Plötzlich musste er husten. In seiner Kehle stieg ein gallenbitterer Geschmack auf. Er hustete erneut, diesmal jedoch stärker, um den Geschmack wieder loszuwerden. Als er nach unten sah, bemerkte er, dass seine Hand mit einer schwarzen Flüssigkeit bespritzt worden war. Er betrachtete entsetzt seine Hand, als er merkte, dass diese Flüssigkeit aus seiner Nase und seinen Augen tropfte und wie dicke schwarze Tränen über seine Wangen lief. Angewidert wischte er sie weg, aber sofort quoll mehr davon aus ihm heraus.
Entsetzt wirbelte Blade herum und rannte los. Er musste weg von hier! Was immer es auch sein mochte, es war nichts, was er bekämpfen konnte. Instinktiv wusste er, je länger er blieb, umso schwieriger würde es werden, diesen Ort zu verlassen. Und es gab nichts, was er sich mehr wünschte.
Schritte ertönten hinter ihm, als er durch die Dunkelheit rannte. Zuerst waren es nur die Schritte eines einzigen Läufers, doch dann kamen mehr und mehr dazu, die alle hinter ihm herliefen. Sie hatten ihn gefunden.
Ohne sich umzudrehen, verdoppelte Blade sein Tempo, indem er auf die Kraftreserven seiner übernatürlichen Energie zurückgriff. Doch die Schritte hielten mühelos mit ihm mit.
Er konnte jetzt auch Rufe hören, außerdem bellende Hunde. Aus dem Augenwinkel sah er den Schein greller Fackeln, woraufhin Blade noch einmal schneller wurde, da ihm klar wurde, dass man ihn nicht bloß verfolgte, sondern jagte.
Blade flog förmlich über den Untergrund, die Beine arbeiteten auf Hochtouren, während er versuchte, seinen Verfolgern zu entkommen. Nach einer Weile erkannte er jedoch, dass sie nicht nur problemlos mit seinem Tempo mithalten konnten, sondern ihn auch beängstigend schnell einholten.
Auf einmal bemerkte er zu seinem Entsetzen, dass er langsamer wurde. Die schwarze Flüssigkeit lief in seinem Körper nach unten und sammelte sich in seinen Beinen, die erschreckend taub wurden. Was war das für ein Zeugs? Blade knurrte frustriert, als die tödliche Substanz seine Beinmuskulatur überschwemmte und sich die Kälte in seine Nervenbahnen übertrug, die augenblicklich regelrecht abgeschaltet wurden. Er stolperte und fiel fast hin, konnte sich aber im letzten Moment fangen und weiterlaufen, wobei er die Zähne zusammenbeißen musste, um sich Schritt für Schritt weiterzuquälen.
Die rufenden Stimmen waren nun sehr dicht hinter ihm. Blade zwang sich, in Bewegung zu bleiben, aber sogar das Atmen wurde immer schwieriger. Schwäche erfasste ihn, schwarzer Schweiß trat auf seine Stirn, während er sich weiter vorankämpfte und zudem den immer stärker werdenden Wind ertragen musste.
Es dauerte nicht lang, da war Blade klar, dass er nicht weiterlaufen konnte. Der Wind schlug ihm erschreckend heftig entgegen, und seine Muskeln waren total überanstrengt. Er musste seine Kräfte schonen, um gegen die Menge kämpfen zu können, die ihn verfolgte.
Knurrend fletschte Blade die Zähne und drehte sich zu seinen Jägern um.
Doch da war niemand.
Im nächsten Moment wurde er von einer ganzen Welle von Leibern überrannt, die sich ihm von hinten genähert hatten. Blade merkte, wie Hände nach ihm griffen und seine Arme und Beine auf die trockene Erde unter ihm drückten. Andere Hände zerrten an seiner Kleidung, rissen ihm das Hemd vom Leib und setzten seinen nackten Oberkörper der kalten Nacht aus. Über ihm waren Gesichter zu sehen, die ihn anstarrten, ihn verhöhnten. Gesichter mit scharfen Zähnen und gelben Augen.
Vampire.
Blade versuchte, sich aus ihrem Griff zu befreien.
Doch sie waren anders als die Vampire, die er kannte. Knurrend näherte sich ihm der Anführer, dessen beeindruckende Zähne mehrere Zentimeter lang waren und auf dessen Stirnmitte eine Reihe von Wirbeln verlief, die fast wie ein Kamm wirkten. Wie ein Greifvogel legte der Vampir den Kopf schräg und beugte sich über Blade, um neugierig dessen Gesicht zu berühren…
Mit einem Aufschrei riss sich Blade los, schwang sich zur Seite und kam wieder auf die Beine. Dann senkte er den Kopf und rannte auf die Wand aus spottenden Gestalten los, die ihn umgaben. Mit seinen allerletzten Kraftreserven stürmte er wie ein Rammbock vorwärts, um alles umzurennen, was ihm den Weg in die Freiheit versperrte.
Wamm! Auf einmal schlug sein Kopf gegen ein Objekt, das ihm nicht auswich. Benommen schüttelte Blade den Kopf und sah, dass Whistler vor ihm stand. Sein langes graues Haar und sein Bart flatterten im Wind. Der alte Mann lehnte sich gemächlich an eine zerfallende Lehmziegelmauer, die zu einer gewaltigen Pyramide zu gehören schien.
Blade erhob sich unsicher. Er hätte schwören können, dass diese Pyramide eben noch nicht da gestanden hatte. Doch das war die Geringste seiner Sorgen. Er blickte über die Schulter und sah, dass die Vampire ihm wieder nacheilten und mit gebleckten Zähnen auf Whistler zuliefen. Blade öffnete den Mund, um seinen Mentor zu warnen, ihn zur Flucht aufzufordern, solange noch Zeit dafür war.
Doch bevor er ein Wort herausbringen konnte, stand Whistler seltsamerweise plötzlich neben ihm. Blade wandte sich überrascht um, als der alte Mann hinter ihn griff und mit einem sanften metallenen Zischen das Schwert aus Blades Scheide auf dem Rücken zog.
Aber… das war gar nicht sein Schwert.
Die Waffe, die Whistler in der Hand hielt, sah viel älter aus und war aus narbigem, geschwärztem Metall geschmiedet worden. Während Blade die Szene verwirrt beobachtete, legte Whistler ihm auf einmal die Hand auf die Schulter und lächelte ihn freundlich an.
Im nächsten Augenblick trieb er die Klinge bis zum Heft mitten in Blades Brust.
Der schnappte nach Luft und packte Whistler an den Schultern, als das heiße Blut über sein zerrissenes Hemd lief. Schockiert starrte er seinen Mentor an, dessen Gesichtsausdruck sich nicht verändert hatte. Dann aber wurde sein Lächeln breiter und ließ spitze, geschwungene Eckzähne erkennen.
Blade wusste, dass er endgültig verloren war.
Seine Knie gaben unter ihm nach und er fiel zu Boden. Um ihn herum nahm die Schwärze Form an und wirbelte von einem unsichtbaren Himmel herab. Während Blade sich auf dem Boden wand und nach Luft schnappte, bildete die Schwärze eine Spirale, die, einer Windhose gleich, alles in ihrem Umfeld mit sich riss. Als sie die Pyramide erreichte, drang ein lautes Krachen durch die Nacht. Wie gelähmt sah Blade, wie die Pyramide hinter den Vampiren von schwarzen Rissen durchzogen wurde, die wie die Negative von Blitzen aussahen.
Die Vampire schienen nichts von der immensen Zerstörung mitzubekommen, die sich hinter ihnen abspielte, da sie wieder Blade bedrängten und umherstießen. Einer nach dem anderen holten sie hölzerne Pflöcke hervor. Blade wollte aufschreien, doch der Wind trug seine Stimme mit sich. Ehe er sich versah, hatten sich die Vampire abermals auf ihn gestürzt, drückten seinen Rücken fest auf den Untergrund und bohrten ihre Pflöcke in seine Hand- und Fußgelenke und durch seine Schultern. Blade verspürte dabei keinen Schmerz, nur einen deutlichen Druck, der umso stärker wurde, je mehr Pflöcke in seinen Körper getrieben wurden.
Hilflos musste er mit ansehen, wie Whistler vortrat und sich vor ihm aufbaute. Er hielt immer noch das antike Schwert in der Hand. Langsam begann aus dem Weiß der Augen des alten Mannes eine ölige schwarze Substanz zu tropfen. Whistler trat einen Schritt vor und setzte die Schwertspitze auf Blades nackte Brust. Dann begann er, ein Muster in das Fleisch zu schneiden, wobei das Metall zischte und kreischte, als sei es rotglühend.
Blade biss die Zähne zusammen. Der Schmerz ging durch und durch, aber er war nichts im Vergleich zu dem Schmerz, den er bei Whistlers Tod empfunden hatte. Während der Wind immer heftiger und lauter wurde, nahm er am Rande wahr, dass die gewaltigen Lehmblöcke, aus denen die Pyramide errichtet worden war, sich im Wind bewegten, Risse bekamen und zerfielen, so dass Bruchstücke durch die Luft gewirbelt wurden. Ein tiefes Poltern erschütterte die Erde, als wolle der Boden nachgeben und sie alle in den finsteren Untiefen begraben.
Whistler hatte unterdessen sein Muster vollendet und zog sein Schwert weg. Dann legte er den Kopf schräg, um seine Arbeit zu begutachten. Es war eine winzige Geste, die Blade aber so vertraut war, dass ihm fast die Tränen gekommen wären. Als er einen Blick auf seine Brust warf, erkannte er, dass ein großes, recht grobschlächtiges Vampirschriftzeichen in seine Haut geschnitten worden war, dessen Umrisse von durchtrenntem Fleisch und rotem Blut gebildet wurden.