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So wie er es immer machte.

Blade hatte sein Leben lang gegen die Bedrohung durch die Vampire gekämpft, seit er aus dem Bauch seiner sterbenden Mutter gerettet worden war, in all den Jahren des Schmerzes und des Leidens, die bis zu dem Tag gedauert hatten, als er Whistler begegnet war.

Er hatte durchgehalten. Er hatte durchhalten müssen.

Denn er war einer von ihnen.

Der Vampir, der seiner Mutter das Leben genommen hatte, war auch dafür verantwortlich, dass er bei Blade unauslöschliche Spuren hinterlassen hatte. Als er sie biss, übertrug sich der parasitäre Virus im Speichel der Kreatur durch die Plazenta auf Blade. Sein Blut wurde infiziert, während er zusammengekauert im Bauch seiner Mutter lautlos geschrien hatte.

Noch bevor er zur Welt gekommen war, hatte sich Blade unfreiwillig in etwas verwandelt, was er nicht sein wollte. Nicht ganz Mensch, nicht ganz Vampir. Es war ihm nie möglich gewesen, sich in Sicherheit zu bringen, sich und seine Mutter vor dem Monster zu beschützen, das ihr die Kehle herausgerissen und dann auf der Straße dem Tod überlassen hatte.

Jeden Tag in seinem Erwachsenenleben hatte Blade damit verbracht, Vampire zu töten, immer in der Hoffnung, er könnte so die Dinge irgendwie wieder gerade rücken. Jeder getötete Vampir gab ihm ein winziges Stück seines Selbst zurück, auch wenn er tief in seinem Inneren wusste, dass es nie genügen würde, um den angerichteten Schaden vollständig ungeschehen zu machen.

In gewisser Weise wusste Blade, dass er sich glücklich schätzen konnte. Er verfügte über alle Kräfte der Vampirrasse, die ihn hervorgebracht hatte, aber über keine ihrer Schwächen. Weder Knoblauch noch Silber oder Sonnenlicht konnten ihm etwas anhaben. Blade war im Vorteil, wenn er gegen Vampire kämpfte. Und diesen Vorteil nutzte er stets gnadenlos aus.

Daywalker nannten sie ihn.

Hinter seinem Rücken hatten sie allerdings noch ganz andere Bezeichnungen für ihn.

Anstelle eines reinrassigen Vampirs war Blade ein lebendes und atmendes menschliches Wesen, aber er war noch mehr. Das Virus hatte ihm große Kraft verliehen, seinen Blutdruck erhöht und den Stoffwechsel beschleunigt, ohne dass ihm dabei die Risiken drohten, die mit diesem Prozess normalerweise einhergingen. Sein Körper war unvergleichlich leistungsfähiger als der anderer Menschen, er konnte gespeicherten Blutzucker sofort in Energie umwandeln. Den Sauerstoff in seinem Blut konnte er fast zu hundert Prozent nutzen.

Whistlers erste Untersuchungen hatten außerdem gezeigt, dass das Virus die Drüsen umgebaut hatte, die Adrenalin produzierten. Tests bewiesen, dass Blades Adrenalin etwa zehnmal so wirkungsvoll wie das eines Menschen war und dass es nicht nur in Extremsituationen, sondern permanent ausgeschüttet wurde. Dies und einige andere biologische Verbesserungen machten Blade so übermenschlich schnell und stark. Und deshalb lief bei ihm auch der Heilungsprozess erheblich schneller ab.

Dafür war er durchaus dankbar, weil es ihm half, seine Aufgabe zu erledigen.

Doch für all dies musste er einen Preis bezahlen: Genau wie bei einem Vampir war sein Durst auf menschliches Blut ausgerichtet.

Blade hatte in seinen frühen Jahren damit zu kämpfen gehabt, seine Mordlust zu unterdrücken, da der Vampirparasit in jeder Zelle seines Körper danach schrie, genährt zu werden. Er hatte seine Jugend nur überstanden, indem er ein raues Leben führte und sich von Obdachlosen und Pennern ernährte. Zwar hasste er sich dafür, aber er war nicht in der Lage gewesen, etwas dagegen zu unternehmen. Der Durst hatte irgendwann in der Pubertät eingesetzt und aus dem gelegentlichen Appetit auf ein möglichst blutiges Steak den Drang zum Töten entstehen lassen. Blade war von seinen Pflegeeltern abgehauen und hatte die nächsten Jahre auf der Straße gelebt. Dort war es nur darum gegangen, zu überleben und den Behörden zu entkommen, die ihn unablässig jagten, um ihn für immer hinter Gitter zu stecken.

Whistler hatte dem ein Ende gesetzt: Er hatte ihn aufgenommen und auf ihn aufgepasst, obwohl er damit sein eigenes Leben einem beträchtlichen Risiko aussetzte. Das Wort Schmerz hatte eine ganz neue Bedeutung bekommen, als der alte Mann Blade geduldig beigebracht hatte, das Unmenschliche zu kontrollieren, dass in ihm steckte, anstatt mit Wut darauf zu reagieren. Durch Whistler hatte er gelernt, zu kämpfen anstatt zu jagen, zu jagen anstatt zu fliehen, und die Vampire zu hassen anstatt sich selbst.

Von Whistler hatte er auch gelernt, welche Wirkung Sonnenlicht, Knoblauch und Silber auf Vampire ausübten, und der alte Mann hatte Jahre seines Lebens damit zugebracht, neue und erfindungsreiche Mittel und Wege zu finden, um diese drei Dinge als Waffen einzusetzen. Whistlers früheres Leben als Büchsenmacher war in dem Moment beendet, als die Vampire seine Familie abgeschlachtet hatten. Von da an diente sein Wissen, das er in seinem Beruf erlangt hatte, nur noch einem einzigen Zweck.

Im Rahmen von Blades Rehabilitation hatte Whistler auch einen Impfstoff entwickelt, der direkt in den Blutkreislauf gespritzt wurde und der seinen unablässigen Durst nach Blut zum größten Teil unterdrückte.

Damit hatte Whistler das Unvorstellbare geschafft: Er hatte Blade das Leben wiedergegeben.

Jetzt, rund zwanzig Jahre später, war das ungleiche Duo immer noch zusammen und kämpfte gegen die Geschöpfe der Finsternis, die eine permanente Gefahr für die Menschheit darstellten. Sie wurden für ihre Arbeit nicht bezahlt, niemand wusste zu schätzen, was sie taten. Sie waren die anonymen Helden der Stadt gewesen.

Bis jetzt.

Blade kehrte abrupt in die Gegenwart zurück. Die Schreie in seinem Kopf verstummten sofort und wurden von einer Stille abgelöst, die etwas Drängendes an sich hatte. Blade riss die Augen auf und starrte in die Finsternis, seine gesamte Aufmerksamkeit auf ein winziges Geräusch gerichtet, das gerade noch wahrnehmbar war.

Irgend etwas stimmte nicht.

Blade sprang augenblicklich auf, die Müdigkeit war wie weggewischt. Er griff nach seinem Schwert und huschte nach draußen in die große verlassene Werkstatt. An einem der seitlichen Fenster angekommen, hob er mit der Schwertspitze die Jalousie ein wenig an und lauschte konzentriert. Der Mond stand über dem Wasser. Durch einen Sprung in der Glasscheibe drang der Geruch der See herein.

Alles war ruhig.

Zu ruhig.

Ein leises Geräusch war hinter ihm zu hören, und als er sich umdrehte, sah er Whistler, wie er in einem Schatten verschwand. Er war vollständig angezogen und hielt eine 9-mm-Browning in der Hand.

„Was ist?“ flüsterte er.

Blade sah wieder in Richtung Ozean, tat einen Schritt nach hinten und erhob sein Schwert. Er schluckte, um das Gefühl von Übelkeit zu unterdrücken, das wie bittere Galle in seiner Kehle aufstieg. „Das, worüber du dir Gedanken gemacht hast.“

Sie standen beide reglos da und horchten, wie die Wellen an Land schlugen und sich wieder zurückzogen.

Sie rollten an Land, sie zogen sich zurück.

An Land und zurück.

An…

In diesem Moment wurde das Fenster eingeschlagen. Glassplitter regneten in den Raum. Blade und Whistler gingen hinter einer Werkbank in Deckung, als zwei schwerbewaffnete SWAT-Agenten in kugelsicherer Kleidung durch die Fensterläden krachten und sich in den Raum fallen ließen. Zwei weitere Männer durchbrachen die Fensterreihen zu beiden Seiten des Hauses und schwangen sich auf Blade und Whistler zu. Sie feuerten Tränengasgranaten ab. Sofort entstand eine Wand aus dichtem grauem Rauch, die das Labor von einer Tür bis zur anderen blockierte.

Die Behörden hatten sie gefunden.

Blade stürmte los, um sich den Eindringlingen in den Weg zu stellen, während er Whistler zurief, er solle sich zurückziehen.

Der alte Mann verschwand in der relativen Sicherheit der Waffenkammer. Im gleichen Augenblick wurde die verstärkte Haustür aufgesprengt und schlug mit einem metallischen Dröhnen auf dem Boden auf. Wie eine dunkle Flutwelle stürmten Agenten in die Werkstatt, die kugelsichere Kleidung und Gasmasken trugen und mit Heckler & Koch-Sturmgewehren vom Typ MP-5 bewaffnet waren.