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Wenn sie wieder eingestellt war, dann spürte sie vielleicht beim Klang von Tams Stimme den Schauer der Vorfreude nicht mehr, die plötzliche Schwerelosigkeit, wenn er ihr ein Kompliment machte, die schockierende Vertraulichkeit seiner Hand auf ihrem Leib.

Das war verrückt, was sonst, doch es hatte auch etwas Himmlisches. Sie fragte sich, ob sie da auf einen Schatz gestoßen war, über den die Moderne nicht mehr verfügte, einen archaischen emotionalen Quell, der unter dem rigiden Sexualraster der Familien oder unter den schimpansenartigen Kopulationen der Kuiper-Clans verschüttet lag.

So liebte sich das unregulierte Proletariat vielleicht. Fühlte sich in Afrika und Asien, den Treibhäusern der Seuchen, so die ›Liebe‹ an?

Sie hatte Angst vor diesem Gefühl. Und sie hatte Angst, es könne eines Tages aufhören.

* * *

Gegen Mittag hatte sie fertig gepackt. Yambuku schwieg sich aus. Sie musste vor Ablauf einer Stunde aufbrechen oder sie ging das Risiko ein, die Station erst bei Dunkelheit zu erreichen.

Bei Dieter Franklin, der ihre physische Telemetrie überwachte, hinterließ sie eine kurze Aufforderung für Hayes, sich zu melden. Zum Glück war der Wald heute friedlich, keine Raubtiere im Messbereich, weiße Wolken ritten auf dem Meridian wie herrenlose Boote auf der Strömung.

Sie rief ihre Gesellschaft von sechsbeinigen Robotern zusammen und brach nach Westen auf. Den Pfad hatten Maschinen im Voraus gebahnt, er folgte auf einer Länge von etwa fünfhundert Metern dem Ufer des Copper. In dieser Jahreszeit führte der Fluss wenig Wasser. Es hatte sich von den Böschungen zurückgezogen und hinterließ steinige Furten, bewegungslose, grüne Tümpel und Schlickdünen, auf denen ein paar verwegene Gräser Fuß gefasst hatten. Vollautomatisierte, insektoide Telesensorien folgten ihr wie ein Mückenschwarm, ein paar flogen voraus und sicherten den Weg. Das feine Gesumm der Sensorien ging in einer Kakophonie aus Vogel- und Insektenrufen unter, die für ihre Ohren allesamt gleich klangen, wie Überlandleitungen, die in einer Hitzewelle summten.

Der Außenanzug tunnelte Schweißperlen von der Haut an die Oberfläche der Membran, um Zoe zu kühlen. Unter der Einwirkung der Sonne wurde die Membran weiß. Zoe besah sich die Arme. Sie war so blass wie die reinblütige Tochter einer nordischen Adelsfamilie, aristokratisch weiß.

Sie war kaum einen Kilometer vorangekommen, als Tam Hayes eine Direktverbindung schaltete. Wurde auch Zeit, dachte sie.

»Zoe? Wir hätten gerne, dass du vorläufig Halt machst.«

»Geht nicht«, sagte sie. »Nicht, wenn ich vor Dunkelheit zurück sein will. Du hast den ganzen Morgen mit der IOS geredet. Die Zeit steht nicht still, bloß weil es Kenyon Degrandpre gefällt, euch in Trab zu halten.«

»Darum geht es ja. Man will den Ausflug ausdehnen.«

Man, registrierte sie. Nicht wir. Hayes war dagegen. »Was meinst du mit ausdehnen?«

»Man möchte, dass du kehrtmachst, den Copper auf der mobilen Brücke überquerst und am Ostufer losmarschierst. Telesensorien werden eine Route zur Gräberkolonie auskundschaften und Roboter werden dir den Weg bahnen. In zwei Tagen müsstest du es bis zur Grenze ihres Einzugsbereichs schaffen.«

Was absurd war. »Ich soll Feldarbeit machen? Wir sind doch noch in der Testphase!«

»Auf der IOS ist man der Meinung, dass deine Ausrüstung alle Tests bestanden hat.«

»Der Zeitplan wird um gut einen Monat gekürzt.«

»Jemand muss es sehr eilig haben.«

Sie ahnte, warum. Die Laborinsel war kollabiert und alle anderen isischen Außenposten meldeten Besorgnis erregende Dichtungsdefizite. Ihr Schutzanzug konnte noch so hervorragend funktionieren, ohne eine Basis wie Yambuku war er so nützlich wie ein Regenhut in einem Hurrikan. Bevor man Yambuku evakuieren musste, wollte das Kartell maximalen Nutzen aus ihr schlagen.

Den Copper River in Richtung Vorgebirge überqueren? Tiefer in die Biosphäre vordringen, während Yambuku dem Kollaps entgegenschlitterte? War sie so tapfer?

»Ich persönlich«, sagte Hayes, »bin absolut dagegen. Ich habe zwar nicht die Autorität, die Anweisungen zu ignorieren, aber wir können jederzeit eine Anomalie in deiner Ausrüstung entdecken, die einen sofortigen Rückruf erfordert.«

»Aber der Anzug funktioniert tadellos. Das hast du selbst gesagt.«

»Oh, ich glaube, Kwame Sen wäre durchaus bereit, die eine oder andere Kurve zu korrigieren, wenn wir in Beweisnot kämen.«

Sie überlegte. »Tam, wer hat das angeordnet? Degrandpre?«

»Er war einverstanden, nein, angeordnet hat das dein D&P-Mann — Avrion Theophilus.«

Theo!

Theo würde auf keinen Fall in Kauf nehmen, dass ihr etwas Schlimmes zustieß.

Sie deckelte ihre Zweifel. »Du brauchst Kwame nicht anzustiften. Ich gehe über den Fluss.«

»Zoe? Bist du dir ganz sicher?«

»Ja.«

Nein.

»Na gut… ich schicke dir noch drei Roboter mit Proviant und Ausrüstung. Bis Einbruch der Dunkelheit müssten sie dich eingeholt haben. Und wenn es nach mir geht, kommst du beim ersten Anzeichen eines Defekts sofort zurück. Egal was es ist. Gib mir dein Wort, ich werde das von der IOS absegnen lassen.«

Er fügte hinzu: »Ich werde aufpassen«, wodurch sie sich gleichermaßen gestärkt und geschwächt fühlte, dann unterbrach er die Verbindung.

Zoe starrte über den friedlichen Copper. Die Packroboter bestätigten den neuen Befehlssatz aus Yambuku, indem sie einen Bogen um Zoe machten und mit der verhaltenen Ungeduld von Hunden den Pfad hinunterstrebten und darauf warteten, dass sie ihnen folgte.

* * *

Die Brücke war eine Art Jalousie aus dicken Ästen oder jungen Stämmen, die durch hoch belastbare Monofaserseile aneinander geknüpft waren; sie war hüben wie drüben mit Eisendornen verankert, die tief in den kiesigen Boden getrieben waren. Die Konstruktion war stabil genug, fand Zoe, aber ein Provisorium, das nicht von Dauer war. So mild die Jahreszeiten auf Isis waren, in wenigen Wochen würde der Monsunregen einsetzen und den Copper über die Ufer treten lassen und dieses von Robotern vollbrachte Kunststückchen hinwegspülen und in seine Einzelteile zerlegen.

Die Brücke überquerte den Copper an einer breiten, seichten Stelle, wo man durch die Zwischenräume die glatt gewaschenen Felsen sah und die stillen Tümpel, in denen es zappelte und laichte; die Tiere erinnerten eher an übergroße Kaulquappen als an Fische. Man hätte hier durchwaten können, dachte Zoe, im Grunde war die Brücke überflüssig. Ein paar Packroboter taten genau das, wobei man den Eindruck hatte, dass ihre Stelzbeine besser mit dem Wasser zurechtkamen als mit den schlingernden Querhölzern der Brücke.

Auf der anderen Seite des Flusses war der Pfad weniger ausgeprägt; er war längst nicht so gründlich vorgebahnt worden. Ihrer Statur nach bewegten sich die Roboter sehr leichtfüßig durch die Landschaft; einen Flecken Gras einzuebnen, bedurfte schon großer mechanischer Anstrengungen, und noch mehr, dichtes Unterholz beiseite zu räumen. Hier musste sie ihre Schritte vorsichtiger wählen. Die Membran des Anzugs würde unter gewöhnlichen Belastungen nicht reißen — doch eine Messerklinge mit Druck dahinter, die Klaue eines großen Raubtiers oder ein Sturz aus ein, zwei Metern Höhe — wer weiß?

Probleme mit Messern konnte sie getrost ausschließen. Und was Raubtiere betraf, so gaben die Roboter und insektoiden Sensorien schon Acht. Die Gebirgsausläufer waren jedenfalls kein so einladendes Jagdrevier wie die Savanne, die sich nach Süden und Westen erstreckte. Triraptoren waren hier eher eine Seltenheit, und die kleineren, flinkeren Fleischfresser hatten etwa die Größe von Hauskatzen und waren leicht zu verscheuchen durch ein Wesen so groß und so fremd wie ein Mensch. Das war vielleicht einer der Gründe, warum sich die Gräberkolonie hier so erfolgreich etabliert hatte.