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Geary benetzte seine plötzlich trocken gewordenen Lippen und dachte an die Matrosen, die einen völlig sinnlosen Tod gestorben waren. Er ignorierte seine Gefühle und konzentrierte sich ganz auf seine nächste Aufgabe, während er das Display studierte. »Zweites Zerstörergeschwader, Sie werden sich vorsichtig in die Nähe der Unglücksstelle begeben und nach Überlebenden suchen. Ohne meinen ausdrücklichen Befehl werden Sie nicht in das Minenfeld hineinfliegen.« Vermutlich gab es nicht einen einzigen Überlebenden. Die vier Schiffe waren so schnell zerstört worden, dass es kaum jemand bis in eine Rettungskapsel geschafft haben konnte. Trotzdem war dies eine notwendige Maßnahme, um sicherzustellen, dass niemand in die Hände der Syndiks fiel und in einem ihrer berüchtigten Arbeitslager endete.

Eine Minute verstrich unendlich langsam. »Hier Zweites Zerstörergeschwader, haben verstanden. Machen uns auf die Suche nach Überlebenden.« Die Stimme des Geschwaderführers klang bedrückt.

Wieder warf Geary einen Blick auf seine Formation, die nun komplett auf neuem Kurs war und über die Ebene des Sutrah-Systems aufstieg, um das Minenfeld, das auf dem Display nun mit deutlichen Warnzeichen versehen war, in einem Bogen zu umfliegen. »Alle Einheiten, Kurs ändern um zwei null Grad nach unten bei Zeit eins fünf.«

Alle sahen ihn an und schienen eine Ansprache zu erwarten, wie heldenhaft diese vier Crews ihr Leben verloren hatten. Geary stand auf, die Lippen zu einer schmalen Linie zusammengekniffen, und verließ kopfschüttelnd die Brücke, da er seiner Stimme nicht vertrauen konnte. Über Tote sollte man nicht schlecht reden, und er wollte nicht auf der Brücke über die Dummheit der eitlen Commander dieser Schiffe reden, die ihre Crews ermordet hatten.

Obwohl sich genau das zugetragen hatte …

Victoria Rione, Co-Präsidentin der Callas-Republik und Mitglied im Senat der Allianz, wartete an der Tür zu seiner Kabine auf ihn. Geary nickte ihr knapp zu, dann trat er ein, ohne sie ausdrücklich hereinzubitten. Sie folgte ihm dennoch und blieb stehen, während er wütend die Sternenlandschaft betrachtete, die eine Wand schmückte. Sie hatte keinerlei Befehlsgewalt über die Flotte, aber als Senatorin stellte sie eine so hochrangige Regierungsvertreterin der Allianz dar, dass er sie nicht rauswerfen konnte. Außerdem hörten die zur Flotte gehörenden Schiffe der Callas-Republik und der Rift-Föderation auf Riones Befehl, falls sie zu dem Entschluss käme, nicht länger mit Gearys Vorgehen einverstanden zu sein. Er musste sich dieser Zivilistin und Politikerin gegenüber diplomatisch verhalten, auch wenn er am liebsten wahllos irgendjemanden angeschrien hätte.

Schließlich begnügte er sich mit einem finsteren Blick. »Was wollen Sie, Madam Co-Präsidentin?«

»Von Ihnen erfahren, welche Wut Sie momentan auffrisst«, erwiderte sie ruhig.

Einen Moment lang sackte er in sich zusammen, dann schlug er mit der Faust nach der Sternenlandschaft, die kurz flimmerte und sich gleich wieder beruhigte. »Wieso? Wieso kann irgendjemand so dämlich sein?«

»Ich habe diese Flotte bei Corvus erlebt, Captain Geary. Die Taktik der Syndiks hätte dort die Hälfte aller Schiffe ausgelöscht. Aber das war zu einem Zeitpunkt, als Sie diesen Leuten noch keine Nachhilfestunden in Sachen Disziplin erteilt hatten.«

»Soll ich mich jetzt besser fühlen?«, fragte er bitter.

»Ja, das sollten Sie.«

Mit einer Hand rieb er sich übers Gesicht. »Ja«, stimmte er ihr müde zu. »Das sollte ich tatsächlich. Aber schon ein einziges Schiff … und wir haben sogar vier verloren.«

Rione sah ihn eindringlich an. »Immerhin können die vier noch als abschreckendes Beispiel dafür dienen, wie wichtig es ist, Befehle zu befolgen.«

Sein Blick war nicht weniger eindringlich, während er grübelte, ob sie ihre Worte wohl ernst meinte. »Das ist für meinen Geschmack etwas zu kaltblütig, Madam Co-Präsidentin.«

Sie zuckte mit den Schultern. »Sie müssen das realistisch betrachten, Captain Geary. Bedauerlicherweise gibt es immer wieder Leute, die einfach nicht lernen wollen, bis sie sehen, wie ihre eigene Dummheit ihnen einen Schlag ins Gesicht verpasst.« Sie wurde leiser und schloss die Augen. »So wie es gerade eben passiert ist.«

Also schmerzte sie der Verlust sehr wohl, stellte Geary erleichtert fest. Als die einzige Zivilistin der Flotte, als Einzige, die nicht seinem Kommando unterstand, vermittelte sie ihm das Gefühl, sich ihr anvertrauen zu können. Allmählich gelangte er auch zu der Einsicht, dass sie ihm sympathisch war, was für ihn nach einem Jahrhundert in völliger Isolation ein seltsames Gefühl darstellte. Immerhin umgaben ihn seit seinem Aufwachen aus dem Kälteschlaf Menschen, deren Kultur sich im Großen ebenso wie im Kleinen zum Teil radikal verändert hatte.

Rione sah ihm wieder in die Augen. »Sie fragen nach dem Grund, Captain Geary? Ich kann nicht von mir behaupten, eine Expertin auf militärischem Gebiet zu sein, aber die Commander dieser vier Schiffe hatten gesehen, dass Ihre Vorgehensweise funktionierte. Sie hatten erlebt, wie Ihre Taktiken aus alten Zeiten zum Erfolg führten. Sie waren Zeuge geworden, wie eine große Syndik-Streitmacht komplett zerschlagen wurde. Wie konnten sie da allen Ernstes glauben, es sei ein kluger Zug, auf den Feind loszustürmen?«

Geary schüttelte den Kopf, ohne sie anzublicken. »Weil die Menschheit das Pech hat, dass es in der Militärgeschichte genügend Befehlshaber gibt, die ihre erfolglosen Taktiken wieder und wieder zur Anwendung bringen und immer auf die gleiche Weise kämpfen, obwohl ihre eigenen Streitkräfte vor ihren Augen stetig dezimiert werden. Ich will gar nicht erst so tun, als könnte ich das erklären, aber leider gibt es diese Leute: Befehlshaber, die weder kurz- noch langfristig aus ihren Fehlern lernen, sondern ihre Untergebenen weiter in den Tod schicken, als müsste ihre Taktik Erfolg haben, wenn sie sie nur lange genug verfolgen.«

»Aber es sind doch nicht alle Befehlshaber so.«

»Nein, natürlich nicht. Allerdings kommt es mir so vor, als würden sie sich vor allem in den höchsten Dienstgraden tummeln, wo sie das meiste Unheil anrichten können.« Schließlich sah er sie wieder an. »Viele dieser Commander sind gute, tapfere Matrosen. Doch sie haben ihre ganze Karriere damit verbracht, auf die eine Art zu kämpfen, die man ihnen befohlen hat. Es dauert eine Weile, bis man diese Leute davon überzeugt hat, dass Veränderung nichts Schlechtes sein muss. Veränderungen beim Militär lassen sich nicht so leicht durchsetzen, selbst wenn es um die Rückkehr zu bewährten Taktiken aus der Vergangenheit geht. Es ist und bleibt eine Veränderung, mit der einem etwas Vertrautes weggenommen wird.«

Seufzend schüttelte Rione den Kopf. »Ich habe viele alte Traditionen gesehen, die vom Militär hochgehalten werden, und manchmal frage ich mich, ob sich davon nicht zu viele Menschen angezogen fühlen, denen das Festhalten an alten Zöpfen wichtiger ist als neue Errungenschaften.«

»Mag sein«, räumte Geary schulterzuckend ein. »Aber aus diesen Traditionen kann man auch Kraft schöpfen. Sie sagten mir einmal, diese Flotte sei spröde und könne allzu leicht zerschlagen werden. Wenn es mir gelingt, ihr neue Kraft zu geben und sie zu festigen, dann wird das zu einem großen Teil auch daran liegen, dass ich auf alte Traditionen zurückgreifen kann.«

Sie akzeptierte seine Worte, ohne dabei erkennen zu lassen, ob sie ihm auch glaubte. »Ich habe Informationen für Sie, die vielleicht teilweise behilflich sein können, das Verhalten dieser vier Commander zu erklären. Seit wir den Sprungraum verlassen haben und das Komm-Netz wieder aktiv wurde, meldeten mir einige meiner Quellen, dass Gerüchte in der Flotte die Runde machen. Gerüchte, wonach Sie Ihren Kampfgeist verloren haben sollen und lieber Syndik-Kriegsschiffe entkommen lassen, um irgendwann später gegen sie zu kämpfen, wenn Sie damit ein Gefecht jetzt und hier vermeiden können.«