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»Einen Augenblick, so eilig haben wir es nun auch wieder nicht«, dämpfte Slavín den Eifer seines Nebenmannes, warf einen Blick aus dem Fenster und zog ein mit Antenne, diversen Schaltern und Blinklampen versehenes Gerät aus der Tasche, nur knapp doppelt so groß wie eine Streichholzschachtel, jedoch ungleich effektiver. »Ab geht die Post.«

»Nichts lieber als das«, antwortete der Georgier, fuhr die Triebwerke hoch und beschleunigte auf über 200 Stundenkilometer, wobei die heftige Detonation, welche die Segeljacht unmittelbar nach dem Start der Berijew R-1 in tausend Stücke riss, bei ihm allenfalls für ein müdes Grinsen sorgte. »Damit du rechtzeitig wieder zu Hause bist.«

»Dürfte nicht allzu schwierig …«, begann Slavín, brach allerdings mitten im Satz ab und erstarrte.

»An Ihrer Stelle, Towarischtsch, wäre ich mir da nicht so sicher.« Die Mündung der Tokarew, die Slavín an seiner Schläfe spürte, sprach eine klare Sprache, zu eindeutig, als dass er Gegenwehr geleistet hätte. Er war überrumpelt worden, kaum imstande, klar zu denken. »Es sei denn, Sie ziehen es vor, die Realität zu ignorieren. Wovon ich Ihnen allerdings dringend abraten würde. Wenn ich Sie wäre, Slavín, würde ich mich fragen, ob es nicht besser wäre zu kooperieren.«

»Kooperieren? Und wieso?«

»Weil Sie am Ende sind, Genosse Geldeintreiber – auf die Gefahr hin, Ihnen die letzten Illusionen rauben zu müssen.«

In Slavíns Gehirn begann es fieberhaft zu arbeiten, und er sah den Piloten aus dem Augenwinkel an. Zu seiner Verwunderung, die alsbald in ohnmächtigen Zorn umschlug, tat Sasa Abuladse jedoch so, als sei die Tatsache, dass er mit einer Tokarew bedroht wurde, die normalste Sache der Welt. Slavín wurde von unbändigem Zorn erfasst, begann zu begreifen, dass er in eine Falle getappt war. »Wie viel?«, presste er zähneknirschend hervor, absolut sicher, die Stimme des Unbekannten bislang nicht gehört zu haben. »Schießen Sie los.«

»Typisch für Sie, absolut typisch«, fuhr Kuragin den Mann, hinter dem er seit geraumer Zeit her war, voller Verachtung an. »Denkt, mit Geld ließe sich alles regeln. Ich fürchte, da sind Sie schief gewickelt.« Kuragin verstärkte den Druck auf Slavíns Schläfe, rückte auf Tuchfühlung an ihn heran und sagte: »Gestatten: Kuragin – Juri Andrejewitsch Kuragin, Oberstleutnant des MGB. Unter anderem zuständig für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

»Nicht im Geringsten.«

»Dachte ich mir. Um meine Zeit nicht unnötig zu vergeuden, einstweilen nur so vieclass="underline" Es hat uns erhebliche Mühe gekostet, Ihnen und Ihresgleichen auf die Spur zu kommen. Etliche Jahre, um es genau zu sagen. Und auch nur dadurch, indem es dem MGB gelungen ist, Ihr Netzwerk, das sich nahezu über ganz Europa erstreckt, mithilfe von Informanten zu infiltrieren. Kopf hoch, Towarischtsch! Ein Patzer wie der, welcher Ihnen am heutigen Tage unterlaufen ist, kommt schließlich in den besten Familien vor.«

»Sie sollten Märchenerzähler werden, Kuragin – oder im Russischen Staatszirkus als Clown anheuern.«

»Nach Ihnen, Slavín – falls Sie nichts dagegen haben«, fuhr Kuragin ungerührt fort und spöttelte: »Wer anders als Sie wäre so dumm, auf eine derartige Finte hereinzufallen? Nebenbei – der Mann an Ihrer Seite, mein Duzfreund Sasa, arbeitet seit Jahren für den MGB. Ein Glücksfall für uns, dass Sie so weitsichtig waren, gerade ihn um Hilfe zu bitten.«

Der Blick, den Slavín dem Piloten zuwarf, sprach Bände, wovon sich der Leutnant und Informant des MGB, dem die Zufriedenheit ins unrasierte Gesicht geschrieben stand, aber nicht im Geringsten beeindruckt zeigte.

»Ich sehe, Sie beginnen zu begreifen«, sprach Kuragin mit tonloser Stimme, »das erspart uns eine Menge Zeit. Woher ich wissen will, weshalb Sie sich Hals über Kopf nach Berlin begeben haben? Ganz einfach. Mir kam der Zufall zu Hilfe, so etwas soll es ja ab und zu noch geben. Dass Sie im Begriff waren, uns mit Ihrer Anwesenheit zu beehren, war mir dank Sasas Tipp natürlich nicht verborgen geblieben, die Frage war nur, weshalb.«

»Fantasie haben Sie ja, das muss Ihnen der Neid lassen.«

»Und jede Menge Informationen, Slavín –«, konterte Kuragin, dem das Gespräch unbändige Freude zu bereiten schien, »oder wollen Sie etwa bestreiten, dass das Dokument, das sich in Ihrem Jackett befindet, rein zufällig dorthin gelangt ist? Jetzt machen Sie mal einen Punkt, Genosse, für so dumm werden Sie mich doch wohl hoffentlich nicht halten. Ihr Pech, dass Sie gegenüber meinem Freund Sasa, dessen Nachricht mich vor gerade einmal zwei Stunden erreicht hat, im Gegensatz zu Ihren sonstigen Gepflogenheiten ungewöhnlich redselig waren. Mal ehrlich, Slavín – finden Sie nicht auch, dass die Suche nach dem Bernsteinzimmer eine Nummer zu groß für Sie ist?«

»Das Bernsteinzimmer, was Sie nicht sagen.«

»Machen wir uns nichts vor, Slavín – Sie stehen mit dem Rücken zur Wand. Jede Wette, dass Sie kooperieren werden.«

»Wenn Sie sich da mal nicht täuschen, Kuragin.«

»Wohl kaum. Sie werden mir jetzt die Karte aushändigen, in deren Besitz Sie mithilfe Ihres alten Weggefährten aus DDR-Tagen …«

»Woher wollen Sie das wissen, Kuragin?«

»… gekommen sind. Woher, fragen Sie? Offen gestanden, Slavín, Sie enttäuschen mich. Erst plaudern Sie alles brühwarm an Sasa aus, und dann bekommen Sie nicht einmal mit, dass die beiden Telefonate mit Ihrem Stasi-Kumpel vom MGB abgehört werden. Ich muss schon sagen, Genosse, ich hätte Sie wirklich für gewiefter gehalten.«

»Scher dich zum Teufel, Hurensohn!«

»Nicht, bevor Sie mir verraten haben, für wen Sie arbeiten, Slavín.«

»Aus mir kriegen Sie nichts raus, kapiert?«

»Für Besuchow, stimmt’s?«

»Wenn Sie alles so genau wissen, wieso fragen Sie mich dann überhaupt?«

»Vielleicht, weil ich gerne aus Ihrem Munde hören würde, dass die Verbindungen von Besuchow bis nach Moskau reichen. Nach allem, was man so hört, sogar bis in den Kreml.«

»Finden Sie nicht, das sollte Ihnen zu denken geben?«, trotzte Slavín, wild entschlossen, seine Haut so teuer wie möglich zu verkaufen. »Oder legen Sie es darauf an, mit Berija persönlich aneinanderzugeraten?«

»Besten Dank, Slavín«, entgegnete Kuragin lapidar, während die Berijew auf eine Gewitterfront zuflog. »Genau das wollte ich hören.« Aus ihrem Zentrum, in etwa auf halbem Weg zwischen Berlin und der Oder, schossen die Blitze gleich bündelweise hervor, und je näher das Flugboot dem Unwetter kam, umso dichter die Mixtur aus Graupel und scharfkantigen Hagelkörnern, die von außen gegen das Cockpitfenster prasselten. »Jetzt ist mir einiges klar.«

»Wenn wir krepieren, dann alle, oder sehe ich das falsch?«

Kuragin brach in schallendes Gelächter aus, wurde jedoch umgehend wieder ernst. »Höchste Zeit für eine kurze Nachricht nach Odessa, finden Sie nicht auch?«

»Wüsste nicht, wozu das …«

Auf einen Schlag wie umgewandelt, drückte Kuragin seinem Vordermann die Waffe so heftig gegen die Schläfe, dass Slavín das Wort im Mund stecken blieb. »Jetzt hören Sie mir mal gut zu, Einauge –«, flüsterte er, »Sie werden schön brav sein, über Funk unsere Position durchgeben und so tun, als ob wir kurz vor dem Abstürzen sind. Frei nach dem Motto: je dramatischer, desto besser. Auf geht’s, oder brauchen Sie eine Extraeinladung?«

»Fick dich selbst, du …«

»Sasa, das Mikro«, befahl Kuragin, packte Slavín an den Haaren und riss sein Gesicht so weit nach hinten, dass er ihm direkt in die Augen sehen konnte. »Ich zähle bis fünf«, fauchte er und stieß seinem Widersacher den Lauf der Tokarew so tief in den Mund, dass dieser verzweifelt zu würgen begann. »Eins, zwei, drei …«

Krebsrot im Gesicht, schnellte Slavíns Prothese im allerletzten Moment nach oben, worauf ihn Kuragin in den Würgegriff nahm, dem Piloten seine Waffe zuwarf und von diesem das Mikrofon in die Hand gedrückt bekam. »Wie war das doch gleich mit dem Märchenerzähler?«, spottete er. »Wer weiß, vielleicht kann ich noch von Ihnen lernen!«