Einer der Agenten drückte eine Taste an seiner Gasmaske, dann sagte er: „Wenn Sie auch nur einen Finger bewegen, sind Sie ein toter Mann!“
Whistlers Mundwinkel zuckte, er konnte nur noch keuchend atmen. Dann fragte er: „Wie wär’s denn mit dem Finger?“ Gleichzeitig streckte er dem Mann den Mittelfinger entgegen.
Dann öffnete er seine andere Hand weit genug, damit eine kleine schwarze Fernbedienung zum Vorschein kam. Alle Augen waren auf die großen digitalen Zahlen gerichtet, die kontinuierlich rückwärts zählten.
00:04… 00:03… 00:02…
Alle hielten den Atem an, nur einer der etwas schwerfälligeren Agenten – ein Mann mittleren Alters, der auf den Spitznamen Spud hörte – streckte den Arm aus und rief: „Hey, er hält was in der…“
Eine Serie von gewaltigen Explosionen erschütterte die Werkstatt, als drei Fässer Kerosin hochgingen und zwei Dutzend Minen auslöste, die in den Hohlräumen der Wände verborgen worden waren.
Draußen rannten die Polizisten und Agenten um ihr Leben, als die gesamte Vorderfront weggesprengt wurde. Schwarzer Rauch stieg in den Nachthimmel auf, Trümmer wurden umhergeschleudert, während die Druckwelle die umstehenden Schaulustigen zu Boden warf.
Mitten in diesem Inferno gelang es Blade, sich von den Agenten loszureißen. Laut brüllte er den Namen seines Mentors in die Nacht hinaus. Mit bloßen Fingern versuchte er, das stählerne Netz um seinen Körper zu zerreißen, um zu retten, was noch zu retten war.
Doch es war längst zu spät.
Hilflos sah Blade, wie die Explosion im Waffenraum eine Kettenreaktion auslösten, die sich durch das ganze Gebäude fortsetzte, da eine Mine nach der anderen hochging. Das Labor flog in die Luft, gefolgt von der Werkstatt, dann wurden die Reservekanister mit Stickstoffoxid erfasst, die im Schuppen gelagert waren. Eine Wand aus Licht und Feuer brach aus dem Bootshaus hervor und nahm alles mit, was sich ihr in den Weg stellte.
Dann war alles vorüber. Trümmerteile regneten ringsum zu Boden.
Blade starrte in das Inferno, das einmal sein Zuhause und sein Leben gewesen war. Die Welt verschwamm vor seinen Augen, und er musste sich festhalten. Nur am Rande nahm er war, dass Soldaten der Army sich um ihn herum aufbauten und langsam vorrückten, da ihnen der blutverschmierte Mann nicht geheuer war, der alleine die Hälfte des Einsatzteams ausgeschaltet hatte.
Beinahe alleine…
Ein Muskel in Blades Kiefer zuckte. Abrupt ging er auf die Knie nieder und legte sein Schwert fast zärtlich vor sich auf den Boden, während er sich ehrerbietig verbeugte.
Whistler war tot, nichts zählte jetzt noch.
Dann stürmten die uniformierten Agenten auf ihn zu und packten ihn, im nächsten Moment spürte Blade einen Stich, als eine Injektionsnadel in seinen Arm gejagt wurde. Müde sah er auf zum Himmel, wo ein Polizeihubschrauber kreiste, langsam tiefer ging und einen Suchscheinwerfer auf Blade richtete, dessen Welt in blendendes Weiß getaucht wurde.
6
Etwas bewegte sich in der Dunkelheit.
Blade runzelte die Stirn. Seine Augen wanderten unter den flatternden Lidern hin und her. Ihm war kalt und er fühlte sich extrem schläfrig, aber er wusste, dass es für ihn überlebenswichtig war, nicht einzuschlafen.
Er wartete und lauschte. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, jede Sekunde dauerte unendlich lang, und es schien, als sei kein Ende absehbar.
Nach einem Zeitraum, der ihm tatsächlich wie eine Ewigkeit vorkam, bemerkte er es wieder. Eine minimale Bewegung in der endlosen Schwärze, so klein und schnell, dass sie nicht einmal einen Herzschlag lang dauerte.
Blade öffnete die Augen und wendete sich der Bewegung zu. In seinen Ohren hallte mit einem Mal das Echo eines Geräuschs wider, das er gerade noch hatte wahrnehmen können. Irritiert erhob er sich und bewegte sich Schritt um Schritt in der Dunkelheit vorwärts. Seine Nerven waren auf das Äußerste gespannt. Seine Beine fühlten sich an wie aus Gummi, und wenn seine Füße den Boden berührten, spürte er nichts davon. Dennoch wusste Blade, dass er sich beeilen musste. Er hatte nicht viel Zeit, und es war von größter Wichtigkeit, dass er zu Hause ankam, ehe das Geräusch ihn einholen konnte.
Er ging los und jeder Schritt hallte in der Nacht nach.
Hinter ihm war ein kurzes Geräusch zu hören, fast so, als hätte jemand ein Einzelbild aus einem alten Film herausgeschnitten und würde dieses kurze Stück Tonspur abspielen. Er drehte sich rasch herum und ging in kampfbereite Stellung, doch war außer völliger Schwärze nichts zu sehen.
Blades Augen wandten sich nach links, dann nach rechts. Eine matte, erdrückende Stille sank auf ihn nieder und legte sich wie Leim über ihn. Er hielt den Atem an und lauschte wieder, vernahm seinen eigenen gleichmäßigen Herzschlag in seinen Ohren, immer wieder überlagert von dem hochfrequenten Klingen verstärkter Stille.
Wieder von dem Gefühl erfasst, er müsse sich beeilen, wandte er sich um und lief weiter.
In gemäßigtem Tempo trabte er durch die Schwärze, alle Sinne aufs Äußerste angespannt, da er sich darauf konzentrierte, auch das leiseste Geräusch wahrnehmen zu können.
Plötzlich blendete ihn ein Blitz, der unerwartet durch die Dunkelheit zuckte. Blade geriet ins Taumeln, fiel nach hinten und drehte sich in Zeitlupe um seine eigene Achse. Mit einem schmerzhaften dumpfen Knall landete er auf dem Boden. Keuchend krallte Blade die Hände auf die Augen. In sein Gehirn eingebrannt war das Abbild eines Schwerts – seines Schwerts? –, das auf ihn herabfuhr und dessen diamantgeschliffene Klinge beim Kontakt mit seinen Sehnerven Funken sprühte, als sie sich wie eine Guillotine durch seinen Schädel fraß.
Blade hob den Kopf und sah auf seine Finger, da er erwartete, an ihnen Blut zu entdecken.
Nichts. Seine Hände waren völlig sauber.
Aus der Dunkelheit drang ein langgedehntes, tiefes Knurren an seine Ohren. Es kam von sehr weit weg, doch das Echo klang unnatürlich nah und verursachte in seinen Knochen seltsame Schwingungen. Blade merkte, wie sich seine Nackenhaare aufrichteten, als ein warnender Schauder seinen Körper durchfuhr. Er atmete tief durch, um zur Ruhe zu kommen, während er fühlte, wie Hitze und Adrenalin sich in ihm ausbreiteten, um ihn kampfbereit zu machen. Sein Zahnfleisch schmerzte, als seine Reißzähne zu wachsen begannen und so spitz wurden, dass sie ihn ins Fleisch stachen.
Das Heulen verstummte, zurück blieb eine Stille, die zur Eile antrieb. Vorsichtig stand Blade auf und hielt sich in der kalten Nachtluft nur schwankend auf den Beinen. Die Atmosphäre rings um ihn knisterte, so greifbar schien die Bedrohung zu sein, fast wie eine bösartige Präsenz. Blade sah sich um und bemerkte, dass in der samtenen Schwärze, die sich vor ihm erstreckte, eine Bewegung auszumachen war, so als würde eine steife Brise einen schwarzen Ozean peitschen.
Blade stand reglos da und atmete tief und gleichmäßig. Seine Arme baumelten entspannt herunter, bereit, sofort einen Pflock oder Dolch zu zücken, um das, was da so heulte, in blutenden, kreischenden Staub zu verwandeln. Er war noch nie hier gewesen, dennoch wusste er aus irgendeinem Grund, was kommen würde. Es war ein unausweichliches Schicksal.
Etwas war da draußen, etwas Übles, und er musste es finden, bevor es ihn fand. Wenn er es nicht überraschen konnte, würde er es niemals besiegen können.
Blade strengte alle seine Sinne an und versuchte festzustellen, aus welcher Richtung das Geräusch kam.
Auf einmal tropfte etwas Kaltes auf sein Kinn. Blade hob eine Hand und wischte es beiläufig fort. Regnete es etwa?
Nein, diese Flüssigkeit war zäh und ein wenig klebrig. Er roch daran. Es war auch kein Blut. Die Flüssigkeit roch scharf und stechend, fast so wie Ammoniak, aber doch etwas süßlicher und nicht ganz so aggressiv. Eigenartig.
Der Wind wurde stärker und wehte ihm heftig entgegen. Blade sah auf und bemerkte, wie seine Kleidung hinter ihm im Wind flatterte. Die Luft war kalt und roch sehr intensiv nach Meer. Er musste sich irgendwo in der Nähe des Flusses befinden, aber wo genau war er? Er konnte die Landschaft nicht erkennen.