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Man muß da etwas erfinden, dachte Peter Sacher und setzte sich an seinen Schreibtisch. Er knipste die Tischlampe an und starrte auf die aufgeschlagene Briefmappe. Was kann so alles passieren, wenn eine Frau allein verreist. Und Sabine ist eine Frau, die man nicht übersieht.

Der Widersinn seiner Gedanken zu der Tatsache seiner Ehe wurde ihm nicht bewußt. Ein Zurück von Sabines Plan gab es nicht, aber dem Schicksal allein mißtraute Peter Sacher ebenso sehr wie der stillen eigenen Versicherung, daß es vielleicht ohne dieses amerikanische Experiment gehen würde, wenn man sich Mühe gab.

«Sei es also!«sagte er zu sich. Er nahm einen Bogen aus der Schreibmappe und begann zu schreiben:

Monsieur Heinz v. Kletow

Paris

23. Rue de Sevres.

Mein lieber Heinerich!

Nach siebenjähriger Ehe, zermürbt vom Lebenskampf, ergraut in den Schlachten um das tägliche Mischbrot, gebeugt unter der Last der Schulden und der Erkenntnis, daß Ruhe der Stein der Weisen im Leben eines Lebemannes ist, empfehle ich meinen armen Körper Deiner sorgenden Obhut.

Ich werde am 10. dieses heißen Monats an der Schwelle Deiner Bruchbude stehen und wie ein Clochard sagen:»Bitte gib mir ein paar Tage Sonnenschein.«

Wir haben uns jetzt drei Jahre nicht gesehen. Was mich mit Dir verbindet, ist die Erinnerung an eine fürchterlich durchsoffene Nacht, in der ich Dich wie einen Mehlsack auf der Schulter ins Hotel schleppte. Am nächsten Morgen mußte ich die Bettwäsche ersetzen.

Bereite Dich also vor: Stelle einen Kognak zurecht! Vergiß nicht die Hummermayonnaise, die frischen Artischocken, das Billett für die Folies-Ber-gere. Wirf Deine Geliebten für sechs Wochen hinaus. Kehre Dein Zimmer von den Überresten der Orgien frei und kaufDir einen neuen Kragen. Nur eines tue nicht: Sammle nicht die unbezahlten Rechnungen und lege sie mir vor.

Wie gesagt: Am 10. Juli — frisch, fromm, fröhlich, frei am Gare du Nord.

Erwarte mit Bangen immer Dein Peterchen.

Da die Möglichkeit, den Brief um diese späte Zeit aufzugeben, nicht mehr vorhanden war, schloß er ihn in den Wandtresor und stellte das Kombinationsschloß auf das Kennwort >Paris< ein. Zufrieden zündete er sich dann eine Zigarette an, setzte sich in einen Korbsessel auf der Terrasse, streckte die Beine von sich und sah auf den träge fließenden, nächtlichen Rhein mit seinen an die Ufer verankerten Schleppkähnen, deren Positionslichter aussahen wie riesige Glühwürmchen.

Peter Sacher träumte von Paris. Der Gedanke, zu Heinz v. Kle-tow zu fahren, war ihm so plötzlich gekommen wie der leise Schock, der Sabines Vorschlag von den getrennten sechs Wochen in ihm erzeugte. Bei Heinz konnte man sich einmal sechs Wochen ausspannen, nichts tun, an nichts denken, sich auf das besinnen, was man falsch gemacht hatte, und sich vornehmen, es richtig zu tun. Man konnte in guten Vorsätzen schwelgen, die man meistens vergessen würde, wenn man wieder in die altgewohnte Umgebung zurückkehrte.

Es war gut, wieder einmal zu träumen. Wie selten träumt der Mensch unserer Tage. Er hat es verlernt in der Automation seines Lebens. Die Maschine träumt für ihn.

Als er die Zigarette zu Ende geraucht hatte, trat er den Rest auf den Steinplatten aus (Sabine würde morgen wieder über den schwarzen Fleck schimpfen!) und ging ins Haus zurück. Vor Sabines Zimmer verhielt er einen Augenblick den Schritt und hob die Hand, um die Klinke herunterzudrücken. Aber dann schüttelte er leicht den Kopf und ging weiter in seinen eigenen Schlafraum.

Hinter der Tür stand Sabine und wartete. Sie hörte Peter kommen, sie vernahm sein Anhalten vor ihrer Tür. Wenn sie sich öffnet, können wir uns sechs Wochen Qual ersparen, dachte sie glücklich. Bitte, bitte, öffne die Tür. Und dann ging Peter vorbei, und die Tür seines Schlafzimmers schlug zu.

«Er betrügt mich«, sagte Sabine leise. Sie legte sich auf ihr Bett und starrte an die weiße Decke, auf die der Schein der Nachttischlampe durch den seidenen Schirm wunderliche Figuren warf.»Ich bin ihm nichts mehr, gar nichts. Ein Möbelstück in seinem Haus.«

Dann weinte sie leise, ganz hingegeben dem Schmerz, der sie erfüllte. Später stand sie vor dem Ankleidespiegel und betrachtete ihren Körper, der durch das Perlonnachthemd schimmerte.

Ich bin doch nicht zu alt für ihn, dachte sie. Ich bin doch noch jung. Ich bin doch noch hübsch.

Was ist Freude?

Eine Schwester des Glücks, dachte sie.

Was ist Glück?

Eine Tochter der Liebe.

Was ist Liebe?

Du!

Oh, ich dummes Schaf!

Der nächste Tag war für Peter und Sabine angefüllt mit Reisevorbereitungen.

Aber man sprach nicht mehr darüber. Das Thema war erledigt, man wollte sich nicht fragen, wohin es ging, jeder sollte nach seiner Art die Seligkeit suchen. Gut denn, wo keine Brücken sind, wird keiner über den Fluß schwimmen, sondern den Umweg bis zur nächsten Brücke auf sich nehmen. Und wenn er sechs Wochen dauert. Zwar rechnete Peter Sacher damit, daß Sabine nie sechs Wochen allein sein konnte. Das lag nicht in ihrem Wesen, so sah sie gar nicht aus, daß sie eine Eremitin spielen konnte. Sie würde schnell Anschluß finden. Und das war wieder etwas, was Peter mit tiefster Sorge erfüllte.

Am Morgen nach diesem schicksalhaften Abend trank man wie immer Kaffee auf der Terrasse, Peter las die Morgenzeitung, erzählte Sabine den Inhalt der interessanten Artikel, die sie viel lieber selbst gelesen hätte, aber das tat er seit sieben Jahren mit der Begründung: Was wirklich interessant ist, überschlägst du ja doch, deshalb muß ich dir die Dinge vorlesen! Es war also alles so wie immer, höflich, unverbindlich, chevaleresk, und nichts deutete daraufhin, daß so etwas wie ein Damoklesschwert über Sabine und Peter hing.

Nach dem Kaffeetrinken fuhren sie gemeinsam nach Düsseldorf. Peter setzte Sabine am Corneliusplatz ab, weil sie, wie sie sagte, noch eine Menge zu kaufen habe. Er selbst parkte den Wagen auf der Königsallee, der Prachtstraße, für deren Ruf sich ein Düsseldorfer vierteilen lassen würde, und ging dann, nach allen Seiten sich umsehend, ob ihn Sabine nicht beobachten könnte, hinüber zur Alleestraße und am Wilhelm-Marx-Haus vorbei zu einem anderen großen Gebäude, dessen nüchterne Fensterreihen es als Herberge unzähliger Büros auswies.

Ein großes Emailleschild leuchtete an einem der Eingänge in der Morgensonne.

Dr. Ernst Portz Rechtsanwalt und Notar

Peter Sacher kannte Dr. Portz schon als kleiner Junge. Sie hatten zusammen auf der Straße gespielt, im Sandkasten Burgen gebaut, und schon da zeigte sich, was einmal aus ihnen werden würde: Peter baute die Sandvillen, und Ernst zerstörte sie. Dementsprechend war Peter Architekt geworden, während Dr. Portz als Fachanwalt für Ehescheidungen einen weiten Ruf erlangt hatte.

Die Kinderfreundschaft wurde dann fortgeführt in der Volksschule, auf dem Gymnasium, wo man sich beim Abitur gegenseitig mit Mogelzetteln half. Schließlich studierten Peter und Ernst noch zusammen in Köln und München. Es war eine jener Freundschaften, für die es keine Krisen gibt und die nie auseinandergehen können, weil jeder den anderen viel zu gut verstand.

Dr. Ernst Portz hatte eine vorzüglich gehende Praxis. Er beschäftigte vier voll ausgelastete Tippmädchen, einen Bürovorstand mit dem Gesicht eines Gallenkranken, der als gut eingespielter Praktiker juristische Hausberatungen auf eigene Kosten erteilte, ein Buchhalter arbeitete acht Stunden am Tag für die Steuer, und ein Lehrling trug die Akten herum und pappte die Briefmarken auf die umfangreiche ausgehende Post.

Das Glanzstück der Praxis aber war ein etwas blasser, dürrer, farbloser, hochaufgeschossener Assessor mittleren Alters, der ewig Hunger hatte, unter Komplexen litt und froh war, bei Dr. Portz arbeiten zu können, weil er sich selbst nicht viel zutraute.