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Wow. Umsonst.

»Dad, das war doch nicht nötig. Ich hätte mir doch selber ein Auto gekauft.«

»Ist schon okay. Ich will, dass du hier glücklich bist.« Sein Blick war nach vorn auf die Straße gerichtet, als er das sagte. Charlie fiel es nicht leicht, seine Gefühle in Worte zu fassen. Und weil ich das von ihm hatte, schaute ich ebenfalls nach vorn, als ich ihm antwortete.

»Das ist echt lieb von dir, Dad. Danke, ich freu mich wirklich.« Ich musste ihm ja nicht unbedingt verraten, dass ich unmöglich in Forks glücklich sein konnte. Und einem geschenkten Transporter schaut man nicht ins Maul – oder unter die Motorhaube.

»Ach was, keine Ursache«, murmelte er verschämt.

Wir wechselten noch ein paar Sätze über das ewige Regenwetter, und das war’s dann. Schweigend blickten wir nach draußen.

Es war tatsächlich schön hier, gar keine Frage. So grün alles: die Bäume, deren Stämme mit Moos überwachsen waren und deren Äste und Blätter ein Dach bildeten. Der Boden war von Farnen bedeckt, und selbst das Licht, das durch das Laub fiel, war grünlich.

Es war zu grün. Ein fremder Planet.

Dann waren wir endlich bei Charlie. Er wohnte noch immer in dem kleinen Haus mit den drei Zimmern plus Küche, das er und meine Mutter am Anfang ihrer Ehe gekauft hatten. Mehr als den Anfang hatte es nicht gegeben in ihrer Ehe. Und dort, an der Straße vor dem immergleichen Haus, stand mein neuer – na ja, neu für mich – Transporter. Sein roter Lack war ausgeblichen, er hatte große, abgerundete Kotflügel und ein knollenförmiges Fahrerhaus. Zu meiner großen Überraschung fand ich ihn super. Ich wusste zwar nicht, ob er fahrtüchtig war, aber ich fand, er passte zu mir. Außerdem war das eines dieser robusten, eisernen Vehikel, die praktisch unzerstörbar sind und Unfälle immer ohne jeden Kratzer überstehen, während ringsumher die Einzelteile irgendeines ausländischen Fabrikats verstreut liegen.

»Wow, Dad, der ist ja großartig! Danke!« Der schreckliche nächste Tag erschien mir auf einmal sehr viel weniger furchteinflößend. Zumindest stand ich nicht vor der Entscheidung, entweder zwei Stunden durch den Regen zu laufen oder im Streifenwagen des Polizeichefs bei der Schule vorzufahren.

»Freut mich, dass er dir gefällt«, grummelte Charlie, dem so viel Begeisterung schon wieder peinlich war.

Wir mussten nur einmal laufen, um mein ganzes Zeug nach oben zu bringen. Ich bekam das vordere Zimmer, das schon immer meins gewesen war. Der Dielenboden, die hellblauen Wände, die schräge Decke, die vergilbten Spitzengardinen an den Fenstern – das alles war Teil meiner Kindheit. Charlie hatte seit meiner Geburt genau zwei Veränderungen vorgenommen: Er hatte die Babykrippe gegen ein Bett ausgewechselt und, als ich etwas älter war, einen Schreibtisch angeschafft. Auf dem stand jetzt ein gebrauchter Computer, und über den Boden verlief ein festgetackertes Modemkabel zur nächsten Telefonbuchse. Das war eine Bedingung meiner Mutter gewesen, damit wir in Verbindung bleiben konnten. Selbst der alte Schaukelstuhl stand noch in der Ecke.

Es gab nur ein kleines Badezimmer im Haus, oben neben der Treppe, das würde ich mir mit Charlie teilen müssen. Ich versuchte, nicht zu intensiv darüber nachzudenken.

Eine von Charlies besten Eigenschaften ist, dass er einen in Ruhe lassen kann. Er zog sich zurück, damit ich ankommen und auspacken konnte, was bei meiner Mutter absolut undenkbar gewesen wäre. Es tat gut, allein zu sein, nicht lächeln und ein zufriedenes Gesicht machen zu müssen, sondern einfach nur deprimiert in den strömenden Regen da draußen zu schauen und ein paar Tränen zu zerdrücken. Um richtig zu weinen, war ich nicht in Stimmung. Das hob ich mir besser für später auf, fürs Einschlafen, wenn die Gedanken an den nächsten Tag kommen würden.

Forks High-School hatte die beängstigende Gesamtzahl von 357 Schülern – mit mir 358; zu Hause waren wir allein in meinem Jahrgang mehr als 700 gewesen. Alle hier waren zusammen aufgewachsen, schon ihre Großeltern kannten sich aus dem Sandkasten. Ich würde die Neue aus der großen Stadt sein, eine wandelnde Kuriosität, ein Freak.

Wenn ich wenigstens wirklich so aussehen würde wie ein Mädchen aus Phoenix, dann könnte ich daraus vielleicht Profit schlagen. Aber rein äußerlich würde ich nie irgendwo reinpassen. Eigentlich sollte ich sonnengebräunt, sportlich und blond sein – eine Volleyballspielerin oder ein Cheerleader, wie sich das gehört für eine Bewohnerin des »Valley of the Sun«.

Stattdessen hatte ich elfenbeinfarbene Haut und noch nicht mal die Ausrede blauer Augen oder roter Haare. Ich war schon immer schlank, aber nie muskulös gewesen, eher irgendwie weich – niemand würde mich für eine Athletin halten. Ich war rein motorisch einfach nicht in der Lage, Sport zu treiben, ohne mich zu demütigen und sowohl mich als auch sämtliche Umstehende zu gefährden.

Als ich meine Sachen im alten Kleiderschrank aus Kiefernholz verstaut hatte, nahm ich Zahnpasta, Shampoo und was ich sonst noch so brauchte, und ging ins Bad, um den Reisetag von meinem Körper zu waschen. Während ich meine strubbeligen feuchten Haare durchbürstete, betrachtete ich mein Gesicht im Spiegel. Vielleicht lag es am Licht, aber ich sah schon jetzt käsig aus, ungesund. Meine Haut war sehr rein und beinahe durchsichtig – mit ein bisschen Farbe konnte sie durchaus hübsch aussehen. Hier in Forks hatte sie keine.

Ich betrachtete mein blasses Spiegelbild und musste mir eingestehen, dass ich mir etwas vormachte. Nicht nur äußerlich würde ich nie irgendwo reinpassen. Und wenn es mir nicht gelungen war, in einer Schule mit 3000 Leuten meine Nische zu finden, wie standen dann wohl meine Chancen hier?

Ich kam nicht gut klar mit Leuten meines Alters. Und vielleicht kam ich in Wahrheit mit Leuten generell nicht gut klar. Selbst mit meiner Mutter, der ich mich näher fühlte als irgendwem sonst auf diesem Planeten, war das so – es war, als würden wir im selben Buch lesen, aber immer gerade auf verschiedenen Seiten. Manchmal fragte ich mich, ob ich mit meinen Augen dieselben Dinge sah wie der Rest der Welt. Möglicherweise funktionierte ja mein Gehirn nicht richtig.

Aber die Ursache war egal – alles, was zählte, war die Wirkung. Und der nächste Tag war erst der Anfang.

Ich schlief nicht gut in dieser Nacht, selbst nicht nachdem ich ausgiebig geweint hatte. Das unaufhörliche Rauschen des Regens und des Windes auf dem Dach wollte einfach nicht zum Hintergrundgeräusch verklingen. Ich zog mir die verschlissene alte Bettdecke über den Kopf, und später noch das Kissen, trotzdem schlief ich erst nach Mitternacht ein, als der Regen endlich nachließ und zu einem leisen Tröpfeln wurde.

Als ich am Morgen aus dem Fenster schaute, sah ich nichts als dichten Nebel. Nie konnte man hier den Himmel sehen, es war wie in einem Käfig.

Das Frühstück mit Charlie verlief still. Er wünschte mir viel Glück in der Schule. Ich bedankte mich, aber ich wusste, dass er vergeblich hoffte – das Glück machte normalerweise einen Bogen um mich. Charlie fuhr los zum Polizeirevier, das ihm Frau und Familie ersetzte; mir blieb noch etwas Zeit. Nachdem er weg war, saß ich auf einem der drei bunt zusammengewürfelten Stühle an dem alten, quadratischen Eichentisch und betrachtete die kleine Küche: die dunkel getäfelten Wände, die leuchtend gelben Schränke, das weiße Linoleum. Alles war wie immer. Die Schränke hatte meine Mutter vor achtzehn Jahren gestrichen, um etwas Sonne ins Haus zu bringen. Nebenan, im winzigen Wohnzimmer, hingen ein paar Bilder über dem kleinen Kamin. Ein Hochzeitsfoto von Charlie und meiner Mom, aufgenommen in Las Vegas, daneben eines von uns dreien im Krankenhaus, nach meiner Geburt, und schließlich, in einer Reihe, meine Schulfotos bis zu diesem Jahr. Die waren mir peinlich – vielleicht ließ sich Charlie ja überzeugen, sie abzuhängen, zumindest solange ich hier war.

Hier im Haus war es unmöglich zu übersehen, dass Charlie die Trennung von meiner Mutter nie verwunden hatte. Der Gedanke bereitete mir Unbehagen.

Ich wollte nicht zu früh in der Schule sein, aber hier drinnen hielt ich es auch nicht länger aus. Ich zog mir meine Jacke über – sie fühlte sich an wie ein Astronautenanzug – und ging raus in den Regen.