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»Was ist nun, Vince? Bleibst du, oder gehst du?«

Er runzelte die Stirn. Seine Augen huschten hin und her, von meinem Gesicht zu dem Röhrchen und wieder zurück.

Und dann trat er von der Leiter zurück.

»So ist es brav, Vince.«

Ich stieg eine Sprosse höher.

Er war so weit zurückgewichen, dass ich nicht mehr sehen konnte, wo er war. Wahrscheinlich hatte er vor, mich oben zu überrumpeln. Also stellte ich mich darauf ein, den Kopf einzuziehen und zur Seite zu schwingen.

Letzte Sprosse.

Und jetzt sah ich ihn. Er wollte mir nichts. Vince zitterte vor Panik, ein in die Enge getriebenes Tier, das sich in die Dunkel-heit des Laufganges verkrochen hatte. Ich konnte seine Augen nicht erkennen, aber ich sah, dass sein Körper bebte.

»Okay, Vince«, sagte ich. »Ich komme hoch.«

Ich trat auf die Gitterplattform. Jetzt stand ich direkt oben an der Leiter, umgeben von dröhnenden Maschinen. Keine zwanzig Schritte entfernt sah ich die beiden Stahltanks für die Sprinkleranlage. Ich blickte nach unten und sah Ricky und Julia, die zu mir hochschauten. Ich fragte mich, ob ihnen klar war, wie nah ich meinem Ziel war.

Ich blickte wieder zurück zu Vince und sah gerade noch, wie er von einem Kasten in der Ecke eine halb durchsichtige, weiße Plastikplane zog. Er wickelte sie um sich wie einen Schild und griff dann mit einem gutturalen Schrei an. Ich stand am Rand der Leiter. Mir blieb keine Zeit auszuweichen. Ich drehte mich bloß seitlich und stemmte mich gegen ein gut einen Meter dickes Rohr, um die Wucht des Aufpralls abzufangen.

Vince krachte in mich hinein.

Das Röhrchen flog mir aus der Hand, zersplitterte auf dem Gitterrost. Der Kanister wurde mir aus der anderen Hand geschlagen, rollte über den Laufsteg und blieb genau am Rand liegen. Ein paar Zentimeter mehr, und er würde hinunterfallen. Ich bewegte mich auf ihn zu.

Noch immer durch die Plane geschützt, krachte Vince wieder in mich hinein. Ich wurde zurück gegen das Rohr geschleudert. Mein Kopf knallte gegen Stahl. Ich rutschte auf der braunen Brühe aus, die jetzt durch die Maschen des Gitterrostes tropfte, konnte gerade noch das Gleichgewicht halten. Vince warf sich wieder gegen mich.

In seiner Panik merkte er gar nicht, dass ich meine Waffe verloren hatte. Oder vielleicht konnte er es durch die Plane nicht sehen. Er warf sich einfach immer weiter mit dem ganzen Körper gegen mich, und schließlich rutschte ich wieder auf der Brühe aus und fiel auf die Knie. Sogleich kroch ich auf den Kanister zu, der rund drei Meter entfernt lag. Das sonderbare Verhalten ließ Vince einen Augenblick stutzen; er zog sich die Plane vom Gesicht, sah den Kanister und hechtete darauf zu, katapultierte seinen ganzen Körper nach vorn durch die Luft.

Aber er kam zu spät. Ich hatte den Kanister schon in der Hand und riss ihn just in dem Moment weg, als Vince landete, mit der Plane, genau an der Stelle, wo der Kanister gelegen hatte. Sein Kopf schlug fest auf der Kante des Laufstegs auf. Er war kurz benommen, schüttelte den Kopf, um ihn wieder klar zu bekommen.

Und ich packte die Plane am Rand und riss sie mit aller Kraft hoch.

Vince schrie und rollte über den Rand.

Ich sah, wie er auf dem Boden aufschlug. Sein Körper rührte sich nicht mehr. Dann löste sich der Schwarm von ihm, schwebte in die Luft wie ein Geist. Der Geist gesellte sich zu Ricky und Julia, die zu mir hochschauten. Dann drehten sie sich um und eilten durch die Werkshalle davon, sprangen im Laufen über die Krakenarme. Es war ihnen anzusehen, dass sie es sehr eilig hatten. Man hätte sogar meinen können, sie hätten Angst.

Gut, dachte ich.

Ich rappelte mich hoch und ging zu den Sprinklertanks. Die Bedienungsanleitung stand auf dem unteren Tank. Die Ventile waren leicht zu unterscheiden. Ich drehte den Zufluss auf, schraubte den Einfülldeckel ab, wartete, bis der Druck des Stickstoffs zischend entwichen war, und schüttete dann den Inhalt des Phagen-Kanisters hinein. Ich hörte, wie er in den Tank gluckerte. Dann schraubte ich den Deckel zu, drehte das Stickstoffventil wieder auf, um das System erneut unter Druck zu setzen.

Und fertig war ich.

Ich holte tief Luft.

Ich würde doch noch gewinnen.

Ich fuhr mit dem Aufzug nach unten und fühlte mich zum ersten Mal an dem Tag gut.

7. Tag, 8.12 Uhr

Sie standen alle zusammengedrängt auf der anderen Seite der Halle - Julia, Ricky und jetzt auch Bobby. Auch Vince war da, etwas im Hintergrund. Doch ich konnte ab und zu durch ihn hindurchsehen, denn sein Schwarm war leicht transparent. Ich fragte mich, wer von den anderen jetzt auch nur noch ein Schwarm war. Das war nicht eindeutig zu sagen. Aber es spielte ohnehin keine Rolle mehr.

Sie standen vor einer Reihe Computermonitore, auf denen jeder Parameter des Herstellungsprozesses zu erkennen war: Temperaturkurven, Produktionsmengen, Gott weiß was sonst noch alles. Aber sie hatten den Monitoren den Rücken zugedreht. Sie sahen mich an.

Ich ging ruhig auf sie zu, gemessenen Schritts. Ich hatte keine Eile. Im Gegenteil. Es dauerte bestimmt zwei volle Minuten, bis ich die Halle durchquert hatte und bei ihnen war. Sie betrachteten mich zunächst verwundert und dann mit zunehmend unverhohlener Belustigung.

»Na, Jack«, sagte Julia schließlich. »Wie läuft's denn heute so bei dir?«

»Nicht schlecht«, erwiderte ich. »Es geht bergauf.«

»Du wirkst ja sehr zuversichtlich.«

Ich zuckte die Achseln.

»Hast du alles unter Kontrolle?«, fragte Julia.

Ich zuckte wieder die Achseln.

»Übrigens, wo ist Mae?«

»Ich weiß nicht. Wieso?«

»Bobby hat sie gesucht. Er kann sie nirgends finden.«

»Ich hab keine Ahnung«, sagte ich. »Wieso habt ihr sie gesucht?«

»Wir dachten, wir sollten alle zusammen sein«, sagte Julia, »wenn wir die Sache hier zu Ende bringen.«

»Aha«, sagte ich. »Und das passiert jetzt? Das große Finale?«

Sie nickte bedächtig. »Ja, Jack. Ganz genau.«

Ich konnte es nicht riskieren, auf meine Uhr zu blicken, ich musste einfach schätzen, wie viel Zeit vergangen war. Ich vermutete, etwa drei oder vier Minuten. Ich sagte: »Und, was schwebt dir so vor?«

Julia fing an, auf und ab zu gehen. »Tja, Jack, ich bin sehr enttäuscht von dir. Schwer enttäuscht. Du weißt, wie viel du mir bedeutest. Ich hätte nie gewollt, dass dir etwas zustößt. Aber du bekämpfst uns, Jack. Und du wirst uns weiter bekämpfen. Und das können wir nicht hinnehmen.«

»Verstehe«, sagte ich.

»Das geht einfach nicht, Jack.«

Ich griff in meine Tasche und holte ein Plastikfeuerzeug heraus. Falls Julia oder die anderen das mitbekamen, so ließen sie es sich jedenfalls nicht anmerken.

Julia schritt weiter auf und ab. »Jack, du bringst mich in eine schwierige Lage.«

»Wie das?«

»Du hattest das Privileg, hier die Geburt von etwas wahrhaft Neuem zu erleben. Etwas Neuem und Wunderbarem. Aber du bringst kein Verständnis auf, Jack.«

»Nein, stimmt.«

»Eine Geburt ist schmerzhaft.«

»Der Tod auch«, erwiderte ich.

Sie ging weiter auf und ab. »Ja«, sagte sie. »Der Tod auch.« Sie blickte mich finster an.

»Ist was?«

»Wo ist Mae?«, fragte sie erneut.

»Ich weiß es nicht. Ich habe nicht die leiseste Ahnung.«

Sie blickte weiter finster. »Wir müssen sie finden, Jack.«

»Das werdet ihr bestimmt.« »Ja, mit Sicherheit.«

»Dann braucht ihr mich ja nicht«, sagte ich. »Macht euren Kram allein. Ich meine, ihr seid die Zukunft, wenn ich mich recht entsinne. Überlegen und unaufhaltsam. Ich bin bloß ein einfacher Mensch.«

Julia ging jetzt um mich herum, betrachtete mich von allen Seiten. Ich sah, dass mein Verhalten sie verunsicherte. Oder sie taxierte mich. Vielleicht hatte ich es übertrieben. War zu weit gegangen. Sie witterte etwas. Sie ahnte etwas. Und das machte mich sehr nervös.