine Verfolger handelte, erstickte seine Wut jedoch im Keim. An das Geländer gelehnt, welches das Denkmal des Preußenkönigs und Siegers über Napoleon umgab, hätten sie nicht gezögert, ihn über den Haufen zu schießen. Ein Wink von McAllister hätte genügt, um Grants Schicksal zu besiegeln. Das wurde ihm schlagartig klar. »Ob Sie mir nun glauben oder nicht – keine Ahnung.«
»Ist im Moment auch nicht so wichtig«, ließ der SOD-Agent mit gönnerhaftem Grinsen verlauten und nickte seinen Kollegen, welche die Szene aus einer Distanz von etwa 20 Metern verfolgten, mit siegesgewisser Miene zu. »Mein Auftrag lautet, das Bernsteinzimmer in meinen Besitz zu bringen.«
»Meiner auch.«
»Kleiner Witzbold, was?«, zischte McAllister, nur mit Mühe in der Lage, sein cholerisches Temperament zu zügeln. »Nun gut: Meinen Anweisungen zufolge sind Sie, Mister Grant, dazu auserkoren, den Lockvogel zu spielen. Wird Ihnen bestimmt nicht schwerfallen.« Der CIA-Agent ließ ein hämisches Lachen erklingen. »Was nichts anderes heißt, als dass Sie unsere freundschaftliche Unterredung tunlichst vergessen, im Kempinski absteigen und auf den Mann Ihrer Träume warten werden.«
»Und dann?«
McAllister bleckte die Zähne. »Wenn es so weit ist, werden Sie Sorge tragen, dass er Ihnen sämtliche das Bernsteinzimmer betreffenden Informationen ausplaudert. Mit Betonung auf sämtliche, Mister Grant. Genaue Lage des Verstecks, Umfang und Wert der von den Nazis geraubten Preziosen, eventuell installierte Sprengfallen – Sie wissen schon, was ich meine.«
»Wozu das Ganze, wenn man fragen darf? Soweit ich weiß, stammt das alles aus Sankt Petersburg.«
»Merkwürdig, dass ausgerechnet Sie diese Frage stellen, Grant.« McAllister stand auf und bedeutete seinen beiden Gorillas, sich um Grant zu kümmern. »Sagen wir’s einmal so, Deputy Director: In Zeiten wie diesen sollte man jede Gelegenheit nutzen, um den Russen in die Suppe zu spucken. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?«
»Deutlicher geht es nicht«, stimmte Grant zu, einigermaßen klar im Kopf. »Eine Frage hätte ich freilich noch.«
»Was geschehen wird, wenn Sie mit gezinkten Karten spielen, meinen Sie?«
»Genau.«
»Aber, aber, Mister Grant«, entrüstete sich McAllister in scheinheiligem Ton. »Als stellvertretender Direktor unserer Firma müssten Sie eigentlich wissen, dass wir alles daransetzen werden, damit Sie uns nicht mehr durch die Lappen gehen. Ein Rat unter Freunden: Versuchen Sie’s gar nicht erst.«
»Gesetzt den Fall, alles spielt sich genauso ab, wie Sie es geplant haben – was dann?« Beim Gedanken an die nächsten Stunden brach Grant der kalte Schweiß aus, und es fiel ihm schwer, sich weiter auf das Gespräch zu konzentrieren. »Was … was geschieht dann mit mir?«
»Darum, mein lieber Mister Grant«, erwiderte McAllister, steckte die Hände in die Hosentaschen und trottete gemächlich von dannen, »habe ich mir noch keinerlei Gedanken gemacht. Wie heißt es im Volksmund doch so schön: Am Ende kriegt jeder, was er verdient.«
26
52° 32’ N, 14° 23’ O, an Bord einer Iljuschin vom Typ Il-12T | 11.50 h Berliner Zeit
»Noch fünf Minuten bis zum Absprung«, kündigte die Stimme aus dem Bordlautsprecher an, im Frachtraum, wo Slavín gerade seine Ausrüstung überprüfte, so gut wie nicht zu verstehen. Aber das war dem Mann, auf den sein Auftraggeber sämtliche Hoffnungen setzte, egal. Wassili Danilowitsch Slavín musste schmunzeln. Dieser Besuchow war wirklich nicht mehr ganz richtig im Kopf. Er war hinter dem Bernsteinzimmer her wie der Teufel hinter der armen Seele, würde nichts unversucht lassen, das Objekt seiner Begierde aufzustöbern.
Die Frage war nur, warum. Dass sich Besuchow eigentlich nur für Huren, Wodka und Spielkasinos interessierte, war landläufig bekannt, bis hinein in die Geheimdienstkreise, wo die Dossiers, die über ihn angelegt worden waren, inzwischen mehrere Stapel umfassten. Slavín geriet ins Grübeln. Dieser Hurensohn hatte mehr Dreck am Stecken als sämtliche sowjetischen Unterweltgrößen, Schieber und Schwarzhändler zusammen. Ein schier endloses Sündenregister, das ausreichte, um ihn lebenslänglich in den Gulag zu befördern oder ihn kurzerhand an die Wand zu stellen. Trotz alledem schien er so etwas wie einen Freibrief zu besitzen, was sich Slavín lediglich dadurch erklären konnte, dass er über beste Verbindungen, womöglich sogar bis hinauf ins Politbüro, verfügte und diese auch weidlich auszunützen pflegte. Jedenfalls gut zu wissen, stellte Slavín mit Blick auf seine Fallschirmjägerausrüstung fest, die er während des Fluges von Sotschi nach Kiew und von dort aus weiter nach Brest mindestens ein halbes Dutzend Mal überprüft hatte, für wen der alte Hurenbock die Kohlen aus dem Feuer holen sollte.
Besuchow und Berija unter einer Decke – welch ein ungleiches Paar.
»Drei Minuten noch«, gab ihm der Kopilot der Iljuschin Il-12T per Handzeichen zu verstehen, öffnete die Absprungluke und drückte ihm seine Lederkappe in die Hand. Wie sehr ihn Slavíns Anblick irritierte, war dem untersetzten Blondschopf aus dem Baltikum deutlich anzumerken, wenngleich er sich Mühe gab, dies vor ihm zu verbergen. Einen Mann mit seinem Aussehen, noch dazu einen mit Prothese, bekam man schließlich nicht alle Tage zu Gesicht, von der Frage nach dem Woher und Wohin, die den krummbeinigen Litauer natürlich brennend interessierte, einmal abgesehen.
Slavín setzte die Kappe auf und nickte.
»Na, dann viel Glück«, brüllte der Kopilot, begleitet von den Propellergeräuschen, die durch die offene Luke ins Innere der Frachtmaschine drangen. Die Iljuschin befand sich im Sinkflug, inmitten eines bleifarbenen Wolkenschleiers, der anscheinend kein Ende nehmen wollte. Die Luft war eiskalt, ließ ihn buchstäblich erstarren. »Sieht so aus, als hätten Sie es nötig.«
Ein Klugscheißer, der seine Nase in anderer Leute Angelegenheiten steckte. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Slavín tat so, als habe er die Bemerkung überhört. Doch der Kopilot, neugierig wie ein sibirisches Waschweib, ließ nicht locker, trat an seine Seite und tat genau das, was er besser hätte bleiben lassen sollen.