King kam um die Ecke gelaufen und rief der Frau zu: „Whistler, wir brauchen sofort das Serum!“
Blade hob den Kopf, Hoffnungsschimmer trat in seine blutunterlaufenen Augen. Whistler? Nein, er musste sich verhört haben.
Abigail Whistler beschrieb eine elegante Drehung und trat mit dem Stiefel in die Schläfe des letzten Polizisten, der daraufhin mit einem dumpfen Knall gegen die Wand flog und in sich zusammensackte. Abigail hob ihren Rucksack auf und zog einen Inhalator heraus, den sie King zuwarf. Der drückte das Gerät behutsam in Blades zitternde Hände.
Als er erkannte, was er vor sich hatte, setzte Blade das Mundstück sofort an seine Lippen und biss zu, während er gleichzeitig eine seitlich angebrachte Lasche zog. Er ignorierte die blitzenden Lichter, die durch die abrupte Bewegung vor seinen Augen tanzten. Das Gerät zischte, das Serum strömte kühl und klar in seine Lungen und wanderte von dort weiter in seinen Körper. Das hungernde, schreiende Vampirvirus wurde rasch leiser, seine natürliche Kraft und Vitalität kehrten gleichzeitig zurück. Erleichtert sank er in sich zusammen und atmete tief durch, während er seinen Körper zwang, wieder in seinen Normalzustand zurückzukehren.
Im nächsten Augenblick konnte er mit klarem Blick zu King emporblicken. Seine übernatürliche Kraft war wiederhergestellt, und ohne große Anstrengung riss er seine Handschellen auseinander.
King grinste ihn zufrieden an. „Hey, Blacula, wieder bereit, auf die Piste zu gehen?“
Blade reagierte mit einem schnellen Haken gegen Kings Kiefer. Der taumelte nach hinten und starrte Blade verstört an, dessen Gesicht wie aus Stein gemeißelt aussah. „Nenn mich nie wieder so, sonst bekommst du von mir ein lebenslanges Hirntrauma.“
King rieb sich den Kiefer, dann zuckte er mit den Schultern und warf Blade eine seiner Pistolen zu.
Eine zähe Truppe.
Cumberland und Haie stürmten um die Ecke auf sie zu, brüllten irgend etwas und hielten ihre FBI-Dienstmarken hoch. Spontan sprang King mit einen Satz vor und verpasste Haie einen Schlag ins Gesicht, der den Detective zu Boden schickte. Gleichzeitig bekam Cumberland von Blade einen Tritt gegen die Brust, der ihn durch die Tür bis zur Herrentoilette schleuderte. Mit einem unangenehmen Geräusch krachte er mit dem Spiegel über dem Waschbecken zusammen, sank zu Boden und stand nicht wieder auf.
Es klang, als käme eine ganze Herde Vieh angetrampelt, doch um die Ecke stürmte stattdessen Grimwood, dicht gefolgt von den drei überlebenden Vampirpflegern. Grimwoods Haare rauchten, über seine breite Brust zog sich eine lange Brandwunde.
Blade hantierte sekundenlang mit Kings Pistole, eher er verstand, dass es sich um eine Automatikwaffe handelte. Er stand auf und straffte seine Schultern, dann jagte er eine Salve explosiver Kugeln nach der anderen in den Korridor. Die Geschosse schlugen in Wände und Boden ein und explodierten in gleißendem UV-Licht, während die Vampire versuchten, irgendwo Schutz zu suchen. Grimwood und seine Helfer waren gezwungen, sich vor diesem Sperrfeuer zurückzuziehen.
Blade und King rannten den Korridor entlang, um zu Abigail aufzuschließen. Der Rauch des Schusswechsels hing schwer in der Luft und reizte beide immer wieder zum Husten. Die Notbeleuchtung schien allmählich schwächer zu werden, und sie konnten kaum noch die Hand vor Augen erkennen.
Ein Stück vor ihnen stürmte ein Trupp Polizisten aus dem Treppenhaus, allesamt schwer bewaffnet und mit kugelsicheren Westen ausgerüstet. Einer von ihnen kaute noch immer auf einem letzten Rest seines Gurkensandwichs herum, da er aus seiner Pause geholt worden war.
Als sie Blade und King sahen, eröffneten sie sofort das Feuer.
Blade und die anderen duckten sich in eine Nische, während um sie herum Kugeln in den Wänden einschlugen. Sie mussten sich hart gegen die Wand pressen, da ein Projektil nach dem anderen an ihnen vorbeijagte. Das Mündungsfeuer der Waffen erhellte das rauchgeschwängerte Zwielicht wie ein Stroboskopscheinwerfer.
King duckte sich, als eine Kugel sein Ohr nur knapp verfehlte. „Wir sitzen in der Falle!“ Frustriert wandte er sich zu Blade um. Er hoffte, dass er irgend etwas unternehmen würde. Schließlich sollte dieser Kerl doch ein Superheld sein, aber stattdessen stand er nur da wie eine Schaufensterpuppe für Ledermoden. „Kannst du denn gar nichts machen?“
Blade hob hilflos seine Waffe. „Ich kann nicht um die Ecke schießen.“
„Ich aber.“
Beide starrten zu Abigail und sahen den Blick in ihren Augen. Wie ein Mann traten Blade und King mit einem Mal in den Korridor und belegten ihn mit einem Sperrfeuer, um ihr Deckung zu geben. Während sich die Polizei angesichts dieser Gegenwehr zurückzog und im Treppenhaus Schutz suchte, zog Abigail ein seltsam geformtes Objekt aus einem Beutel, den sie auf dem Rücken trug. Sie drehte einmal kurz mit dem Handgelenk; das Objekt schnappte auf und nahm die Form eines Verbundbogens an. Die Waffe war aus geschwärzten Aluminium gefertigt, in die beiden Glieder waren an den kritischen Punkten Module eingearbeitet, die Vibrationen dämpfen sollten. So sah die Waffe aus, als sei sie mit metallischen Wirbeln überzogen. Blade hatte so etwas noch nie zu Gesicht bekommen.
Dann zog sie einen silbernen Pfeil mit einem Aufsatz an der Basis aus ihrem Köcher, legte ihn am Bogen an und zielte auf einen Feuerlöscher, der am Ende des Korridors an der Wand hing. Im rauchverhangenen Gang war das Ziel nur mit Mühe zu erkennen, doch das musste genügen.
Mit einer fließenden Bewegung zog sie die Sehne zurück und ließ los.
Der Pfeil traf mit einem Scheppern auf den Feuerlöscher und prallte von ihm ab, um seitlich in den Korridor zu fliegen. Einen Sekundenbruchteil später bohrte er sich in die Schulter eines der heraneilenden Vampire, der aufschrie und instinktiv den Pfeil aus dem Fleisch zog. Ein wenig dümmlich betrachtete er den Bolzen in seiner blutbeschmierten Hand und atmete erleichtert aus.
Das war knapp!
Auf einmal war ein leises ,Klick’ und ein Surren zu hören, als das winzige Objekt am Ende des Pfeils sich zu drehen begann, nachdem es beim Einschlag in sein Ziel aktiviert worden war. Zwei weiße Kerben an der oberen Seite stellten sich auf, dann flammte eine rote Leuchtdiode auf. Mit einem erstaunten Blick betrachtete der Vampir das Ding und streckte neugierig einen Finger aus, um das rote Licht zu berühren…
In diesem Moment explodierte die Pfeilspitze in einem grellblauen UV-Lichtschein und erfasste alle drei Vampire. Grimwood schaffte es trotz seines massigen Körpers, sich rechtzeitig zu ducken, um von dem Lichtschein nicht getroffen zu werden, während zwei der Pfleger ihn zusätzlich abschirmten, da sie das UV-Licht in voller Stärke abfingen. Sie gingen in Flammen auf und zerfielen zu Asche.
Der letzte überlebende Vampirpfleger wollte sich in einem Büro verstecken und schlug gerade die Tür hinter sich zu, doch Abigail schoss bereits den nächsten Pfeil ab, der die Tür durchbohrte und im rauchenden Körper des Vampirs stecken blieb. Als er explodierte, war unter der Tür ein kurzes, schmutzig-orangefarbenes Aufflammen zu sehen.
Dann war es an Blade, den nächsten Zug zu machen. Er stürmte durch den Korridor auf die Polizisten zu, die sich im Treppenhaus verschanzt hatten. Abigail und King liefen dicht hinter ihm. Blade packte den Griff der Stahltür zum Treppenhaus und hob sie mühelos aus den Angeln. Dann warf er sie die Treppe hinab, auf der weitere Polizisten als Verstärkung auf dem Weg nach oben waren. Sie wurden von der schweren Tür mitgerissen wie Kegel auf einer Kegelbahn.
Endlich konnten sie das Gebäude verlassen.
Als sie aber die Stufen hinuntereilten, blieb Blade abrupt stehen und rief: „Wartet!“
King und Abigail stockten mitten in ihrer Bewegung und starrten Blade erschrocken an.
„Mein Schwert“, sagte er und hob die Hände. „Es ist noch hier.“